Beaconsfield

Das Haus muss gerettet werden

Dem frühem Wohnhaus des großen Literaten G. K. Chesterton in Beaconsfield droht der Abriss.
G. K. Chesterton und seine Frau Frances
Foto: Society of Gilbert Keith Chesterton | 1909 ziehen Gilbert Keith Chesterton und seine Frau Frances von London in das Haus „Overroads“ in Beaconsfield und bleiben 13 Jahre dort. Das Bild zeigt die beiden im Jahr 1920.

Es ist ein Märchen vom Kampf der Schönheit gegen die Hässlichkeit, wie es der kürzlich verstorbene Sir Roger Scruton nicht besser hätte erzählen können. Es handelt von einem Haus in Beaconsfield, dessen Backsteine und Fachwerk vom Beginn des letzten Jahrhunderts erzählen. Bäume und Hecken rahmen es ein, wuchtige Schornsteine ragen in den Himmel. Doch die Besitzer wollen das Gebäude verkaufen. Als das Haus keinen Käufer findet, soll es abgerissen werden, um modernen Apartments zu weichen. Doch nicht nur das Äußere, sondern auch das Innere hat historische Tiefe: Darin lebte einer der größten britischen Autoren des 20. Jahrhunderts. Das Haus heißt Overroads - und sein einstiger Bewohner Gilbert Keith Chesterton.

1909 kehren Chesterton und seine Frau Frances London den Rücken und lassen sich hier nieder. Der Umzug entwickelt sich aus einem Spaziergang des Ehepaares, das sich spontan dazu entschließt, in Beaconsfield zu bleiben. Hier entsteht „The Ballad of the White Horse“ über Alfred den Großen, das als eines der letzten großen epischen Gedichte der englischen Literatur gilt; hier schreibt Chesterton den Roman „The Flying Inn“, der die Dystopie eines islamisch-prüden Englands zeichnet, lange vor der Geburt Houellebecqs. Und es ist hier, wo Chestertons berühmteste Romanfigur das Licht der Welt erblickt: Father Brown, der bei seinen Kriminalfällen auf Menschenkenntnis und Wahrheit setzt.

Dreizehn Jahre verbringen die Chestertons in Overroads. 1922 ziehen sie in ein neues Haus namens Top Meadow, eine größere Version von Overroads, das auf der anderen Straßenseite liegt. Nach seinem Tod im Jahr 1936 vermacht Chesterton Overroads wie Top Meadow an die örtliche katholische Diözese von Northampton. Die Auflage lautet, dass es in Zukunft einem katholischen Zweck zugeführt werden soll: als Seminar, als Konvent oder auch als Ort für anglikanische Kleriker, die zum Katholizismus übergetreten sind. Doch die Diözese veräußert beide Gebäude in den Folgejahren. Sie landen in privater Hand. Während Chestertons letzter Wohnort wegen seiner historischen Bedeutung als schützenswert gelistet ist, gilt dies für Overroads bis heute nicht.

Spendenaktionen sollen das berühmte Haus schützen

Die mögliche Zerstörung des Hauses schockt zwar nicht nur das katholisch-intellektuelle Milieu – aber dort bildet sich der maßgebliche Widerstand aus. 39 Wissenschaftler wenden sich in einem offenen Brief an die zuständige Behörde, um ein „so wichtiges Stück nationalen und internationalen kulturellen Erbes“ zu bewahren. Die Kommunalverwaltung hat eine berüchtigte Geschichte, was den Umgang mit historischer Substanz angeht: So fiel 1973 das Haus der Jugendbuchautorin Enid Blyton dem Abbruch zum Opfer. Dale Ahlquist, Vorsitzender der Society of Gilbert Keith Chesterton in den USA, zeigte sich bestürzt über das Vorhaben: „Mich trifft der Fakt schwer, dass der Schriftsteller – und Prophet – Chesterton in der ganzen Welt so bekannt ist und so geschätzt wird, aber man ihn traurigerweise in England übersieht und vernachlässigt. Für einen Amerikaner wäre das, als zerstörte man das Haus von Ernest Hemingway.“ Lord David Alton, der als Life Peer im britischen Oberhaus sitzt, bezeichnete die Aktion als einen „Akt unverzeihlicher kultureller Barbarei“.

Anfang Februar kommt die Entwarnung: die Verwaltung entscheidet sich gegen Abriss und Wohnungsbau. In trockenen Tüchern ist die Angelegenheit jedoch nicht. Denn weitere Bauanträge könnten folgen, solange das Haus nicht geschützt wird. Ahlquist: „Das gibt uns eine Atempause. Wir müssten das Haus nun auf eine Liste der schützenswerten historischen Güter setzen lassen.“ Die gemeinnützigen Organisationen National Trust und English Heritage haben zu Spendenaktionen aufgerufen, um das Gebäude vor dem Zugriff von Grundstücksspekulanten und Bauunternehmern zu retten.

Das Märchen von Chestertons Haus hat deswegen zwei Schönheitsfehler. Einerseits, weil die Firma Octagon keine modernistischen Blockapartments baut, sondern Luxuswohnungen in historisch angelehntem Stil; zweitens, weil dieses Märchen noch kein Ende hat. Chesterton wusste jedoch, dass Märchen Kindern nicht erzählen, dass Drachen existieren. Märchen erzählen den Kindern, dass Drachen getötet werden können.

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