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Nathalie Becquart: „Man liebt Christus auch durch die Kirche“

Schwester Nathalie Becquart, Untersekretärin der Bischofssynode, erinnert daran, dass nur die persönliche Umkehr im Zentrum jeder Reform der Kirche steht.
Nathalie Becquart ist die erste Untersekretärin der Bischofssynode.
Foto: IMAGO/Vandeville Eric/ABACA (www.imago-images.de) | Nathalie Becquart ist die erste Untersekretärin der Bischofssynode.

Schwester Nathalie, warum sind Sie Ordensfrau geworden?

Als Jugendliche hatte ich lange vor, Mutter zu werden, und stellte mir vor, dass ich einmal heiraten würde. Gleichzeitig war ich stets eine engagierte Christin. An ein Leben im Orden habe ich lange nicht gedacht. Doch gegen Ende meiner Ausbildungszeit habe ich mir allmählich mehr Fragen gestellt: Was will ich aus meinem Leben machen? Was ist der Sinn des Lebens? Was werde ich später einmal machen? Welcher Arbeitsstil ist etwas für mich? Mit der Seelsorgestelle der Hochschule, auf der ich war – eine Wirtschaftshochschule –, habe ich dann an einem Gebetswochenende für Studenten teilgenommen. Dort habe ich wirklich eine persönliche Begegnung mit Christus erlebt. Von da an habe ich angefangen, jeden Tag vom Wort Gottes ausgehend zu beten. Ich hatte eine geistliche Begleitung und versuchte zu erkennen, wie es weitergeht. Ich wollte etwas von meiner Zeit abgeben und vor dem Einstieg ins Berufsleben ein Jahr ehrenamtlich tätig sein. Am Ende meiner Ausbildung habe ich mich dann auf den Weg gemacht.

Wohin sind Sie gegangen?

In den Libanon, nach Beirut. Der Bürgerkrieg war gerade zu Ende. Ich habe in einer Schule unterrichtet und mich am Wochenende um Flüchtlinge und Waisen gekümmert. Während dieses Jahrs im Libanon habe ich bei den Begegnungen mit Ordensleuten vor Ort gespürt, dass das ein Weg für mich sein könnte. Ich sah junge Ordensleute, aus denen mich Christus anstrahlte und die anderen dienten. Gerade in diesem Jahr im Libanon habe ich das Ordensleben ein bisschen mehr von innen her kennengelernt, da ich in der Schule, in der ich unterrichtete, mit den Schulschwestern zusammenwohnte. Dort habe ich das Ordensleben konkret kennengelernt und außerdem Einkehrtage gemacht, mich geistlich begleiten lassen und gebetet. Durch die Erfahrung, weit weg von zu Hause zu sein, habe ich  gesehen, dass ich in Frankreich wirklich das Glück gehabt hatte, in einem Land aufzuwachsen, in dem Frieden herrscht, und eine gute Ausbildung bekommen zu haben. Im Libanon traf ich dagegen junge Leute, die nur Krieg kennengelernt hatten. 

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Was verdanken Sie Ihrem Aufenthalt im Libanon?

Im Libanon habe ich entdeckt, dass der Sinn des Lebens darin besteht, zurückzugeben, was man empfangen hat, zu verschenken, den Mitmenschen zu dienen und sie zu lieben. Im Gebet bin ich Christus dann immer stärker persönlich begegnet, und durch die Erfahrung seiner Liebe habe ich allmählich erkannt, dass ich vielleicht auch zum Ordensleben berufen bin. Das ist alles nicht an einem Tag passiert. Ich kam nach Frankreich zurück und bin den Xavières-Schwestern begegnet. Ich sagte mir gleich: Wenn ich irgendwo eintrete, dann da. Nachdem ich zwei Jahre gearbeitet hatte, spürte ich, dass ich berufen war, Christus im Ordensleben zu folgen. 1995 bin ich dann also bei den Xavières-Schwestern eingetreten. Die Xavières-Schwestern haben die Spiritualität des heiligen Ignatius von Loyola; wir gehören zur ignatianischen Familie. Wir stehen den Jesuiten recht nahe, und die Devise der Xavières-Schwestern, die ich sehr liebe, lautet: „Mit Leidenschaft für Christus, mit Leidenschaft für die Welt.“ Ich bin in den Orden eingetreten, um Christus mitten in der Welt von heute nachzufolgen. Nach und nach habe ich erkannt, dass man Christus auch durch die Kirche liebt.
In Frankreich haben Sie die Abteilung für die Evangelisierung der Jugend und für Berufungspastoral der Französischen Bischofskonferenz geleitet.

Welche Erfahrung erachten Sie als besonders wertvoll für Ihre jetzige Arbeit beim Generalsekretariat der Bischofssynode?

Ich bin viel herumgekommen und war oft in den Diözesen, aber auch bei Begegnungen mit den christlichen Bewegungen, Gemeinschaften und Jugendverbänden. Fast jede Woche war ich in einer anderen französischen Diözese. Dabei habe ich viel Erfahrung in der französischen Kirche gesammelt. Durch mein Amt war ich für die Organisation der Weltjugendtage für die französische Delegation verantwortlich und nahm an internationalen Treffen mit meinen Kollegen aus den anderen Ländern teil. Es gab auch Treffen auf Ebene des CCEE, des Rats der Europäischen Bischofskonferenzen. Es war immer sehr bereichernd, mit meinen jeweiligen Kollegen von den anderen Bischofskonferenzen Europas zusammenzukommen. Alle meine Vorgänger waren Priester. Ich wurde von Zeit zu Zeit zu Zusammenkünften nach Rom gerufen, die vom Vatikan organisiert wurden. Alle diese Erfahrungen haben dazu beigetragen, das Terrain zu erkunden und die Abläufe in einer Diözese und in einer Bischofskonferenz kennenzulernen. Sie haben mir auch einen weiteren Blick und eine Sicht auf die Kirche in Europa und auf die Weltkirche vermittelt. Das hilft mir bei meiner Arbeit im Vatikan, denn im Generalsekretariat der Synode stehen wir im Dienst der Ortskirchen. Auch die Teilnahme an der Jugendsynode 2018 war eine gute Vorbereitung.

Welche Frauen haben Sie inspiriert? 

Sehr viele Frauen, die ich in Büchern über traditionelle Spiritualität kennengelernt habe, haben mich bereichert und geprägt. Ich habe viele Biografien von Frauen der Kirchengeschichte gelesen. Bereichert und geprägt haben mich aber auch sehr viele Frauen, die ich im Laufe meines Lebens getroffen habe. Im Blick auf die Geschichte hat mich etwa das Beispiel der christlichen Französinnen in der Résistance geprägt, die während des Zweiten Weltkriegs in Lager deportiert wurden und unter härtesten Bedingungen durchgehalten und die Hoffnung nicht verloren haben. Sie haben Zeugnis dafür abgelegt, dass Leben möglich ist, anderen gedient und so ihre Widerstandskraft gegen das Schreckliche, das sie durchgemacht hatten, gezeigt, weil sie auch die Solidarität mit anderen erlebt haben. In meiner Familie hat mich meine Großmutter sehr geprägt. Sie war eine gläubige Frau und hat ihren Mann sehr früh verloren, als sie mit dem vierten Kind schwanger war. Ihr Leben stand ganz im Dienst an anderen; sie hat sich sehr in der Kirche engagiert und sich zugleich sehr um ihre Enkel gekümmert. Sie hat ganz einfach Zeugnis für den Glauben abgelegt, aber das hat mich tief geprägt. Ich habe während meiner Ausbildung in Frankreich und den USA auch von vielen Ordensfrauen gelernt – sowohl meinen Mitschwestern als auch Ordensfrauen aus anderen Gemeinschaften –, die mich inspirierten und ermutigten. Während ich mich auf Ekklesiologie spezialisiert habe und am Boston College über das Thema Synodalität forschte, bekam ich viel Empowerment (Hilfe zur Selbsthilfe, A.d.Ü.). Ich fühle mich sehr verpflichtet und kann nicht von mir sprechen, ohne an all die Frauen zu denken, die vor mir hergegangen und mich begleitet haben. Bei meinem Auftrag im Vatikan fühle ich mich vielen Frauen verbunden, die der Kirche dienen. Ich weiß auch, dass viele für mich beten und sehe all diese Frauen und mich im selben Boot sitzen. 

Die Frage der Zulassung von Frauen zum Weiheamt spielt in Deutschland in der Debatte über die Rolle der Frauen eine Rolle. Finden Sie das angemessen?

Ich möchte einfach hervorheben, was die Konsultation des synodalen Prozesses ergeben hat. Klar ist, dass die Frage nach mehr Beteiligung von Frauen auf der ganzen Welt gestellt wird, Leitung und Führungsaufgaben eingeschlossen. Das zeigt sich eindeutig überall. In Deutschland und einigen Ländern fordern manche Gruppen die Frauenweihe oder den Diakonat der Frau. Aber diese Forderung wird keineswegs einstimmig überall erhoben. Ich unterstreiche, dass katholische Frauen sehr unterschiedlich gestrickt sind und nicht dieselben Prioritäten und Sichtweisen haben. In vielen Ländern fordern Frauen beispielsweise in erster Linie, dass die Kirche an ihrer Seite Gewalt und Diskriminierung bekämpft. Es kommt hier nicht auf meine persönliche Meinung an, sondern darauf, welche Wege die Kirche dabei unterscheiden wird. Heute ist die Frauenfrage für mich ein Zeichen der Zeit. Da haben wir es mit einem Megathema zu tun.

Welche Antworten werden sich herauskristallisieren, mit denen ein Konsens und Communio möglich ist? Denn Ziel einer Synode ist es nicht, Entscheidungen zu treffen, bei denen die Hälfte oder drei Viertel der Leute nicht mitgenommen werden. Das geht nicht. Ich bin mit vielen anderen davon überzeugt, dass es mehr Frauen in Führungspositionen braucht. Denn überall, wo Männer und Frauen im Team leiten, werden bessere Entscheidungen getroffen, von denen alle etwas haben. Papst Franziskus macht das im Vatikan. Neulich hat er das beschrieben: „Seitdem die Vizeregierungschefin des Vatikanstaats eine Frau ist, läuft es hier viel besser.“ Papst Franziskus schlägt einen interessanten Weg ein und entkoppelt Verantwortung und Weiheamt. Die Kirche ist heute aufgerufen, eine synodale Kirche zu werden. Das heißt, sie muss sich von einem klerikalen Modell lösen, bei dem alles auf den Schultern der Geistlichen liegt, um ein Bild von Kirche als Volk Gottes zu gewinnen, wo alle handeln und gemeinsam die Sendung weitertragen. Eine Herausforderung besteht darin, wie man allen Getauften unabhängig von ihrer Berufung hilft, missionarische Jünger zu sein und das Heft in der Verkündigung in die Hand zu nehmen. Geht der Weg der Mission heute und die Zukunft der Kirche über neue Ämter? Darüber wird nachgedacht und es gibt schon reichlich Erfahrung mit Frauen in verantwortungsvollen Aufgaben. Das ist für mich ein Zeichen. Bestimmte Änderungen können nicht ganz allein von einer oder mehreren Gruppen oder auch einem Land beschlossen werden. 

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In Deutschland heißt es mitunter, erst müssten Strukturen geändert werden, ehe die Evangelisierung Früchte hervorbringen könne. Wie sehen Sie das?

Ich möchte unterstreichen, was die Jugendsynode bezüglich der Evangelisierung junger Menschen hervorgehoben hat: Im Mittelpunkt der Evangelisierung müssen Beziehungen stehen, die Beziehungsqualität und das Annehmen, Zuhören, der Dialog und die „Begegnungskultur“, wie Papst Franziskus immer wieder sagt. Das steht in Kapitel II des Abschlussdokuments der Jugendsynode unter der Überschrift „Von den Strukturen hin zu den Beziehungen“. 
Das soll nicht heißen, dass Strukturen unwichtig seien, aber sie stehen nicht an der ersten Stelle. Zunächst geht es um die geistliche Haltung der Verkünder des Evangeliums und um eine Herzensumkehr. Daher ist der Synodale Weg im Hinblick auf frischen Wind für die Mission ein Weg der persönlichen und gemeinschaftlichen Umkehr. Meine Erfahrung und mein Weg als Ordensfrau haben mich gelehrt, dass die Vertiefung unserer persönlichen Christusbeziehung und unsere persönliche Herzensumkehr, die nie abgeschlossen ist, Schwung in die Evangelisierung bringt. Ich denke immer an einen französischen Bischof, der nach der Synode über die Neuevangelisierung vor der Vollversammlung seiner Mitbrüder zuhause bekannte: „Durch diese Synode haben wir begriffen, dass wir es sind, durch die Evangelisierung in Schwung kommt. Uns ist bewusst geworden, dass wir Bischöfe umkehren müssen.“ Die Erfahrung lehrt, dass man neue Strukturen schaffen kann, aber wenn man keine neue Mentalität oder Kultur oder forma mentis hat, um sie mit Leben zu füllen, tut sich nichts. Daher ist die persönliche Umkehr so wichtig. Wenn von der Reform der Kirche die Rede ist, muss man daher immer zwei Aspekte im Kopf behalten : Den Mentalitäts- beziehungsweise Kulturwandel – deswegen spielen die menschliche Haltung und Spiritualität ad hoc für die Schaffung einer neuen Kultur für die Evangelisierung eine so wichtige Rolle – und die Strukturreform.

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