Liebe Feministen, ihr müsst jetzt ganz stark sein! All euren Errungenschaften, Kämpfen und Protesten der letzten 140 Jahren gegen das Patriarchat zum Trotz, pfeifend auf euer Schweiß und Blut, welches ihr für die Emanzipation eurer Töchter, Enkelinnen und Ur-Enkelinnen dahingegeben habt, entscheiden sich junge Frauen von heute freiwillig dazu, in alte konservative Stereotypen zurückzukehren. Man findet die „Heimchen am Herd“ made in 2021 in den Sozialen Netzwerken unter Hashtags wie #futurehousewife oder #tradwife (zu deutsch: traditionelle Ehefrau). Dieses undankbare Pack, das der medienaffinen Millennial- und Gen-Z-Generation angehört, präsentiert auf ihren Instagram- und YouTube-Kanälen ihren Alltag als traditionsbewusste, den Feminismus ablehnende Frauen und/oder Mütter.
Familie: der wichtigste Wert im Leben
Wirft man einen Blick auf das Instagramprofil von Freya Rosi, lacht einen eine junge Frau mit blonden, langen Haaren an, die ausschließlich Kleider, oft Dirndl, trägt. Die meist in der Natur aufgenommenen Bilder haben einen romantischen, femininen Touch. In ihrem Video „Weiblich, jung,...traditionell?“ erklärt die 23-Jährige, was zu einem traditionellen Lebensstil gehört: Entschleunigung, Einklang mit sich selbst und der Umwelt, die Familie als wichtigster Wert im Leben, da sie die Grundlage der Gesellschaft bildet. Wichtig ist, ihrer Ansicht nach, die eigene Weiblichkeit und Männlichkeit zu achten. Mit Weiblichkeit verbindet die YouTuberin Eigenschaften wie Sanftmut, Fürsorglichkeit, Hingabe und Ästhetik. Sie ist der Meinung, dass das vorherrschende gesellschaftliche Narrativ jungen Frauen den Kinderwunsch durch Parolen wie „die Frau ist unfrei als Hausfrau“ und „der Wunsch nach Kindern wird Frauen anerzogen und ist ein soziales Konstrukt“ austreibt.
Daher schämen sich viele Frauen, ihren eigentlichen Wunsch nach Familie zu äußern. Freya schlussfolgert, dass Frauen daher heutzutage in ihrer Entscheidung, Kinder zu bekommen, unfrei sind, obwohl die meisten vermutlich einen Wunsch danach verspüren. Wer jetzt denkt, die Bloggerin ist eine ungebildete, von der verstaubten Kirche gehirngewaschene junge Frau, irrt gewaltig. Die Biologiestudentin ist sich des Einflusses des Christentums auf die europäische Kultur und Kunst bewusst, ist selber aber keine praktizierende Christin. Zu einem traditionellen Lebensstil gehört für sie aber dazu, das jeweilige regionale und nationale Brauchtum zu ehren und zu pflegen.
Nicht nur Freyas Leben nahm durch die Rückbesinnung auf einen traditionellen Lebensstil eine „positive Wendung“. Eine Schwedin, die im Netz unter dem Namen „Jellybean Gen“ unterwegs ist, bezeichnet sich als Ex-Feministin. Ihre Inhalte unterscheiden sich von denen der typisch amerikanischen „Tradwives“ mit ihren nostalgischen „Früher war alles besser“-Bildchen. Die 25-Jährige „kritisiert“, wie sie selbst sagt, „Feminismus und die moderne Kultur“. Gen beschuldigt in ihren Videos die Feministen, die Rolle der Eltern auf staatliche Einrichtungen übertragen zu haben, wo die Kinder statt Werte LGBTQ-Ideologie gelehrt bekommen.
„ Ein Leben als Single mit Karriere und Party-Lifestyle
wird als wichtiger eingestuft als eine Familie zu gründen“
Ihrer Ansicht nach werden in den Schulen konservative Werte als altmodisch und schlecht dargestellt. „Kinder bekommen eingetrichtert, dass das höchste Ziel im Leben Unabhängigkeit ist. Ein Leben als Single mit Karriere und Party-Lifestyle wird als wichtiger eingestuft als eine Familie zu gründen“, kritisiert die YouTuberin, die als Jugendliche ein Abtreibung durchlebte und sich auch dazu bedenklich äußert. Für die Adventszeit produzierte Gen eine Serie, in der sie schwedische Bräuche rund um die Weihnachtszeit erklärte und traditionelle Kochrezepte ausprobierte. Zum Schluss sagte sie: „Ich möchte Traditionen kultivieren und an die nächste Generation weitergeben.“
Es sind aber nicht nur Frauen wie Freya oder Gen, die ganz offensichtlich für eine alternative Lebensführung werben. Auf Instagram oder Pinterest, beides häufiger von Frauen als von Männern genutzte Plattformen, gibt es Profile wie Sand am Meer, auf denen sich alles um ausgewogene und möglichst selbstgemachte Kochrezepte dreht. Genauso häufen sich die „Do it yourself“-, kurz „DIY“-Seiten, wo man Anleitungen zu selbstgemachter Kosmetik, selbstgestrickten Pullovern und Tipps für die Pflanzenaufzucht findet.
Keine Beschäftigungstherapie im Lockdown
Bei diesen Trends handelt es sich keineswegs um Beschäftigungstherapien für den coronabedingten Lockdown, denn die Entwicklung des Rückzugs in die eigenen vier Wände war schon davor zu beobachten. Man wird den Gedanken nicht los, dass ein Teil der Generation der heute 20 bis 35-Jährigen, die von klein auf von Leistungsdruck und Karriereerwartungen begleitet wurden und in einem geistigen Umfeld von „Du kannst alles sein, was du möchtest“ aufwuchsen, keine Lust mehr auf das ewige anstrengende Streben nach Mehr, Besser und Abwechslungsreicher haben.
Wenn ich an mein Umfeld denke, fallen mir einige Frauen ein, die in ihren Anfang Zwanzigern fleißig studierten, ein Praktikum nach dem nächsten belegten, die Welt bereisten und ganz allgemein den Eindruck einer unabhängigen Frau feministischen Vorbilds machten. Heute sind dieselben Frauen zehn Jahre älter und „unter der Haube“, links und rechts mit kleinen Kindern an den Händen. Während ihre Partner sich um das Geldverdienen kümmern, backen die „Wiveys“ und „Mommys“ vegane Vollkornkekse und schmücken ihren Instagram-Account nicht mehr wie früher mit spektakulären Urlaubsfotos, sondern mit Bildern ihres gemütlich-stylish eingerichteten Zuhauses und den selbstgestrickten Stramplern.
Nur ein Trend oder Ausdruck des Frau-seins
Was steckt hinter dem Rückzug in die eigene kleine Welt, in der man es sich häuslich einrichten möchte? Nun, eine Erklärung kann lauten, dass es sich in unserer individualistischen Gesellschaft, in der frau leben kann, wie sie möchte, einfach um einen Trend unter 50 weiteren handelt. Dazu kommt, dass mit dem Begriff Feminismus unglaublich inflationär um sich geschmissen wird. Der einstige Glanz des Radikalen und Aktivistischen hat sich längst im Mainstream aufgelöst.
Viele Institutionen haben Frauenquoten für ihre Leitungspositionen eingeführt, in den meisten Studiengängen sind die Studentinnen gegenüber ihren männlichen Kollegen in der Mehrheit. Es ist eine berechtigte Frage, ob der Feminismus in der westlichen Gesellschaft, verstanden als Movement, das sich für Frauen einsetzt, überhaupt noch existiert, ja überhaupt noch politisch korrekt ist? Die Bewegung scheint immer mehr von LGBTQ und damit von dem Ziel der Auflösung der Zweigeschlechtlichkeit abgelöst zu werden. Doch diese Forderungen sind von der Lebensrealität eines Großteils der Frauen so weit entfernt wie die Erde vom Mars.
Frauen mit freie Wahl wählen nach weiblicher Vorliebe
Zum Schluss eine für manche Ohren radikale These: Vielleicht lässt sich die Freude am Kochen, Nähen, Gärtnern und am Einrichten eines gemütlichen und ästhetisch ansprechenden Heims, in dem sich Mann und Kinder wohl fühlen und vor einer bedrohlich anmutenden Welt draußen sicher sind, ja doch anthropologisch dem Wesen des Frau-seins zuordnen. Dazu passt auf jeden Fall die Studie der Psychologen Gijsbert Stoet und David Geary, die besagt, je geringer die Benachteiligung von Frauen in einem Land ausfällt, desto seltener schließen Frauen ein mathematisches, naturwissenschaftliches oder technisches Studium ab. Anders ausgedrückt, wenn Frauen die absolute Wahlfreiheit haben, entscheiden sie sich trotzdem eher für ein Studium, das klassischen Stereotypen entspricht. Liebe Feministen, diese Entwicklungen und Erkenntnisse mögen euch ärgern, aber es ist an der Zeit, die Augen für die Wirklichkeit zu öffnen!
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