Den Hass auf die Revolution und die Aufklärung, die Verachtung für alles, was sich der Allianz von Thron und Altar entgegenzustellen wagte – wie kein anderer verkörperte Joseph Marie de Maistre schon zu Lebzeiten den Geist der europäischen Restauration. Wortgewaltig und unbeugsam verteidigte er den Papst, das Gottesgnadentum und die Inquisition gegen ihre Feinde. Unter den vielen Bewunderern, die der savoyardische Schriftsteller und Philosoph seitdem gefunden hat, finden sich aber neben den üblichen Verdächtigen – Donoso Cortés, Maurras, Schmitt, Dávila – auch solche, die man nicht unbedingt zur Speerspitze der Gegenaufklärung zählen würde: Tolstoi, Cioran und (zum regelmäßigen Entsetzen seiner eigenen Anhänger) Baudelaire.
De Maistres Leben war vergleichsweise ereignisarm: Geboren als Sohn eines Senators verließ er Savoyen, als es von den Franzosen besetzt wurde, und zog nach Sardinien. Als seine antirevolutionäre Rhetorik dem ängstlichen piemontesischen Hof zu heikel wurde, sandte man ihn als Diplomaten nach Russsland. Dort setzte er sich beim Zaren für die Jesuiten ein und wurde schließlich des Landes verwiesen, als herauskam, dass unter seinem Einfluss reihenweise russische Prinzessinnen zum Katholizismus übergetreten waren.
Umso vielfältiger war sein Schaffen, das eine Reihe von Essays und eine breite Korrespondenz umfasst. Davon haben es zwei Werke zu besonderem Einfluss gebracht. Das eine, „Vom Papste“, liest sich wie ein Grundsatzprogramm der katholischen Reaktion, und war stilbildend für den Ultramontanismus des 19. Jahrhunderts (Leser Stendhals mögen sich erinnern, dass die genaue Kenntnis dieser Schrift den gesellschaftlichen Aufstieg Julien Sorels im Frankreich der Restauration beförderte). Das andere, zeitlose Spätwerk sind „Die Abende von Sankt-Petersburg“, eine Reihe philosophischer Dialoge um die Themen, die den originellen Denker und glänzenden Stilisten ein Leben lang beschäftigt haben: Kirche und Staat, Freiheit und Macht, die Grundlagen gesellschaftlicher Ordnung und die Theologie des Opfers.
Den Stil der Aufklärung für Konservative erschlossen
De Maistres Sprache hat zu Recht viele Bewunderer gefunden. Seine Prosa ist lebhaft und abwechslungsreich, wechselt mühelos zwischen den Registern des intimen Plaudertons, des juristischen Plädoyers, der flammenden Predigt und des aphoristischen aperçu. Alles ist getränkt von scharfsinnigem Humor, und noch seine wortreichsten Passagen funkeln mit jenem epigrammatischen Schliff, der jedes Wort sorgsam ausgewählt und inhaltlich belastbar weiß. Bei seiner Lektüre kommt man nicht umhin, sich die Gesichter der russischen Damen vorzustellen, die ob der oft gewagten Paradoxa fortwährend zwischen Erheiterung und Entsetzen schlingern mussten. Insofern ist die Begeisterung Baudelaires verständlich: Auch bei de Maistre drängt sich bisweilen die Frage auf, welche seiner Pointen ernst gemeint sind, und welche nur pour épater les bourgeois erfolgen. So wirkt er auf den heutigen Leser zugänglich, ja geradezu modern, voll beißenden Spotts über den weltanschaulichen Gegner: die Allüren des High Church-Anglikanismus („man hört nicht auf Protestant zu sein, bloß weil man allein protestiert“), den Szientismus Bacons („weniger der leidenschaftliche Liebhaber der Naturwissenschaften als vielmehr ihr verliebter Eunuch“) oder die Menschenrechte („ich habe schon Franzosen, Italiener und Russen gesehen; weiß von Montesquieu auch, dass man Perser sein kann; aber einem Menschen bin ich noch nie begegnet“).
De Maistre als Salonreaktionär
Dieser Stil sollte Schule machen: Dávila, Cioran und Bloy verdanken ihm viel. Aber es ist der Stil einer Opposition, die sich so weit von allen Hebeln des gesellschaftlichen Einflusses entfernt sieht, dass sie sich auf die heitere Polemik beschränken kann. De Maistre hat diesen Stil freilich nicht erfunden, aber vor ihm war er das Ressort der Aufklärer und der Freidenker gewesen, der Duktus der Enzyklopädisten und des von ihm so verachteten Voltaire. Wo man ihm heute begegnet, kann man fast davon ausgehen, es mit einem Konservativen zu tun zu haben.
In de Maistre begegnet uns – vielleicht erstmals – der inzwischen wohlbekannte Typ des Salonreaktionärs. Seine Vorläufer waren noch Aristokraten und Offiziere gewesen, deren behäbiger, akribischer Stil die phantasielose Pedantik ernster Männer atmete, denen das Tragen politischer Verantwortung selbstverständlich war. Mit de Maistre ist der Stichwortgeber des europäischen Konservatismus erstmals ein Polemiker: Scharfzüngig, jovial und verantwortungslos – mit der Originalität, die nur die Bildung verleiht, und dem Radikalismus, den nur die Ohnmacht ermöglicht.
„Der Garant der gesellschaftlichen Ordnung
ist nicht der König, der Priester oder auch nur der Soldat –
sondern der Henker“
Aber nicht nur in seinem Stil deutet de Maistre die späteren Entwicklungen der politischen Rechten an. Ein weiterer unheimlicher, ja bisweilen dämonischer Aspekt,der die Geschichte des Konservatismus begleiten (und allzu oft bestimmen) sollte, ist die Faszination der Gewalt. War die Gewalt bei anderen gegenrevolutionären Denkern eine bittere Notwendigkeit, so wird sie bei de Maistre theologisch verklärt. Seine sonst klassische Prosa schwingt sich zu barocker Wucht auf, wenn er in den Soirées den Grundstein allen Zusammenlebens preist: Der Garant der gesellschaftlichen Ordnung ist nicht der König, der Priester oder auch nur der Soldat – sondern der Henker. Dieser Ausgestoßene ist von der Vorsehung gekürt, durch sein Tun nicht nur eine gefallene Menschheit durch den Schrecken auf dem Pfad der Tugend zu halten, sondern zugleich den Herrschaftsanspruch des Staates zu verwirklichen, indem er das Konzept der Souveränität in der Bestrafung Fleisch werden lässt. In einem sentimentalen Zeitalter mag eine erfrischende Ehrlichkeit in der Erinnerung daran liegen, dass alle Staatsgewalt letztlich auf einer gemittelten Todesdrohung beruht. Und doch hat de Maistre hier unverkennbar mit der katholisch-aristokratischen Tradition gebrochen.
Überall Feinde der Zivilisation
Aber nicht zuletzt darum sei die Lektüre de Maistres jedem Konservativen und Katholiken ans Herz gelegt. Mögen wir die Moderne auch für eine schnelllebige Zeit halten, so ist sie in ihren Grundzügen doch konstant, und de Maistres Polemik von 1821 könnte man für zeitgenössisch halten – wenn man denn irgendeinem Zeitgenossen eine solche Scharfsicht zutraute. Nur sollte man bei der stets kurzweiligen und oft erhellenden Lektüre das Bild der russischen Salons, denen solche Zeilen entstammen, nie vergessen; und den Blick dafür nicht verlieren, wieviel diesen großen Verteidiger der alten Ordnung bereits von ihr trennt.
Der Autor ist Rechtsanwalt in Bonn
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