Der Irak hat schon schlechtere Zeiten gesehen. Dabei ist die Lage alles andere als rosig. Die Wirtschaft wird von Corona hart getroffen, das Staatsbudget weist riesige Löcher auf, weil die Ölpreise zu niedrig und Steuerhinterziehung und Korruption außer Kontrolle sind, die geopolitische Lage in der Region ist volatil. Und doch: Mit dem territorialen Ende des 2014 kometenhaft aufgestiegenen IS-Kalifats ist seit 2017 ein fressendes Krebsgeschwür entfernt. Die Scheitelwelle des konfessionellen Bürgerkriegs zwischen der schiitischen Mehrheit und der einst staatstragenden sunnitischen Minderheit – nach der US-Invasion 2003 mit erbitterter Brutalität ausgetragen und im Aufstieg des IS ihren Höhepunkt findend – dürfte damit über das Land hinweggerollt sein.
Erstes katholisches Kirchenoberhaupt im Irak
Vor allem die junge Generation ist zunehmend Korruption, konfessionelle und tribale Klientelwirtschaft und Inkompetenz der Funktionseliten leid. Ende 2019 sah das Land deshalb Konfessionsgrenzen überschreitende Proteste. Sie trugen den derzeitigen Premierminister Mustafa Al-Khadimi ins Amt. Der Schiit ist ein Mann der Moderation und Reform, dessen gute Absichten aber an zahllose Grenzen stoßen.
Wenn Papst Franziskus Anfang März kommenden Jahres also als erstes katholische Kirchenoberhaupt überhaupt das Land zwischen den beiden Strömen Euphrat und Tigris besuchen wird, wird er in ein alles andere als stabiles Land kommen, aber doch in eines, in dem jeder weiß, was dschihadistischer Terror und konfessioneller Hass anrichten können. Vielleicht keine schlechte Folie für seine Botschaft des interreligiösen Dialogs und der Orientierung am Gemeinwohl. Die päpstliche Charmeoffensive gegenüber der islamischen Welt wird sich mit der Visite fortsetzen und nach Ägypten, den Emiraten und Marokko erstmals ein mehrheitlich schiitisches Land in den Blick nehmen. Das katholische Kirchenoberhaupt geht mit anerkennenden Worten in Richtung des Islam zweifellos in Vorleistung. Er weiß natürlich um die Bedrängnisse und die Verfolgung, denen Christen unter dem Halbmond, nicht zuletzt im Irak, ausgesetzt sind. Er will aber gleichzeitig jenes zarte Pflänzchen islamischer Selbstbesinnung stärken helfen, das derzeit sprießt. Das islamische Zeitalter der sich immer weiter steigernden Radikalisierung, das 1979 mit der Islamischen Revolution im Iran und dem Sturm sunnitischer Fanatiker auf die Große Moschee von Mekka begonnen hat, ist im Nahen Osten nach den Erfahrungen mit dem IS in seiner Dynamik gebremst. Immer mehr muslimische Führer und einfache Gläubige dort wollen eine Schubumkehr.
Religiöse Minderheiten bleiben bedroht
Papst Franziskus weiß, dass die Lage der christlichen Minderheiten in jedem Land der Region ganz wesentlich von der Toleranz der islamischen Mehrheitsgesellschaft abhängt. Papst Franziskus' Besuch wird die Lage der Christen und anderer religiöser Minderheiten für alle Iraker sichtbar machen. Sie bleibt eine bedrohte. Der IS ist geschwächt, verschwunden ist er nicht. Christen stehen auf der Liste potenzieller Ziele weit oben. Die wirtschaftliche Lage ist prekär. Viele junge Menschen sehen deshalb trotz großer Wiederaufbaubemühungen etwa in der Niniveh-Ebene, der christlichen Herzkammer des Landes, keine Zukunft. Im Lande Abrahams droht das Christentum binnen einer Generation zu verdunsten. Als Stärkung für die kleine Herde Christi kommt der Besuch aber zur rechten Zeit.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.