Herr Pater Regens, der Bericht wirft ein kritisches Licht auf die Seminarausbildung. „Die Seminaristen fühlen sich kontrolliert und einer intransparenten Machtfülle der Regenten ausgesetzt.“ Was ist da dran?
Die Seminarausbildung steht in der Spannung zwischen der spirituellen, menschlichen und intellektuellen Ausbildung und der Tatsache, dass am Ende auch eine positive Antwort auf die Frage des Bischofs vor der Weihe nach der Eignung stehen muss: „Glaubst du, dass sie würdig sind?“ Die Spannung lässt sich vielleicht nicht auflösen, aber durch Benennung von Kriterien und Prozessen transparent gestalten. Das Priesterseminar hat zusammen mit der Hochschule Sankt Georgen letztes Jahr mit der Erarbeitung eines institutionellen Schutzkonzepts begonnen. Hier wird benannt werden, wo es bei einem Machtgefälle besondere Transparenz und Kontrolle braucht.
Der Bericht hält fest: „Die Regenten schreiben Gutachten über sie, die sie nicht einsehen können, die aber die Grundlage für die Entscheidung sind, ob sie geweiht werden.“ Schüren solche Praktiken nicht den Eindruck der Willkürherrschaft?
In Sankt Georgen ist es schon seit Jahren so, dass die Seminaristen die zwei Eignungsgutachten, die während der Seminarzeit erstellt werden, einsehen und lesen können. Insofern überrascht mich diese Aussage. Ausbildung kann nur gelingen, wenn es ein offenes Feedback gibt – dazu dienen die Semestergespräche zwischen Regens und Seminaristen. Zudem haben Seminaristen entsprechend der Rahmenordnung der Bischofskonferenz das Recht, dass ihnen Bedenken bezüglich der Eignung so früh wie möglich mitgeteilt werden (RO 2003, Nr. 67). Es sollte also für die Seminaristen keine nicht nachvollziehbaren Entscheidungen am Schluss der Ausbildung geben.
Die Anforderungen der Ausbildung sind Seminaristen unklar beziehungsweise ihnen nicht bekannt. Das gesamte Ausbildungssystem im Seminar ist intransparent. Warum gibt es hier nicht von Anfang an klare Absprachen?
Vielleicht müssen wir wieder und wieder die Dokumente intensiv lesen? Angefangen von dem bahnbrechenden postsynodalen Schreiben des heiligen Papstes Johannes Paul II. zur Priesterausbildung „Pastores dabo vobis“, in dem der Priester vor allem als kommunikationsfähiger Mensch gesehen wird bis hin zur neuen Ratio Universalis, die den Seminaristen als Jünger sieht, der mehr und mehr sich dem Herrn angleicht. Wir versuchen jedenfalls, die Ausbildungsaspekte „wachsen als Mensch“ – „wachsen als Christ“ – „wachsen in der Priesterberufung“ zu vermitteln.
Die befragten Seminaristen erleben ihre Ausbildung aber als Doppelleben und haben nach eigenem Bekunden zwei Gesichter im Seminar. Wie kann ihnen ein Weg zu einer authentischeren Lebensweise ermöglicht werden?
Ein Priester ist eine öffentliche Person, er sollte ein authentisches „Gesicht des Evangeliums“ werden. Das ist eine Herausforderung, in die man hineinwachsen muss und auf dem Weg dazu gibt es sicher Unsicherheiten und notwendige Klärungsprozesse. Authentisch sein ist nur möglich, wenn ich mit mir selbst, meinen Stärken und Grenzen versöhnt bin und nicht ein unrealistisches Bild von mir in der Öffentlichkeit aufrechterhalten muss. Die Menschen suchen menschliche Priester, die mit den eigenen Grenzen demütig umgehen – was übrigens auch das beste Mittel gegen Klerikalismus ist.
Können Sie den Wunsch nach professioneller Distanz im Seminar nachvollziehen? Etwa, dass das Zimmer eines Seminaristen ein persönlicher Freiraum bleibt?
Hier hat sich sicher auch im Laufe der Zeit das Empfinden in der jüngeren Generation verändert. Der Wunsch ist verständlich und muss respektiert werden. Eine professionelle Reflexion auf das, was wir tun, wie es jeder Therapeut oder Berater tut, ist unerlässlich. Trotzdem kann uns die Antwort Jesu auf die Frage der Jünger „Herr, wo wohnst du?“ – „Kommt und seht!“ daran erinnern, dass ein gewisses Sich-Öffnen-Können auch zum Lebenszeugnis dazugehört. Freiwilligkeit ist aber wichtig.
An welche Stellschrauben möchten Sie in der Priesterausbildung?
Eine der größten Herausforderungen heute ist sicher, in ein intensives persönliches geistliches Leben hineinzuwachsen, das nicht nur während der Seminarzeit mit ihren stützenden Strukturen trägt, sondern auch später im Alltag als Diakon oder Priester mit all seinen Herausforderungen und Belastungen. Wir wissen nicht, wie die Situation der Kirche in zehn oder zwanzig Jahren sein wird. Ohne eine gut grundgelegte Christusbeziehung wird es aber nicht gehen.
Hintergrund
Auszüge aus dem Bericht über ein persönliches Gespräch mit drei Priesterseminaristen des Bistums Limburg:
Die Seminaristen fühlen sich in ihrer Wahrnehmung nicht ernst genommen und nicht wertgeschätzt. (...) Sie fühlen sich kontrolliert und einer intransparenten Machtfülle der Regenten ausgesetzt. (...) Natürlich sollten diese Wahrnehmungen der Kandidaten mit den Wahrnehmungen anderer (Regenten, andere Ausbilder, andere Seminaristen …) kontrastiert werden. Trotzdem bleibt die von allen dreien relativ übereinstimmend geäußerte Wahrnehmung ebenfalls eine Realität.
Die Anforderungen der Ausbildung (curriculum) sind unklar bzw. ihnen nicht bekannt. Das gesamte Ausbildungssystem im Seminar ist intransparent. Sie haben keinen Ausbildungsvertrag und keinen Mietvertrag. Sie führen je zwei Gespräche pro Semester mit den Regenten (St. Georgen und Heimatbistum). Die Regenten schreiben Gutachten über sie, die sie nicht einsehen können, die aber die Grundlage für die Entscheidung sind, ob sie geweiht werden oder nicht. Das Gespräch mit dem Regens findet in ihrem Zimmer statt, das zugleich ihr Schlafzimmer ist. Viele Seminaristen räumen vor dem Besuch des Regens aus ihrem Zimmer Gegenstände, die der Regens nicht sehen soll. („Man hat zwei Gesichter im Seminar: eins das ich zeige und eins, wie ich wirklich bin“.)
Vor dem Freijahr (...) muss man eine Selbsteinschätzung abgeben. Niemand weiß, was damit passiert. Während der Ausbildung sind alle in geistlicher Begleitung und müssen Praktika machen, auch ein diakonisches. Dazu gibt es kaum Vorgaben, sodass man sich „durchmogeln“ kann, wenn man das will. Das heißt: zum Beispiel einen geistlichen Begleiter wählen, von dem ich weiß, dass er mich nicht fordert, ein Praktikum wählen, bei dem ich relativ sicher bin, keine allzu erschütternden Erfahrungen machen zu müssen.
Auf die Rückfrage, ob Seminarausbildung überhaupt als sinnvoll erlebt wird, waren alle drei der Meinung: ja, am Anfang des Studiums bis zum Freijahr. In dieser Zeit sei es wichtig, sich zu finden in der Rolle und sich gegenseitig Unterstützung zu geben. („Zu sagen, dass man Priester werden will, ist wie ein coming out: zuerst habe ich es meiner Mutter erzählt, dann zwei besten Freunden, um die Reaktion auszutesten; hier im Seminar muss ich mich endlich nicht mehr dafür rechtfertigen“.) (...)
Auf Rückfrage, wie denn das Thema Sexualität und Zölibat behandelt werde, sagten sie, dass es geistliche Tage zu dem Thema gäbe. Aber eigentlich würde darüber hauptsächlich in Gesprächen untereinander gesprochen, nicht im offiziellen Kontext. (...)
Es müssen (...) dringend Konsequenzen gezogen werden, die teilweise auch nicht sehr aufwändig sind: Transparenz und Information sind zwei zentrale Stichworte. Es muss klar sein, woraufhin ausgebildet wird, was von den Einzelnen erwartet wird und welche Kriterien für eine Eignung eine Rolle spielen; Gutachten müssen eingesehen werden können. Gespräche haben in Gesprächszimmern stattzufinden. Eine gute Feed-Back-Kultur ist aufzubauen, fehlerfreundlich und wertschätzend. Es muss dringend an dem Gefühl gearbeitet werden „hier kann ich mich nicht so zeigen wie ich wirklich bin“. Das erscheint mir ein absoluter Nährboden für Missbrauch.
Quelle: Bistumlimburg.de Download/2020-06-17_Abschlussbericht_online.pdf
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