Würzburg

Die Wiederkunft der Großen Göttin

In politisch unruhigen Zeiten suchen Menschen Halt. Offenbar sind sie mit den Antworten der Kirchen nicht einverstanden. Entweder wenden sie sich ganz von Religionen ab oder anderen Religionsgemeinschaften zu. Dazu gehören auch die neuheidnischen Sekten und Bewegungen.
Extinction Rebellion in Sydney
Foto: Joel Carrett (AAP) | dpa. Sydney: Rot gekleidete «Red Rebels»-Aktivisten nehmen vor der Sydney Oper an einer Demonstration der Umweltbewegung «Extinction Rebellion» teil.

Mit der Renaissance kehrten antikes Denken und antike Gottheiten zurück, die für Jahrhunderte, durch das Christentum verdrängt, ihr Dasein im Untergrund fristeten. Hermetisch-alchimistische Bünde wie die Rosenkreuzer entstanden und griffen auf das gesellschaftliche Leben aus. Plötzlich betraten Jupiter und Diana die Bühne, zu Francesco Cavalli’s Oper „La Calisto“ schrieb Giovanni Faustini das Libretto. Als gemalte Heroen stellte der antike Götterhimmel, wie in „Jupiter und Io“ von Antonio da Correggio, den lebensprallen Gegensatz zu einer als prüde empfundenen christlichen Lebensführung dar. Die Neuzeit wollte den Moment leben, Lebensfreude bis zum Exzess.

Je technisierter und virtueller sich unsere Welt gestaltet, desto mehr wächst der Wunsch nach Spiritualität auch heute. Esoterische Riten und okkulte Praktiken boomen. Neu ist diese Bewegung nicht. Um 1900 kreierten esoterische Gruppierungen ein Gegenmodell zum Materialismus und der durch die Industrialisierung entstandenen spirituellen Malaise. Hinter der Fassade des aufkommenden Bürgertums keimte paganer Spiritismus. Nicht zufällig traten im 19. Jahrhundert okkulte Strömungen auf. Helena Petrowna Blavatsky, Jakob Lorber, Eliphas Levi, Emanuel Swedenborg. Dass Nietzsche Gott für tot erklärte und gleichzeitig Zarathustra ein Licht entzündete – was steckte wirklich dahinter?

Gott für tot erklären und gleichzeitig Zarathustra ein Licht entzünden

Spiritistische Gruppen wie die Theosophen oder der Golden Dawn hatten jedenfalls vom viktorianischen Commonwealth aus ihre Fäden über den ganzen Globus gezogen. Alternative Denkfabriken wie die Fabian Society, eine nach außen hin sozialistisch auftretende Gemeinschaft, zu der die Creme de la Creme der britischen Gesellschaft gehörte – George Bernhard Shaw zählte dazu, ebenso H. G. Wells, Bertrand Russel und die Theosophin Annie Besant – führte anfänglich in ihrem Logo einen Wolf im Schafspelz. So offensichtlich wollte man es später nicht mehr machen, aber die Gruppe übte massiven Einfluss auf die Labour Party aus, ihr gehörten unter anderem die Premierminister Ramsay MacDonald, Clement Attlee und Harold Wilson an.

Offensichtlich im okkulten Spektrum zuhause waren und sind Bünde wie der „Ordo Templis Orientis“ (O.T.O.), zu deren Kernprogramm die Ausübung von Sexualmagie zählt, um laut Eigenwerbung, „restlos alle Rätsel der Natur, alle freimaurerische Symbolik und alle Religions-Systeme“ zu erklären. Ausgehend von Blavatskys Theosophen verstärkte sich das Interesse an fernöstlichen Lebensschulen. Der Buddhismus und Hinduismus begann die westlichen Esoteriker ebenso zu begeistern wie das Spiel mit übersinnlichen Kräften.

Inspiriert von derlei alternativen Gruppierungen gründeten sich Landkommunen, Bünde für Naturheilkunde, FKK und Vegetarismus und freireligiöse Gruppen. Der in der Schweiz gelegene Monte Verita war in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts der Anlaufpunkt für Anhänger unterschiedlicher alternativer Bewegungen. Die Liste der Prominenten, die sich auf dem Monte Verita ein munteres Stelldichein gaben, ist lang, Richard Strauss zählte dazu. Carl Gustav Jung hielt hier viele Sommer die Eranos-Tagungen ab, wo auch Hugo Rahner Gastredner war. Kultische Tanzspiele fanden ebenso statt wie ein Kongress des bereits erwähnten magischen Ordens O.T.O. Ausdruckstänzerin Mary Wigman hielt dazu einen Vortrag und Hans Arp machte eine Skulptur „Roue Oriflamme“. „Oriflamme“, so lautete nach dem Zweiten Weltkrieg auch der Name einer esoterischen Zeitschrift, die vom Crowley‘schen Thelema-Orden, vom O.T.O., der Gesellschaft Fraternitas Rosicruciana Antiqua und der Gnostisch-Katholischen-Kirche herausgebracht wurde.

Von Wicca zu „Extinction Rebellion“

Die Saat der vorigen Jahrhunderte jedenfalls, von der Renaissance über die Aufklärung und die entchristlichende Industrialisierung in die Köpfe und Herzen der Menschen gesät, scheint nun langsam aufzugehen. Zumal sie im Gewand des Fortschritts daherkommt. Viele der heutigen heidnischen Bünde verstehen sich als moderne Naturreligion. Im Mittelpunkt ihres Kultes steht die Verehrung der Natur. Ihre Wurzeln sehen die Paganen bei Kelten oder in matriarchalen Kulten. Für sie ist die Natur göttlich und im Gegensatz zum Christentum oder anderer sogenannter abrahamitischer Religionen nicht nur Ausdruck göttlicher Schöpfungskraft. Die Herangehensweise ist pantheistisch und animistisch, ihre Riten sind demgemäß am Naturkreislauf orientiert. Die Rituale richten sich nach dem Lauf der Sonne und dem Stand von Mond und Sternen. Im Mittelpunkt steht die Verehrung der Gestirne, der „Mutter Erde“, eines heiligen Baumes oder einer heiligen Quelle. Die „Magna Mater“, Große Mutter, verbirgt sich hinter verschiedenen Masken: Jungsteinzeitliche Darstellungen, wie die Venus von Willendorf, zeigen sie mit stark überbetonten Brüsten und Hüften. Bei den Kelten ist Brigid die Göttin des himmlischen Feuers. Tacitus schreibt, dass die Germanen Nerthus als „mütterliche Erde“ verehrten. Griechen oder Römer nannten sie Gaia und Demeter. In Sumer hieß die Himmelskönigin Inanna. Als Erd-, Fruchtbarkeits-, Mond- und Himmelsgöttin regelte im alten Ägypten Isis den gesamten Lebenskreislauf. Jahrhunderte später tritt sie im freimaurerischen Kontext in Mozarts Zauberflöte auf, deren mythologisch-ideologische Grundlage der Isis- und Osiris-Kult bildet. Welche paganen Gottheiten auch immer angerufen werden, die Rituale dienen dazu, das christliche Monotheismus-Paradigma zu dekonstruieren.

Viele moderne Hexen haben sich im Wicca-Kult versammelt. Er entstand aus der Anwendung ritueller Magie. Rituale und Feste entstammen überwiegend dem keltisch-irischen Kulturkreis. Berechnet werden sie nach dem Stand von Sonne und Mond. Dazu gehören: Walpurgis, Sommersonnenwende (Sommersonnenwende, Johannisfest), Halloween oder Dunkelheitsfest und Wintersonnenwende. Als besondere Festzeiten gelten außerdem die Raunächte (Zeit von der Wintersonnenwende bis zum 6. Januar), sowie die Vollmondnächte für die „weiße Magie“ und Neumondnächte für schwarzmagische Unternehmungen. In ihren Ritualen kommunizieren die modernen Hexen mit verschiedenen Wesenheiten. Kennzeichnend für die Wicca-Religion ist die Aufforderung, magisch zu arbeiten, wahrzusagen und hellseherisch tätig zu werden. Allesamt Tätigkeiten, die in der Heiligen Schrift eindeutig untersagt sind.

Neuer Paganismus: "Ökologische Weltsicht"

Eindeutig in das Programm des neuen Paganismus gehört die ökologische Weltsicht. Mit der Arroganz moralischer Rechthaberei beginnt im Fahrwasser dieser Selbst- und Weltvergottung eine Form des Ökoterrors, die sich gegenwärtig immer mehr auszubreiten scheint. Dazu passt die Aussage des Gründers der ökologischen Aktivistengruppe „Extinction Rebellion“, einer Bewegung, die Gewaltfreiheit predigt, aber zivilen Ungehorsam und Blockaden betreibt, Regierungen, die sich nicht zum Handeln zwingen ließen, würden gestürzt – „und ja, einige können dabei sterben“. Die grüne Politikerin und Publizistin Jutta Ditfurth, die gewiss nicht im Verdacht steht, gegen ökologische Bewegungen zu sein, sagte schon im vergangenen Herbst in einem Interview mit der FAZ: „Ich halte ,Extinction Rebellion‘ nicht für eine Umweltbewegung im klassischen Sinne, die sich kritisch, aufklärerisch oder gar links für die Klimakastrophe und die Zusammenhänge von Naturvernichtung und Kapitalismus interessiert. ,Extinction Rebellion‘ ist nicht intellektuell, sondern ahistorisch, spricht nicht den Verstand an, sondern setzt auf mystisch-esoterisches Drama, pathetische Kostümierung und hat ein zentral vorgefertigtes Bühnenbild. Die Organisation versucht alles, um den intellektuellen Hohlraum mit Versatzstücken religiös-gewaltfreier Ideologie zu verdecken.“

Nicht von Ungefähr führt die Endzeitsekte als ihr Logo ein umkreistes X, im keltischen Alphabet der 23 Buchstabe, der Magie und Transformation bedeutet. Die Anhänger der Öko-Idealistenfalle glauben an die baldige „Auslöschung der Menschheit“ und empfehlen „Selbstaufopferung“. Laut dem Tübinger Bürgermeister Boris Palmer (Grüne) schürt „Extinction Rebellion“ Emotionen, die den Verstand vernebeln, wenn sie zum Beispiel behaupten, „Wir sind die letzte Generation der Menschheit vor der ‚Auslöschung‘“. Das erinnert an Sekten wie die „Sonnentempler“, die 1994 durch die Massenselbsttötung von 61 Mitgliedern bekannt wurde oder die Aum-Sekte, die 1995 durch ein Attentat auf die Tokioter U-Bahn, bei dem 13 Menschen ums Leben kamen und 1 000 Menschen verletzt wurden. Auch die 68er haben sich erst Schritt für Schritt radikalisiert, bis der linke Protest im Terror der RAF erstarb. Der Linksterrorismus entwickelte sich zu einer Art pseudoreligiöser Sekte. Die Religiosität der Radikal-Ökos von „Extinction Rebellion“ wird ganz offen betrieben. Deren Mitglieder führen pagane Invokationen und Rituale durch, wie auf der „Goddess Conference“. Es geht dabei um die Verehrung der Erdmutter Gaia: „Gaia, wir lieben und verehren dich, wir sind deine Kinder, wir sind du. Willkommen Gaia.“ Der Ökologismus droht zum neuen Ausdruck der Intoleranz zu werden. Demokratie lebt vom Diskurs, doch wenn Gegner von vorneherein niedergebrüllt werden, findet keine Diskussion mehr statt.

Das Konfliktträchtige an der Gegenwart ist weniger der sich immer deutlicher abzeichnende Umbruch, sondern die Sprachlosigkeit zwischen den unterschiedlichen Lagern. Gegnerschaft verhärtet die Fronten, Sektiererei das Herz. Vielleicht wäre es manchmal besser, miteinander zu schweigen, als sich zu beschimpfen. Angst jedenfalls ist kein guter Ratgeber.

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