Im April des vergangenen Jahres wurde die Israelin Naama Issachar mit 9, 5 Gramm Haschisch in ihrem Gepäck auf dem Moskauer Flughafen festgenommen. Angeklagt wegen Drogenschmuggels wurde sie zu siebeneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt und ihr Schicksal hat sich zu einem diplomatischen Tauziehen zwischen Israel und Russland entwickelt, bei dem es auch um Überreste der konstantinischen Grabeskirche in Jerusalem und die Geschichte der russisch-orthodoxen Kirche geht. Wie die israelische Zeitung Ma'ariv aufdeckte, sollen nun die Besitzrechte an einem Gebäudekomplex, der in der Jerusalemer Altstadt direkt neben der Grabeskirche liegt, an die Russische Föderation übertragen werden.
Erst 1882 wieder im Fokus der russischen Interessen in Jerusalem
Im Namen der russischen, kaiserlichen Regierung wurde als Ort für den Bau eines Konsulats 1859 ein Grundstück an der südwestlichen Seite der heutigen Grabeskirche gekauft. Bereits bei den ersten Säuberungen des Areals wurde die archäologische Relevanz des Ortes deutlich und spätere Ausgrabungen brachten Reste der alten Torbauten der antiken, konstantinischen Grabeskirche und deren Atrium hervor. Es wurde der Entschluss gefasst, das Konsulat außerhalb der Altstadt zu bauen und das Grundstück neben der Grabeskirche kam erst 1882 wieder in den Fokus der russischen Interessen in Jerusalem. In diesem Jahr gründete Kaiser Alexander III. die „Kaiserliche Orthodoxe Palästina-Gesellschaft“ zu Verwaltung der russischen Besitztümer im Heiligen Land. Der deutsche Archäologe und evangelische Missionar Conrad Schick wurde mit einer gründlichen Ausgrabung beauftragt, nach deren Abschluss über den Funden der sogenannte Alexander-Hof errichtet wurde. Dazu gehört unter anderem ein Pilgerhospiz, ein kleines Museum und eine dem orthodoxen Heiligen Alexander Newsky geweihte Kirche.
Dieser Gebäudekomplex gehört heute, nach dem Zusammenbruch sowohl des Zarenreiches als auch der kommunistischen Sowjetunion, einer privaten Stiftung, eingetragen in München, die sich vollständig von der Russisch-Orthodoxen Kirche abgespalten hat. Nach der Oktoberrevolution im Jahr 1917 hatte in Russland die Zeit der staatlichen Repression begonnen. Dutzende von Bischöfen und Hunderte von Priestern wurden hingerichtet. In dieser Situation gab die Russisch-Orthodoxe Kirche eine erzwungene Loyalitätserklärung gegenüber dem sowjetischen Staat ab, was de facto zu einer Kirchenspaltung führte.
Russische Emigranten gründeten eine eigene Kirchenstruktur
Russische Emigranten gründeten eine eigene Kirchenstruktur, die „Russisch-Orthodoxe Kirche im Ausland“. Parallel dazu entstanden zwei Nachfolgeorganisationen der Kaiserlichen Orthodoxen Palästina-Gesellschaft. Die britische Mandatsregierung in Palästina präferierte die anti-kommunistische Abspaltung und übertrug ihr die Besitzrechte. Nach der Errichtung des Staates Israels 1948 und dessen Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der Sowjetunion wurden die Besitzrechte jedoch an das Moskauer Patriarchat übertragen – außer in dem von Jordanien besetzten Westjordanland und in der Jerusalemer Altstadt. Ein Teil des Besitzes der Kaiserlichen Orthodoxen Palästina-Gesellschaft auf dem damaligen Staatsgebiet Israels war bereits zuvor in der Zeit des britischen Mandats verkauft worden. Der verbleibende Teil, außer Kirchen und Kapellen, erwarb Israel dann 1964 für die Summe von 3, 5 Millionen US-Dollar, die aufgrund von fehlenden Geldern teilweise mit Orangenlieferungen beglichen wurden.
Die andere Nachfolgeorganisation, die sich als rechtmäßiger Rechtsnachfolger der Kaiserlichen Orthodoxen Palästina-Gesellschaft definierte und der antisowjetischen Abspaltung der Russisch-Orthodoxen Kirche nahestand, verblieb jedoch auch nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 Eigentümer ihrer Besitzungen im Westjordanland und in der Jerusalemer Altstadt. Geleitet wurde sie von dem Archimandrit Aleksey Grabbe. Ihm gelang es, Teile der russischen Besitztümer in West-Jerusalem durch Gerichtsverfahren wiederzuerlangen. Doch gemäß dem Urteil einer Bischofssynode der Russisch-Orthodoxen Kirche im Ausland wurde er 1986 wegen Veruntreuung abgesetzt und seiner Ämter innerhalb der Kirche enthoben. Er widersetzte sich seiner Absetzung und übernahm den Alexander-Hof in seiner Funktion als Leiter der von der Bischofssynode unabhängigen Orthodoxen Palästina-Gesellschaft.
Versöhnung am Himmelfahrtsfes 2007
90 Jahre nach der Spaltung der Russisch-Orthodoxen Kirche kam es am Himmelfahrtsfest 2007 zu einer Versöhnung. Die Russisch-Orthodoxe Kirche im Ausland wurde zu einem „sich selbst verwaltenden Zweig“ unter der Führung des Moskauer Patriarchats. Der Alexander-Hof war jedoch kein Teil dieser Versöhnung. Nach dem Tod Aleksey Grabbes übernahm der in der Westukraine geborene und heute in der Schweiz lebende Nikolai Hoffmann-Worontsow den Vorsitz der Gesellschaft und überführte sie in den Besitz einer in München unter dem Namen „Russian Orthodox Society Holy Land“ eingetragenen Stiftung.
2015 hat der damalige russischen Ministerpräsident Dmitri Medwedew vom
Staat Israel die Übertragung der Besitzrechte an die Russische Föderation beantragt. Da Israel darum bemüht ist, den geltenden kirchlichen Status Quo in der Jerusalemer Altstadt aufrechtzuerhalten und sich daher nicht in innerkirchliche Angelegenheiten einmischt, blieb diese Anfrage lange Zeit unbeantwortet. Das diplomatische Tauziehen, um Naama Issachar aus dem Moskauer Gefängnis zu befreien, hat jedoch nun dazu geführt, dass Israel angekündigt hat, die Besitzrechte zu übertragen – dem kann Nikolai Hoffmann-Worontsow widersprechen und es würde zu einem Gerichtsverfahren kommen.Bereits vor einem möglichen Gerichtsurteil stehen jedoch schon eine Nutznießerin, ein Gewinner und ein Verlierer fest. Vergangene Woche Mittwoch hat der russischen Präsident Vladimir Putin die Begnadigung Naama Issachars unterschrieben. Einer ihrer Anwälte erklärte daraufhin gegenüber der Presse, dass Begnadigungen in Russland äußerst selten gewährt werden. „Bis heute hat der russische Präsident noch nie einen Ausländer begnadigt.“ Zugleich ist die angekündigte Übertragung der Besitzrechte am Alexander-Hof ein diplomatischer Erfolg für Israel, denn sie, wie schon das Ersuchen aus dem Jahr 2015, legt offen, dass die Russische Föderation die umstrittene Jerusalemer Altstadt als Staatsgebiet Israels anerkennt. Dies ist hingegen eine beunruhigende Nachricht für die Kirchen in Israel: Der Staat positioniert sich somit wieder deutlich in einem innerkirchlichen Streit und zeigt an, gewillt zu sein, dies zum eigenen diplomatischen Nutzen zu verwenden.
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