Polen

Polen: Katholisches Volksbrauchtum in der Weihnachtszeit

An Weihnachten darf gesungen werden: Polens Katholiken pflegen zum Fest das Volksbrauchtum.
Laufender Engel
Foto: Harald Oppitz (KNA) | Warmlaufen für Weihnachten (Symbolbild): Die Aussicht auf die Begegnung mit dem Kind in der Krippe beflügelt diesen Weihnachtsengel. In Polen spiegelt sich die Festfreude auch im Tanz.

Das gemeinsame Singen katholischer Weihnachtslieder ist in Polen fester Bestandteil der Weihnachtstraditionen. Nicht nur in der Kirche, auch zu Hause singt man in der Weihnachtszeit katholische Weihnachtslieder.

Das Musizieren beginnt an Heiligabend, zwischen dem festlichen Abendmahl und der Christmette, die traditionell um Mitternacht stattfindet. An den Feiertagen geht es beim gemütlichen Beisammensein weiter, wobei der Gesang oft an der Geige, Flöte oder am Klavier begleitet wird.

Zum Jahresende hin gemeinsam zu musizieren, ist eine vorchristliche Tradition: Damals gingen Grüppchen junger Knaben von Haus zu Haus und überbrachten mit ihrem Gesang den Hausbewohnern, im Gegenzug für eine kleine Gabe, Segenswünsche für das neue Jahr. Häufig verkleideten sie sich als Tiere, allen voran als Bär, Wolf, Ziege oder die krampusähnliche Gestalt turoń. Mit der Christianisierung des Landes rückte das Verkleiden in den Hintergrund, das Singen aber blieb. Es wurde jedoch mit religiösen Inhalten und Requisiten angereichert: Fortan trugen die Knaben einen Stern auf einem Stab mit sich, weshalb sie Sternträger genannt wurden und sangen von der Geburt Christi.

Das älteste polnische Weihnachtslied wird auf das Jahr 1424 datiert. Es handelte sich dabei allerdings „nur“ um eine Übersetzung aus dem Lateinischen. Das Lied selbst ist heute weitgehend unbekannt. Die ersten urpolnischen Weihnachtslieder entstanden erst ein Jahrhundert später. Ihre Blütezeit erlebten sie zwischen dem 17. und 19. Jahrhundert: Aus dieser Zeit stammen die heute bekanntesten und populärsten polnischen Weihnachtslieder.

Mündliche Überlieferung der Melodien 

Die Besonderheit der polnischen Weihnachtslieder liegt in deren Melodie und Rhythmus. Bereits im 17. Jahrhundert wies der Poet Jan Żabczyc darauf hin, dass Weihnachtslieder auf die Melodien bekannter polnischer Tänze gesungen werden sollten. Und tatsächlich sind heutzutage die beliebtesten polnischen Weihnachtslieder – sowohl die langsamen Krippenlieder als auch die schnelleren Hirtenlieder – tanzbar, und zwar als die polnischen Nationaltänze Mazurka, Oberek, Kujawiak und Polonaise. Die Melodien der einzelnen Lieder haben sich im Laufe der Jahrhunderte verändert, bis sie schließlich so eingängig wurden, dass man sie mündlich überlieferte. Die religiöse Thematik paarte sich mit volksnahen Elementen wie Hirten und Vieh, sodass polnische Weihnachtslieder Teil der Folklore wurden: Die meisten Menschen beherrschen sie, ohne dass sie sie aktiv lernen müssen.

Es ist in Polen üblich, je ein bis drei Strophen von etwa einem Dutzend Weihnachtslieder auswendig zu können. Das Auswendigkönnen der Lieder in diesem Umfang hängt auch damit zusammen, dass es in Polen keine Entsprechung des deutschen Gotteslobs gibt. Ein persönliches Gebetsbuch, das man traditionell zur Erstkommunion geschenkt bekommt, enthält zwar auch den Text vieler Weihnachtslieder, wird aber normalerweise nicht in den Gottesdienst mitgenommen. Wenn es überhaupt eine Gesangshilfe gibt, dann in Form von Textprojektionen, die der Organist auf eine Leinwand wirft.

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Im Rhythmus einer Polonaise

Obwohl es letztendlich Geschmackssache ist, gilt ein Werk unter den polnischen Weihnachtsliedern als deren heimliche Königin: das im Rhythmus einer Polonaise gesungene „Bóg się rodzi“, mit dem der Weihnachtsgottesdienst meist eröffnet oder beendet wird. Das Lied ist sehr feierlich und klingt majestätisch. Anders als die Krippen- und Hirtenlieder ist es ernst und erhaben. Der Text ist stilistisch sehr ausgefeilt, sowohl inhaltlich als auch hinsichtlich der sprachlichen Form. Er beinhaltet viele Widersprüche als Zeichen dafür, dass für Gott nichts unmöglich ist – Macht verblasst, Feuer erkaltet – und bezieht sich auf den Anfang des Johannesevangeliums. Verfasst wurde das „Bóg się rodzi“ von dem polnischen Dichter und Übersetzer Franciszek Karpiński, im Auftrag der aus der berühmten Czartoryski-Dynastie stammenden Fürstin und Kunstmäzenin Izabella Lubomirska.

1787 entstanden und 1792 uraufgeführt, spiegelt es auch die politischen Zeitumstände unmittelbar vor der zweiten Teilung Polens wieder. Vor diesem historischen Hintergrund sind die Passagen zu verstehen, in denen das Christuskind angerufen wird, die geliebte Heimat zu segnen, die der Zerstörung anheimzufallen droht. Die heutige Melodie stammt von Karol Kurpiński und soll auf der im 16. Jahrhundert gespielten Krönungspolonaise der polnischen Könige basieren. Im Deutschen liegt eine Übersetzung des kunstvollen Weihnachtsliedes vor. Da sie aber stark die formalen Aspekte berücksichtigt, ist ihr Inhalt nicht so gut zugänglich wie im Original. Um ein authentisches Nachempfinden zu ermöglichen, wird hier deshalb eine originalgetreue Übersetzung der ersten Strophe vorgestellt:

Gott wird gerade geboren
Macht erstarrt
Der Herr des Himmels, entblößt
Feuer erkaltet, Glanz verblasst
Er hat Grenzen, der Unendliche
Verachtet, in Ehre gehüllt
Der sterbliche Gott der Ewigkeit
Und das Wort ist Fleisch geworden
Und hat unter uns gewohnt.

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