Es gibt in Italien knapp 230 Ortsbischöfe und neben der Generalversammlung des nationalen Episkopats auch einen Ständigen Rat, zu dem die Vorsitzenden der Bischofskonferenzen der 16 Kirchenregionen und die Präsidenten der Bischöflichen Kommissionen gehören. Aber wenn es um die großen Linien geht, hat immer noch der Papst das entscheidende Wort, zumal dann, wenn der Konferenzvorsitzende, derzeit der 78 Jahre alte Oberhirte von Perugia, Gualtiero Bassetti, den Franziskus 2014 in den Kardinalsstand erhoben hat, ein treuer Diener seines römischen Herrn ist. Eigentlich hätte man erwarten können, dass nach einer deutlichen Stellungnahme der Italienischen Bischofskonferenz vom 26. April, die manche als recht scharf eingeordnet haben, die Kirche des Landes sich ein Herz fasst und recht bald wieder öffentliche Gottesdienste mit zumindest einer begrenzten Zahl von Gläubigen stattfinden können. Die Bischofskonferenz reagierte damit auf eine Ansprache des italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte, der die Rahmenbedingungen für die sogenannte „Phase 2“ vorgestellt hatte, die Italien am Montag eingeläutet hat, wobei Conte allerdings nur knapp feststellte, dass öffentliche Messen auch in der „Phase 2“ verboten bleiben.
Seit Beginn der "Phase 2" ist vieles wieder möglich
Das Büro der Bischofskonferenz stellte daraufhin klar, dass die Kirche des Landes entsprechend den Lateran-Verträgen das religiöse Leben ihrer Gläubigen „unter Beachtung der angeordneten Maßnahmen, aber in voller Autonomie“ gestalten könne. Zumal man sich mit dem Innenministerium schon darüber verständigt habe, bei einer allgemeinen Lockerung des strengen „Lockdown“ auch die seelsorglichen Aktivitäten wieder aufzunehmen.
Tatsächlich ist seit Beginn der „Phase 2“ am 4. Mai vieles wieder möglich: 4,5 Millionen Arbeiter und Angestellte sind an ihre Arbeitsplätze zurückgekehrt. Viele Bars und Restaurants öffneten wieder zum Straßenverkauf. Verwandtenbesuche sind nun gestattet, Sportmannschaften können bald gemeinsam trainieren, man kann sich in den Regionen frei bewegen, wenn man die Gründe dafür erklärt, Polizeikontrollen gibt es nur noch wenige. Da wollte auch die Italienische Bischofskonferenz von dieser Entspannung profitieren und die Messfeiern wieder aufleben lassen, da, wie es in ihrer Stellungnahme hieß, allen klar sein sollte, „dass der in diesem Notstand so wichtige Einsatz im Dienst für die Armen einem Glauben entspringt, der sich an seinen Quellen nähren können muss, besonders dem sakramentalen Leben“.
Dem Papst hat die Spannung zwischen Staat und Kirche nicht gefallen
Doch jemandem muss diese sich abzeichnende Spannung zwischen Staat und Kirche Italiens nicht gefallen haben – und das war der Papst. In seiner Santa Marta-Predigt am 28. April, zwei Tage nach der Erklärung der Bischofskonferenz, bat er den Herrn um „die Gnade des Gehorsams gegenüber den Anordnungen“, das heißt den Vorschriften des Staats. Am 2. Mai sprach Kardinal Bassetti bei ihm vor. Franziskus telefonierte mit dem italienischen Ministerpräsidenten, wie Conte am Wochenende in einem Interview mit „La Stampa“ durchblicken ließ, wobei er sibyllinisch formulierte: Der Papst „ist mir sehr nahe und uns allen, die wir eine institutionelle Verantwortung tragen, aber auch allen Bürgern, die mit der Angst um ihre Lieben und mit den Einschränkungen wegen der Not leben“.
Conte telefonierte aber auch mit Kardinal Bassetti – und so zeichnet sich eine Art Triumvirat ab, das derzeit über die Geschicke des kirchlichen Lebens Italiens bestimmt: Franziskus, Giuseppe Conte und Kardinal Bassetti. Wobei der Vierte im Bunde Kardinal Pietro Parolin sein könnte, der zurzeit sehr im Hintergrund agiert, aber den ein starkes Element mit dem Ministerpräsidenten verbindet: Conte war Stipendiat des vatikannahen Elitekollegs der „Villa Nazareth“ in Rom, dessen Spirtus rector einst Kardinal Achille Silvestrini war, ein Mann der kurialen Diplomatie, der im vergangenen August hochbetagt verstarb. Parolin war lange Zeit dessen rechte Hand und leitete von 1996 bis 2000 die „Villa Nazareth“.
Italienische Gläubige werden weiter um Geduld gebeten
Das Ergebnis der Dreier- oder Vierer-Gespräche gab Kardinal Bassetti am Anfang dieser Woche bekannt: Er bat die italienischen Gläubigen wegen der Wiederaufnahme öffentlicher Messen um Geduld. „Leider sagen uns die Statistiken, dass wir die Corona-Krise noch nicht hinter uns haben“, erklärte er gegenüber dem Pressedienst der Bischofskonferenz. „Wir müssen noch ein paar Wochen warten, um die Lage richtig einschätzen zu können“, meinte Bassetti. Er hoffe, rechtzeitig zu Pfingsten wieder die Messe feiern zu können – das wäre dann am 31. Mai. Überstürzte Schritte halte er für „unangemessen“, denn sie könnten die Gesundheit aller gefährden.
So bleibt es also vorerst beim Messverbot – im ganzen Land, wobei es Regionen wie Umbrien, Molise oder die Basilicata gibt, wo kaum noch Ansteckungen zu verzeichnen sind. Der Präsident der Region Sardinien, Christian Solinas, hatte die Bischöfe der Insel sogar eingeladen, ab dem 4. Mai wieder mit Messen „cum popolo“ zu beginnen. Doch die Bischöfe sagten Nein – mit Blick auf die Einigung in Rom.
Symbol für die Niederhaltung der Kirche Italiens durch das stillschweigende Bündnis zwischen Vatikan und Staat ist der Petersplatz, der einzige der öffentlichen Plätze des Landes, den man nicht betreten darf. Warum das so ist? Eine Frage, die niemand beantworten kann. Und der Petersdom? Wo im Mai viele vor dem Grab des vor hundert Jahren geborenen Karol Wojtyla beten würden – mit Gesichtsschutzmaske und Sicherheitsabstand. Der Vatikan lässt es nicht zu. Franziskus bleibt vorerst der einzige, den man via Fernsehen und Livestream täglich virtuell erleben kann.
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