Priestermangel

Der Priestermangel betrifft nicht nur die katholische Kirche

Auch die Evangelische Kirche leidet unter Nachwuchsmangel. Die Aufhebung des Zölibats und die Einführung des Frauenpriestertums alleine würden den Priestermangel also nicht beheben.
Nachwuchsmangel bei envangelischer Kirche
Foto: Jan Woitas (dpa-Zentralbild) | Die Zahl der Ordinationen ist in der EKD zwischen 1994 und 2016 von 975 um gut zwei Drittel auf 322 gefallen, während die Zahl der evangelischen Kirchenmitglieder im gleichen Zeitraum lediglich um 22 Prozent von 28,2 ...

Denn was aus der Taufe gekrochen ist, das kann sich rühmen, dass es schon zum Priester, Bischof und Papst geweiht sei, obwohl es nicht einem jeglichen ziemt, solch Amt auszuüben." Vor reichlich 500 Jahren hob Martin Luther mit diesen Worten das "Priestertum aller Gläubigen" nicht nur sprichwörtlich aus der Taufe. Ohne Zölibat können Männer und Frauen zu Pfarrern ihrer Gemeinden bestellt werden, doch: Was alle können, das wollen immer weniger. Während der Priestermangel in der Katholischen Kirche breit diskutiert und oft auf enge Zulassungsbeschränkungen zum Weiheamt zurückgeführt wird, zeigt ein Blick in die Evangelische Kirche, dass auch ohne Ehelosigkeitsversprechen und mit Öffnung des Weiheamtes nicht alle Probleme gelöst sein müssen.

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In Landeskirchen auch Laien zu Vorstehern von Abendmahlsfeiern ordiniert

Ein nüchterner Blick auf die Zahlen erschließt zunächst eine Konstante: Die Zahl der Ordinationen der evangelischen Landeskirchen liegt um ein etwa Vierfaches über der Zahl der Priesterweihen in den katholischen Diözesen Deutschlands. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in einigen Landeskirchen auch Laien zu Vorstehern von Abendmahlsfeiern ordiniert werden, ohne dadurch im klassischen Sinne Pfarrer zu sein. Innerhalb der EKD gibt es derzeit gut 13 000 Ordinierte in den Gemeinden, wobei sich der Frauenanteil auf 20 25 Prozent beläuft. Die Zahl der Ordinationen ist dabei zwischen 1994 und 2016 von 975 um gut zwei Drittel auf 322 gefallen, während die Zahl der evangelischen Kirchenmitglieder im gleichen Zeitraum lediglich um 22 Prozent von 28,2 auf 21,9 Millionen sank.

Zum Vergleich: Im Jahr 1994 wurden in der Katholischen Kirche 214 Männer zu Priestern geweiht, 2016 waren es nur noch 77, das sind 64 Prozent weniger, während die Zahl der Kirchenmitglieder um 14 Prozent sank   von 27,5 auf 23,6 Millionen Katholiken. Wer nach Inhalten Ausschau hält, welche die beiden Kirchen mehr verbinden, als dass sie sie trennen, der ist in der Kirchen-Statistik genau richtig: Obwohl die Ordinationszahlen noch deutlich über denen der Priesterweihen liegen, sind auch diese von einem Abwärtstrend gekennzeichnet und entwickeln sich im langfristigen Vergleich nahezu synchron.

Arbeitsgruppe zu Berufsbildern im Verkündigungsdienst beschäftigt sich mit Nachwuchsproblemen

Der "Pfarrermangel" ist längst kein rein katholisches Phänomen mehr und wird derzeit verschärft durch eine Vielzahl von Pfarrer-Pensionierungen. "Die Frage, wie wir auch künftig gut qualifizierte Menschen für die Arbeit in unserer Kirche gewinnen können, war in den letzten zehn Jahren prägend für kirchenleitende 
Grundentscheidungen", sagt Kirchenrätin Tabea Köbsch, Pressesprecherin der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens. Dort wurde 2011 eine Arbeitsgruppe zu Berufsbildern im Verkündigungsdienst gebildet, welche in ihrem Abschlusspapier wesentliche Problemfelder benennt: Neben demographischen Veränderungen (steigender Altersdurchschnitt, Urbanisierung) und der zunehmenden Individualisierung der Lebensentwürfe wird die Verringerung der Berufszufriedenheit durch die Zusammenlegung von Gemeinden mit der damit verbundenen Addition von Aufgaben benannt.

Die Mitarbeiter "fühlen sich zerrieben zwischen den Interessen der verschiedenen Kirchgemeinden ihres Zuständigkeitsbereiches". Ein Sprecher der EKD teilt auf Anfrage mit, dass "mögliche Gründe für den Rückgang die zunehmende Zahl der Stellenteilungen und ab 2000 auch die perspektivisch zurückgehenden Finanzen gewesen sein könnten". Gerade die neuen Bundesländer seien in den 90ern herausgefordert gewesen: "Eine Ursache für den Einbruch der Zahl der Ordinationen im Osten Deutschlands etwa zehn Jahre nach der Wende ist sicherlich auch in der damaligen Verunsicherung zu sehen, die dort in den 90er Jahren deutlich größer war als im Westen."

Kritischer Punkt: keine festen Arbeitszeiten

Pfarrer Johannes Meier, Referent für theologische Nachwuchsgewinnung in der Landeskirche Kurhessen-Waldeck, beschreibt "die oftmals unklare Trennung von Berufs- und Privatleben" ohne feste Arbeitszeiten als einen "kritischen Punkt, der nicht nur vom Nachwuchs diskutiert und angefragt wird". Zugleich sei der Beruf aber auch deshalb "sehr familienfreundlich und flexibel". Ebenfalls in der Kurhessischen Landeskirche ist der 30-jährige Björn Henkel als Pfarrer tätig. Er beobachtet, dass beim Thema Nachwuchs in der evangelischen Kirche lebenspraktische Punkte im Mittelpunkt stehen, es aber auch um Berufung ginge: "Auch ein evangelischer Pfarrer muss Opfer bringen und er muss bereit sein, sein Innerstes preiszugeben."

Henkel, der vor zwei Jahren ordiniert wurde und heute in Kassel-Niederzwehren als Seelsorger wirkt, ist Anfragen ausgesetzt: "Manchmal reagieren Leute richtig entsetzt, wenn ich sage, dass ich Pfarrer bin und meinen, sowas brauche doch heute keiner mehr. Auch das Gemeindeleben verändert sich. Manche Gruppen und Vereine haben keinen Zuwachs, die Konfirmanden freuen sich über eine schöne Konfi-Zeit, entwickeln aber nie eine Identifikation mit ihrer Gemeinde oder der Amtskirche, weshalb auch die Berufungsfragen ausbleiben." Die Frage, wo die Evangelische Kirche in zwanzig oder dreißig Jahren einmal steht, sei mit vielen Unsicherheiten verbunden. "Ich habe keinen fertigen Entwurf für eine Kirche der Zukunft", sagt Henkel, "aber ist es beispielsweise meine Aufgabe, noch Gottesdienst zu feiern, wenn kaum noch Leute kommen? Braucht es keine neuen Formate?"

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Stipendium lockt neue Studenten an

Seine früheren Kommilitonen hätten etwa keinen persönlichen Zugang zu Abendmahlsgottesdiensten und tun sich schwer, diese zu feiern. Der Kasseler ist skeptisch: "Ich frage mich, ob es richtig ist, Erfolg und Relevanz nur an Besucherzahlen zu messen." Doch was treibt junge Menschen heute umgekehrt dazu, sich für den Pfarrerberuf zu begeistern? "Ich war einfach begeistert von meiner Gemeindepastorin, die bei uns im Dorf viel bewegt und zusammengehalten hat", meint Henkel, "auch war die Feier des Gottesdienstes für mich selbst ausschlaggebend, der Zugang zu Ästhetik, das Orgelspiel." Johannes Meier, der viele Studenten auf dem Weg zum Pfarramt begleitet, sagt: "Die Motivationslage ist extrem breit und reicht von akademischer Neugier bis hin zu guten Erfahrungen in der kirchlichen Jugendarbeit oder im Konfirmandenunterricht."

Zahlreiche Kanäle   Websites, Inserate in Abiturzeitungen, Schul- und Jugendarbeit usw. werden bedient, um Nachwuchswerbung zu betreiben. Seit 2016/17 gewährt die Kurhessische Landeskirche 100 Studenten gleichzeitig ein monatliches Stipendium von 500 Euro, seitdem sei die Bewerberliste von knapp 60 auf etwas über 100 Studenten angewachsen. Optimistisch schaut Meier auch auf die Veränderungen durch die Pandemie: "Es wird spannend sein, zu beobachten, inwiefern der Boom der neuen, auch digitalen Verkündigungsformate während der Corona-Zeit auch neue Zielgruppen und neue Begeisterung entfacht."

Kultur und Stimmungslage in den Kirchgemeinden entscheidend

Besteht also eine Perspektive, dass die Zahl der Ordinationen ein stabiles Niveau halten oder gar wieder steigen kann? Die sächsische Kirchenrätin Köbsch gibt zu bedenken: "Die Attraktivität von Berufsfeldern hängt auch entscheidend davon ab, welche Kultur und Stimmungslage in den Kirchgemeinden selbst geprägt wird." Nicht nur theologische Auseinandersetzungen, sondern auch eine Arbeit an einem am Priestertum aller Getauften ausgerichteten Kultur und Stimmungslage innerhalb der Kirchen sind auf beiden Seiten der Ökumene angefragt, geht es um einen synchronen Wiederanstieg der Ordinationszahlen.

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