Kommentar

Lysistrata war immerhin verheiratet

Mit einem Sex-Streik für ein Recht auf Abtreibung kämpfen? Auf so eine Idee muss man erst mal kommen. Von Tobias Klein
Abtreibung
Foto: ALfA | Mit einem Sex-Streik für ein Recht auf Abtreibung kämpfen? Auf so eine Idee muss man erst mal kommen.

In den USA zeichnet sich nach dem Rücktritt des liberalen Bundesrichters Anthony Kennedy eine konservative Stimmenmehrheit am Obersten Gerichtshof ab, was bei den Einen die Hoffnung, bei den Anderen die Befürchtung weckt, das Grundsatzurteil im Fall „Roe vs. Wade“ aus dem Jahr 1973, mit dem ein prinzipielles Recht auf Abtreibung begründet wurde, könne revidiert werden. Doch die Journalistin und Buchautorin Jennifer Wright, bekannt vor allem als Kolumnistin mit den Themenschwerpunkten „Sex und Dating“, hat einen Plan, wie das (aus ihrer Sicht) Schlimmste verhindert werden kann: Frauen sollen mit Männern, die ein Recht auf Abtreibung nicht befürworten, einfach nicht ins Bett gehen.  Auf Twitter wirbt Wright für dieses bemerkenswerte Konzept unter dem Namen „Lysistrata 2018“– nach der Titelheldin jener antiken Komödie, in der die Frauen ihren Männern den ehelichen Verkehr verweigern, um den Peloponnesischen Krieg zu beenden.

Neben der erhofften Zustimmung und billigend in Kauf genommenen Empörung erntete die Sexkolumnistin für ihren Vorstoß allerdings auch Spott: Es sei eine aberwitzige Vorstellung, man könne die zumeist christlich-konservativen Lebensschützer dadurch ärgern, dass man außerehelichen Sex boykottiere – was ja vielmehr ganz in deren Sinne wäre.

Ganz so lächerlich ist Wrights Idee aber im Grunde doch nicht. Immerhin offenbart sie in aller wünschenswerten Deutlichkeit, dass außerehelicher Sex – oder Sex außerhalb fester Beziehungen – eine Handelsware ist und als solche einen Preis hat. Und dieser Preis ist tatsächlich davon abhängig, wie sicher man sein kann, den Geschlechtsakt nicht mit unerwünschter Elternschaft „büßen“ zu müssen. Und da keine Verhütungsmethode hundertprozentig verlässlich ist, ist das, was die sexuelle Revolution unter „freier Liebe“ versteht – ein rein lustorientiertes Ausleben von Sexualität ohne längerfristige Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten – ohne freie Verfügbarkeit von Abtreibung tatsächlich nicht zu haben. So gesehen ist es kein Wunder, wenn Anhänger der sexuellen Revolution sich von Abtreibungsgegnern, so friedlich diese auch auftreten mögen, bedroht fühlen: Eine Kultur, die ein ungehemmtes Ausleben von Sexualität zum Menschenrecht erhebt, kann ohne Abtreibung nicht bestehen. Wer Abtreibung bekämpft, stellt die gesamte sexuelle Revolution infrage.

Für die Inhalte der MeinungsMacher-Kolumnen sind die jeweiligen Autoren verantwortlich. Ihre Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Tagespost-Redaktion wieder. DT (jbj)

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Abtreibungsgegner Anthony Kennedy Geschlechtsverkehr

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