„Das ist die Dekadenz des Denkens“

Er sagt und schreibt, was er denkt: Der deutsch-ägyptische Autor Hamed Abdel-Samad, der bei vielen Talkshow-Auftritten und in seinen Publikationen und Büchern keinen Hehl aus seiner kritischen Einstellung zum Islam macht. Liegt die Wurzel aller Gewalt bereits am Anfang dieser Religion? Trägt der Westen eine Mitschuld an den aktuellen Gewalttaten? Von Günther Klempnauer
Hamed Abdel-Samad, Publizist
Foto: dpa | Wissenschaftliche Forschung, reale Bedrohung: Der Publizist Hamed Abdel-Samad kennt die verschiedenen Seiten des Islam.

Herr Samad, Sie sind als Islamkritiker zum Tod verurteilt und stehen Tag und Nacht unter Polizeischutz. Wie fühlt sich das an?

Es ist natürlich kein normales Leben. Ich kann mich nicht auf der Straße sehen lassen. Draußen bin ich nur, wenn es nicht anders geht. Kein schönes Leben. Es ist beschämend für Europa im Jahr 2016, dass ich um mein Leben bangen muss. Ich bin nur ein Schriftsteller, der kritische Bücher schreibt über einen Mann, der vor 1 400 Jahren gestorben ist. Eigentlich ist es ein Skandal, dass nicht nur Islamisten mich tot sehen wollen, was man nachvollziehen kann. Aber auch vermeintliche Liberale und Linksintellektuelle nehmen es in Kauf und sagen: „Ja, du hast ins Wespennest gestochen.“ Unbegreiflich, und das ist die Dekadenz des Denkens, was ich für viel gefährlicher halte. Nicht dass die Islamisten erstarken, sondern dass die Gleichgültigkeit als Vertreter der Demokratie und Freiheit sich krebsartig in die Gesellschaft sich ausbreitet.

Warum sind Sie zum Tode verurteilt worden?

Ich bin mehrmals zum Tode verurteilt worden. Das erste Mal in Kairo, wo ich vor Salafisten und Vertretern der Muslimbruderschaft gesprochen habe. Ärgernis erregte meine Behauptung, dass die Quelle des Hasses im Koran vorhanden sei und der islamische Faschismus mit dem Propheten Mohamed begonnen habe. Darüber gab es heftige Diskussionen im ägyptischen Fernsehen. Drei maßgebliche Gelehrte haben zu meinem Tod aufgerufen. Nicht nur der Staat, sondern auch die islamischen Gläubigen wurden aufgefordert, das Todesurteil zu vollstrecken, wenn es der Staat nicht tue. Daraufhin bekam ich Polizeischutz. Da sich die Todesgefahr seit dem Erscheinen meines letztes Buches erschreckend erhöht hat, darf ich jetzt nur noch in gepanzerten Fahrzeugen unterwegs sein.

In Deutschland hat in diesem Jahr ein Islamist wegen Ihres neuesten Buches „Der Koran: Botschaft der Liebe. Botschaft des Hasses“, eine Strafanzeige wegen Volksverhetzung erstattet.

Ich habe ja nicht irgendeine Person diffamiert, sondern lediglich ein Urteil abgegeben über eine historische Figur, die vor 1 400 Jahren gelebt hat. Daraus kann man nicht eine Volksverhetzung ableiten. Ich habe dem Staatsanwalt mein Buch als Beweis einer vernünftigen Analyse vorgestellt. Dabei stütze ich mich als Überbringer der Botschaft nur auf islamische Quellen. Das Verfahren wurde eingestellt.

In Ihrem Buch „Mohamed – eine Abrechnung“ sind Sie der Auffassung, Mohamed sei ein gekränkter Außenseiter, krankhafter Tyrann, Narzisst, Paranoiker und Massenmörder gewesen. Das ist natürlich starker Tobak aus islamischer Sicht. Können Sie das wissenschaftlich belegen?

Ich habe alles wissenschaftlich belegt aus dem Koran und der offiziellen Biographie von Mohamed und seiner Tradition, der sogenannten Hadid, die in jeder Moschee zu finden ist. Als Massenmörder hat er Hunderte von kriegsgefangenen Juden enthauptet, obwohl sie sich ergeben hatten. Alle kampffähigen Männer dieses jüdischen Stammes wurden hingerichtet. Das nennt man heute Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Und wenn man einen ganzen Stamm ausrottet, kann man auch von Massenmord sprechen. Und es gibt viele andere Beispiele, die man alle nachlesen kann.

Wie reagieren Muslime in Europa und in den arabischen Staaten auf Ihre Islamkritik?

Es gibt unterschiedliche Reaktionen. Einige Islamwissenschaftler halten meine Kritik für legitimiert, dass der Prophet nicht unantastbar bleiben sollte. Natürlich wollen viele andere Muslime solche Vorwürfe nicht gelten lassen nach dem Motto: Was nicht sein darf, kann nicht sein. Für sie bleibt Mohamed ein perfekter Mensch. Er habe zwar Frauen umgebracht, aber im Kontext. Er habe zwar seine Richter und Sklaven getötet, aber im Kontext seiner damaligen Zeit. Ich halte ihnen vor: Wo bleibt das Vorbild? Für mich hat sich dann das Vorbild disqualifiziert. Das wollen auch moderate Muslime, die auf der Unantastbarkeit des Korans beharren, nicht wahrhaben. Sie öffnen sich nicht für Kritik und historisch-kritische Kontextualisierung. Im Gegenteil, sie unterstützen meistens stillschweigend Islamisten, die im Namen des Korans Menschen töten. Bis heute haben 6,6 Millionen Menschen, vor allem junge Leute aus der arabischen Welt, meine Videos gesehen, die lebhaft diskutiert und kommentiert werden. Ich spüre bei der neuen Generation den starken Wunsch, sich kritisch mit der eigenen Tradition auseinanderzusetzen.

In Ihrem neuesten Buch „Der Koran: Botschaft der Liebe. Botschaft des Hasses“ widmen Sie sich dem Herzstück des Islam: Dem Koran, der als das letzte Wort Gottes gilt. Er beinhaltet eine Gesellschafts- und Rechtsordnung, die für viele Muslime bindend ist und das weltpolitische Geschehen der Gegenwart nach wie vor beeinflusst. Was beabsichtigen Sie mit Ihrem Buch?

Bisher gab es keine Veröffentlichungen in der Koranforschung, welche die relevanten Passagen sammelt und sie historisch-kritisch beleuchtet und einordnet. Als ich mich mit der Entstehungsgeschichte des Korans und seinen Quellen beschäftigte, war mir klar: Das Buch ist nicht vom Himmel gefallen.

Wir können das Agieren und Reagieren von Mohamed und seiner Gemeinschaft sowie die Antworten, die auf die Bedürfnisse dieser Gemeinschaft zugeschnitten sind, nachvollziehen. Innerhalb von 23 Jahren hat der Koran seine Haltung mehrfach verändert. Deshalb ist es unverständlich, wie dann nach 1 400 Jahren noch heute in unserer Gesellschaft mit andern Bedürfnissen und Herausforderungen der Koran noch gültig sein soll.

Sie vergleichen den Koran mit einem Supermarkt, auf dem man alles kaufen kann ...

Tatsächlich ist der Koran ein Supermarkt mit vielen Produkten, und jeder kann sich darin bedienen, wie er möchte. Allerdings sind dort die Beschriftungen, die Zutaten und das Verfallsdatum nicht klar gekennzeichnet und die Regale sind durcheinander. Die friedlichen Muslime suchen im Koran die friedlichen Passagen und finden sie. Die gewaltbereiten Muslime suchen die gewaltbejahenden Passagen und finden sie auch. Und das mit der gleichen Legitimation, denn es ist ja das vermeintliche Wort Gottes. Wenn wir das ganze vermenschlichen und die Geschichte mit Gottes Offenbarung beiseitelegen, dann können wir sagen, dass das Buch insgesamt eine menschliche Erfahrung beschreibt und die Entwicklung einer Gemeinschaft innerhalb von 23 Jahren protokolliert. Dazu gehören auch Emotionen, Prinzipien und Verfehlungen. Deshalb ist es relativ ausgeglichen.

Für Sie ist der Koran also ein menschengemachtes Buch, in dem Mohamed die Entwicklung der Gemeinde 23 Jahre lang dokumentiert hat. Darauf beziehen sich sowohl Moslems, die in Toleranz leben, als auch die IS-Terroristen, die damit ihre mörderischen Taten legitimieren. Beides beinhaltet der Koran, die Botschaft der Liebe und die Botschaft des Hasses. Wie ist das möglich?

In meinem Buch gebe ich zunächst einen Überblick über die Entstehungsgeschichte. In einem Abgleich der Koransuren mit Mohameds biographischen Stationen stelle ich dann fest, dass der Prophet immer genau das verkündet, was ihm in seiner jeweiligen Lebenssituation dienlich war. Die sich widersprechenden Suren des Korans sind ein Indiz dafür, dass der Koran kein heiliger, von Gott selbst geoffenbarter Text sein kann, sondern ein Spiegel menschlicher Befindlichkeiten und Defizite ist.

In Mekka, wo Mohamed geboren wurde, gab es eine jüdische und eine christliche Gemeinde. Hier kam er auch mit dem Alten und Neuen Testament in Berührung. Im Koran stehen viele Geschichten aus der Bibel, von Abraham über Moses, Noah, den Propheten und Jesus und Maria. Aber er hat diese Geschichten so umgeformt und gedreht, dass sie zu seiner Situation passten. In Mekka gründete er seine erste Gemeinde, die anfangs sehr klein war und auf schwachen Füßen stand. Deshalb stand zunächst die Botschaft der Liebe im Vordergrund: Nächstenliebe, Vergebung und Toleranz, weil er auf Toleranz angewiesen war.

Je mächtiger und siegreicher Mohamed wurde, desto häufiger führte er Kriege. Wie begründete er dieses grausame Vorgehen?

Als siegreicher Staatsführer dominierte nun die Botschaft des Hasses. Der Krieg gegen Ungläubige, Juden und Christen wurde verherrlicht und zu einer heiligen Mission erhoben, sogar zu einem Gottesdienst mystifiziert. Den Engeln gibt Allah Anweisung, wie genau sie die Ungläubigen in der Schlacht töten sollen. So nehmen die IS-Kämpfer nicht nur den Propheten zum Vorbild, wenn sie die Ungläubigen enthaupten, sondern auch die von Allah gesandten Engel. In dem Moment, wo Allah selbst in den Kampf eingreift und tötet, ist die Teilnahme am Kampf nicht mehr nur ein zweifelhaftes Mittel der Politik, sondern wird zum Gottesdienst. Allah ermutigte die Gläubigen, aktiv in den Kampf zu ziehen und dort auch zu sterben.

Auf diesem Hintergrund versteht man den Märtyrerkult der Islamisten und die Faszination junger Männer, sich in die Luft zu sprengen.

Genauso ist es. Egal wie der Kampf ausgeht. Gewinnen die Islamisten die Schlacht, gibt es Landgewinn, Kriegsbeute und schöne Sexsklavinnen. Fällt man im Kampf als Märtyrer, kommt man direkt ins Paradies, das im Koran 66mal erwähnt wird. Im Paradies gibt es alles, was sich der Mann in der Wüste wünscht. Es ist ein prächtiger Ort sinnlicher Genüsse mit Fleisch und Wein. Vor allem Jungfrauen mit wohlgeformten Brüsten. Militante Islamisten werben für den Dschihad. Sie locken junge frustrierte Männer mit der Verheißung, sie könnten sich den direkten Weg ins ewige Glück freibomben. Wer als Märtyrer stirbt, hat einen dauerhaften Platz im Paradies sicher.

Es ist nicht nur das soziale Elend, das die jungen Leute veranlasst, IS-Kämpfer zu werden. Es sind auch viele studierte, intellektuelle Leute und Ingenieure dabei. Heute gibt es weltweit 35 andere Kriege, in denen derartige Gräueltaten wie im IS-Staat in dieser massiven Form nicht vorkommen. Beim IS-Terror-Regime handelt es sich um ein ideologisches Problem. Der Sprengstoff ist die Macht des Korans mit dieser göttlichen Botschaft des Hasses. Wer das ignorieren will, tut dem Frieden keinen Gefallen. Seit dem 11. September 2001 wird uns eingetrichtert, der Islam sei die Botschaft des Friedens, und die Islamisten würden den Koran missbrauchen. Wahr ist, dass die Botschaft des Hasses im Koran festgeschrieben ist.

Der politische Journalist und Islam-Experte Peter Scholl-Latour sagte kurz vor seinem Tod, er fürchte nicht die Stärke des Islam, sondern die Schwäche der Christen.

So ist es. Der ehemalige Coach der niederländischen Fußballnationalmannschaft, Johan Cruyff, hat ein eindrucksvolles Bild gebraucht. Seine Mannschaft spielte gegen einen schwachen Gegner. Dann sagte er zu seinen Spielern: „Der Gegner kann gegen uns nicht gewinnen. Aber wir können gegen ihn verlieren.“ Die islamische Kultur ist vollkommen am Ende, nichts als Hass und Einschüchterungsstrategien. Diese Schwäche haben die Islamisten in Europa festgestellt, nach der Devise von Mao: „Verlange mehr, sei unverschämt, dann kommst du weiter.“ Hätten wir von Anfang an klare Regeln gezeigt und den Islamisten den Riegel vorgeschoben, wäre es anders. Aber wir haben geglaubt, die ganze Welt bestehe aus Humanisten. Wir haben zugelassen, dass im Namen der Toleranz die Intoleranten ihre Strukturen aufbauen konnten. Das war unsere Schwäche. Das erkennen wir aber erst jetzt, wo es einen Anschlag nach dem andern gibt.

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In der 22. Folge des „Katechismus-Podcasts“ der „Tagespost“ befasst sich Theologin Margarete Strauss mit der Bedeutung des Neuen Testaments, insbesondere der Evangelien.
30.03.2023, 14 Uhr
Meldung
Das Prophetische im Denken wie in der Verkündigung von Papst Benedikt XVI. stand im Fokus einer hochkarätigen Fachtagung im Zisterzienserstift Heiligenkreuz.
30.03.2023, 09 Uhr
Stephan Baier