Der Glaube an einen starken und gerechten Vatergott

Zur religiösen Dimension in Karl Mays Werk anlässlich seines 175. Geburtstags. Von Sebastian Krockenberger
Foto: Karl May-Museum Radebeul | Letztlich war er doch ein Dichter: Karl May.
Foto: Karl May-Museum Radebeul | Letztlich war er doch ein Dichter: Karl May.

Am 25. Februar 1842 wurde der Schriftsteller Karl May im sächsischen Ernstthal geboren. Dieses Jahr wäre der Schöpfer von Winnetou, Old Shatterhand und Hadschi Halef Omar 175 Jahre alt geworden. „Ich bin im niedrigsten, tiefsten Ardistan geboren, ein Lieblingskind der Not, der Sorge, des Kummers. Mein Vater war ein armer Weber“, schrieb May, der einer der meistgelesenen Schriftsteller deutscher Sprache ist. Ardistan ist ein fiktives Land aus dem Spätwerk Mays, das für Rückständigkeit und religiöse Verkrustung steht. Die Macht der Phantasie und das Christentum führten May aus diesem Elend heraus.

Bekannt ist May für seine Reiserzählungen über die Abenteuer von Old Shatterhand und den Apatschen-Häuptling Winnetou sowie die Abenteuer von Kara Ben Nemsi im Orient zusammen mit seinem Diener Hadschi Halef Omar. Es sind alles erfundene Geschichten, die seiner reichen Phantasie entsprangen. May gab sie als tatsächlich erlebte Ereignisse aus und ließ Fotos von sich als Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi anfertigen. Der Schwindel flog irgendwann auf. Weil er in jungen Jahren mit dem Gesetz in Konflikt geraten war, brachte ihm das im Alter viele Anfeindungen ein. Er war ein umstrittener Autor. Für die einen galt sein Werk als Literatur, für die anderen als Schund.

Seine Geschichten wurden zunächst über Zeitschriften als – wie soll man sagen – Gebrauchsliteratur vertrieben. Seine bekannten Reiseromane erschienen in der katholischen Zeitschrift „Deutscher Hausschatz“, herausgegeben vom Verlag Friedrich Pustet in Regensburg. Der geborene Protestant May wandelte zwischen den Konfessionen und den Religionen. Seine Biographie und sein Glaube sind der Schlüssel zum Verständnis seines Werkes.

Old Shatterhand begegnet Winnetou, als er im Dienst einer Eisenbahngesellschaft als Mitglied eines Vermessungstrupps eine Eisenbahnstrecke durch ein Indianer-Territorium erkundet. Ein Grizzly hat einen der Westmänner ergriffen, die zum Schutz des Vermessungstrupps bestellt sind. Die andern flüchten auf die Bäume oder rennen zum Lager, wo ihre Waffen sind. Old Shatterhand packt eines der weggeworfenen Gewehre und schlägt auf den Bären ein. Die Waffe zersplittert. Der Bär wendet langsam seinen Blick dem Angreifer zu. Der reist einen Revolver aus seinem Gürtel, springt zum Grizzly und schießt mehrmals in dessen Augen. Der Bär ist geblendet und schlägt wild um sich. Als der Bär innehält, greift Shatterhand ihn mit seinem Bowie-Messer an, bis der Grizzly schließlich tot am Boden liegt.

Rattler, einer der Westmänner, die auf die Bäume geflüchtet waren, will sich nun ein Stück Fleisch vom Grizzly herausschneiden. Als Shatterhand ihm das verwehrt, will er diesen mit seinem Messer angreifen, worauf Shatterhand ihn mit seinem zweiten Revolver bedroht. Bevor aber ein Schuss fällt, tritt ein Weißer, der wie ein Indianer gekleidet ist, hinter einem Baum hervor. Klekhi-Petra war als Beteiligter an der Revolution von 1948 aus Deutschland geflohen und wurde schließlich als Lehrer von den Apachen aufgenommen. Über sein Wirken als Revolutionär hat ihn tiefe Reue ergriffen, er fand zu Gott und wollte den Apachen Glauben und Bildung vermitteln. Er macht deutlich, dass der Boden von den Apachen zum Bau der Eisenbahn weder verkauft noch abgetreten wurde. Er ruft seine zwei Begleiter zu sich, Winnetou und seinen Vater Intschu tschuna, der Häuptling der Apachen. „Ihr nennt euch Christen und sprecht immerfort nur von Liebe. Dabei aber wollt ihr uns bestehlen und berauben“, erklärt Intschu tschuna. Er fordert, dass der Vermessungstrupp das Gebiet verlässt. Rattler pöbelt Winnetou an und schleudert ihm einen Becher Brandy ins Gesicht. Winnetou wehrt sich.

Als die beiden Indianer und Klekhi-Petra zu ihren Pferden gehen, schießt Rattler auf Winnetou. Klekhi-Petra wirft sich in die Kugel. Im Sterben sagt er zu Shatterhand: „Bleiben Sie bei ihm – ihm treu – mein Werk fortführen – !“

Old Shatterhand gelangt schließlich in die Gefangenschaft der Apachen. In einem ungleichen Wettkampf mit Intschu tschuna muss er sein Wohlwollen für die Apachen beweisen. Winnetou und Old Shatterhand werden Blutsbrüder.

Eine Bitte hat Winnetou an seinen neuen Blutsbruder: „Sprich nicht vom Glauben zu mir! Trachte nicht danach, mich zu bekehren!“ Und ergänzt: „Dein Glaube mag der richtige sein, aber wir roten Männer können ihn noch nicht verstehen. Wenn uns die Christen nicht verdrängten und ausrotteten, so würden wir sie für gute Menschen halten und auch ihre Lehre für eine gute.“ Old Shatterhand erfüllt ihm die Bitte, durch seine Taten will er Winnetou das Christentum zeigen. Der Glaube spielt in der Winnetou-Trilogie immer irgendwie eine Rolle, auch im Verhältnis zu den indianischen Glaubensvorstellungen.

Als Winnetou im Sterben liegt, kommt er zum Glauben. Indianer vom Stamm der Ogellallah haben Gefangene gemacht. Old Shatterhand und Winnetou wollen diese befreien. Bei der handstreichartigen Befreiungsaktion wird Winnetou durch die Kugel eines Ogellallahs tödlich getroffen. „Scharlih, ich glaube an den Heiland. Winnetou ist ein Christ. Leb wohl!“ sind Winnetous letzte Worte. Ein von May gedichtetes Marienlied wird gesungen, dessen letzte Verse sind: „Madonna, ach in deine Hände/ leg' ich mein letztes, heißes Flehn:/ Erbitte mir ein gläubig Ende/ und dann ein selig Auferstehn!/ Ave Maria!“

War Karl May Katholik geworden? Nein. Zeit seines Lebens blieb er Protestant. Sein Ideal war ein überkonfessionelles Christentum. Und nicht mit Worten sollte missioniert werden, sondern an den Taten soll der Glauben sichtbar werden. Die Reiseerzählung „Durch die Wüste“ beginnt mit dem Dialog: „Und ist es wirklich wahr, Sihdi, dass du ein Giaur bleiben willst, ein Ungläubiger, der verächtlicher ist als ein Hund, widerlicher als eine Ratte, die nur Verfaultes frisst?“ – „Ja.“ – „Sihdi, ich hasse die Ungläubigen und gönne es ihnen, dass sie nach ihrem Tode in die Dschehenna kommen, wo der Teufel wohnt; aber dich möchte ich retten vor dem ewigen Verderben, das dich ereilen wird, wenn du dich nicht zum Ikrar bil-lisan, zum heiligen Zeugnis, bekennst. Du bist so gut, so ganz anders als die Herren, denen ich früher gedient habe, und darum werde ich dich bekehren, du magst wollen oder nicht.“

Die Versuche, Kara Ben Nemsi zum Islam zu bekehren, bleiben erfolglos. Im Laufe der Reiserzählung nimmt Haschi Halef Omar immer mehr eine christlich geprägte Mentalität an. May erzählt bei seiner Romanfigur von einer inneren Bekehrung, die weder zu einem mündlichen Bekenntnis zu Jesus als dem Erlöser noch zu einer bewussten Abkehr vom Islam führt. May beschreibt Hadschi Halef Omar als einen „anonymen Christen“, bevor Karl Rahner den Begriff erfand. Dogmatische Positionen und der regelmäßige Gottesdienstbesuch waren nicht die Sache von Karl May. Sogar an spiritistischen Sitzungen soll er teilgenommen haben.

In der Reiseerzählung Old Surehand berichtet Old Shatterhand von seinem inneren Kampf um den Glauben, was durchaus autobiographisch verstanden werden kann: „Ich bekam ungläubige Lehrer, die ihre Verneinung in ein verlockendes Gewand zu hüllen wussten. Ich studierte alle Sprachen, um die Bibel im Urtext zu studieren. Der Kinderglaube schwand; der Zweifel begann, sobald die gelehrt Wortklauberei anfing. Der Unglaube wuchs“, erklärt Shatterhand, „denn ich opferte meine Nächte dem Beginnen, die Wahrheit durch meine eigene Klugheit zu erfassen. Welche Torheit! Aber Gott war barmherzig gegen den Toren und führte ihn auch auf dem Weg des Studiums zu der Erkenntnis, dass jener fromme Kinderglaube der richtige sei. Meine späteren Reisen brachten mich mit den Bekennern aller möglichen Anbetungsformen in Berührung. Ich besaß nicht jenes Christentum, welches sich über alle Andersgläubigen erhaben dünkt, sondern ich prüfe auch hier. So studiere ich den Koran, die Veda, Zarathustra und Konfuzius. Diese Lehren konnten mich nicht ins Wanken bringen, wie früher die Werke unserer großen Philosophen.“ Shatterhand schließt: „Mein Kinderglaube ist durch zahlreiche Prüfungen gegangen. Er hat sich in ihnen bewährt und wohnt mir darum doppelt unerschütterlich im Herzen.“

Seine Begegnung mit dem katholischen Glauben hatte May während seiner harten Haftzeit im Zuchthaus Waldheim 1870 bis 1874. Im katholischen Gefängnisgottesdienst spielte er die Orgel. Der Katechet Johannes Kochta, der die katholische Gefangenen-Gemeinde betreute, war für May „ein Ehrenmann in jeder Beziehung, human wie selten Einer und von einer so reichen erzieherischen, psychologischen Erfahrung, dass das, was er meinte, einen viel größeren Wert für mich besaß, als ganze Stöße von gelehrten Büchern. Nie sprach er über konfessionelle Dinge mit mir.“ Und weiter: „Er tat seinen Kirchendienst, ich meinen Orgeldienst, aber im Übrigen blieb die Religion zwischen uns vollständig unberührt und konnte umso direkter und reiner auf mich wirken.“

May absolvierte die Ausbildung zum Volksschullehrer, doch als junger Mann geriet er auf die schiefe Bahn. Er hatte geradezu ein Talent, sich in schwierige Situationen zu bringen. Mal wird ihm der Diebstahl von Kerzen zur Last gelegt. Die Anschuldigung, eine Taschenuhr gestohlen zu haben, und die anschließende Verurteilung, bringen ihn um den Lehrerberuf. May begeht mehrere kleinere Straftaten und wird schließlich zu der vierjährigen Haft im Zuchthaus Waldheim verurteilt. Als er das Gefängnis verließ, war May ein anderer Mann. Schon immer hatte May eine reiche Phantasie. In der Haft war er viel allein und konnte seiner Fantasie freien Lauf lassen. Er schuf Helden, die Ideale verkörperten, an denen er sich aufrichten konnte. Nach seiner Entlassung wird er Zeitschriftenredakteur, seine Karriere als Autor beginnt.

Jürgen Wehnert beschreibt das in seinem Aufsatz „Old Shatterhand auf christlichen Pfaden“, erschienen im Sammelband „Zwischen Himmel und Hölle – Karl May und die Religion“ so: „Mays utopisches Denken speist sich aus seiner Kindheitsliteratur, den Märchen und Legenden der Großmutter, später aus den Ritter- und Räuberromanen der örtlichen Leihbibliothek, die in beträchtlicher Zahl die Lektüre der Heranwachsenden bildeten.“ Die Helden dieser Literatur „verschmolzen in Mays Denken zu einem Heros von mythologischem Zuschnitt“, der „durch unerhörte Machttaten einer höheren Gerechtigkeit zum Sieg“ verhelfen soll. „Dass May im Zuchthaus oder bald danach diesen Heros in sich selbst entdeckte und ihm auf dem Papier zu einer unsterblichen Existenz verhalf, das ist seine literarische Großleistung, die man in der Tat nur bewundern oder als Aberwitz belächeln kann.“

Als Dichter lebte May mit seinen Figuren zusammen

Karl May kämpfte durch die Macht der Phantasie in fernen Ländern für das Gute. Seine Leser will er zum Einverständnis mit dem „Glauben an einen starken und gerechten Vatergott“ bringen, wie Wehnert das formulierte. In der Heimat erklärt May, dass er Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi sei. Vom März 1899 bis Juli 1900 unternimmt er eine Reise in den Orient, als Tourist. Als er diesen Schauplatz seiner Reisererzählungen kennenlernt, zerschellt sein Helden-Mythos an der Wirklichkeit. May erfährt eine geistige Krise. In Deutschland beginnt die Presse, sich auf ihn einzuschießen. Seine kriminelle Vergangenheit wird ihm vorgeworfen. Die Old Shatterhand-Legende lässt sich nicht mehr aufrechterhalten.

Was sich schon an seiner Reiseerzählung „Am Jenseits“ von 1899 andeutete, May wird mystischer, spiritueller. Sein Spätwerk ist symbolisch, pazifistisch und vom Toleranzgedanken beherrscht. May setzt auf die innere geistige Entwicklung des Menschen. Seine Ehe mit Emma, die schon seit Jahren von Schwierigkeiten geprägt war, zerbricht. Er erwirkt die Scheidung und heiratet Klara Plöhn, die Witwe seines verstorbenen Freundes. Er verfasst den symbolischen Roman „Ardistan und Dschinnistan“, wobei das Land Dschinnistan für ein Leben auf ethischen und geistigen Höhen steht. Am 30. März 1912 starb May in seiner „Villa Shatterhand“ in Radebeul.

„Und ich halte Herrn May für einen Dichter“, erklärte im Dezember 1911 der vorsitzende Richter beim letzten der Prozesse, mit denen May sich im Alter plagte. „Er sagte das so betont und ernsthaft, dass nachdenkliches Schweigen im ganzen Raum entstand. Nach all den giftig geifernden Verdächtigungen, mit denen man die Person des alten Mannes da abzuwerten versucht hatte, wirkten diese ehrlichen, ganz sachlichen Worte des erfahrenen Richters, der vornehm und unvoreingenommen seines Amtes waltete, wie ein frischer Wind, der Nebelschwaden vertreibt und die Sicht wieder frei macht“, schrieb Rudolf Beissel, der den Prozess verfolgte.

Als Dichter lebte Karl May in seinen Geschichten mit den Figuren zusammen, die er erschaffen hatte. Die Macht seiner Phantasie schuf eine großartige utopische Welt, in der Gottesliebe, Nächstenliebe, Feindesliebe, Mut und Freundschaft regieren.

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