Ein knapp neun Jahrhunderte altes Kloster sucht stetig nach neuen Formen, den Glauben zu den Menschen zu bringen. Das 1133 gegründete Zisterzienserkloster Heiligenkreuz im Wienerwald boomte mit seinen Gregorianik-CDs und verfügt über ein topmodern ausgerüstetes Medienzentrum für die Produktion katholischer Video- und Audioformate. Aus einem mit maximal 200 Teilnehmern an der Hochschule Heiligenkreuz geplanten Präsenz-Seminar mit dem Gründer des Gebetshauses Augsburg, Johannes Hartl, wurde angesichts der Corona-Krise wie selbstverständlich eine Video-Vortragsserie, die auf der Youtube-Seite des Klosters weiterhin zu sehen ist. „Die Evangelisierung ist für uns die absolute Priorität“, meinte der Rektor der Hochschule, Pater Wolfgang Buchmüller.
Neuevangelisierung braucht authentische Glaubenserfahrungen
Wie Neuevangelisierung in Zeiten schwindender Volkskirchlichkeit vonstatten gehen kann, zeigt Hartl in drei praxisbezogenen Vorlesungen. Seit 250 Jahren entwickelten sich der individuelle und der institutionelle Glaube immer weiter auseinander. Die Kirche sei heute eine von vielen Möglichkeiten geworden, so Hartl. In dieser Zeit der Optionalisierung des Glaubens sei Authentizität entscheidend, also die Übereinstimmung von Innen und Außen. Viele Gläubige, Priester und Bischöfe seien in volkskirchlichen Strukturen verhaftet, aber: „Wir sollten uns nicht zurücksehnen in frühere Zeiten. Die werden nie wieder kommen.“ Die „neue Kultur“, für die der Gebetshaus-Gründer wirbt, zeichnet sich aus durch persönliche, emotionale Erfahrungsberichte, Niedrigschwelligkeit im Erstkontakt, Mühen um Ästhetik, Demut vor dem Pluralismus und Respekt vor der individuellen Entscheidung.
Von elementarer Wichtigkeit sei das Gemeinschaftsgefühl, eine finanzielle Freiwilligkeit, die hohe Motivation von Ehrenamtlichen und eine visionäre anstelle einer nur administrativen Führung. „Wir brauchen Menschen, die eine authentische Glaubenserfahrung gemacht haben und in der Lage sind, diese zu kommunizieren“, sagt Hartl. Deutlich kritisiert er die kirchenübliche Sprache. Seit Jahrzehnten gebe es keine Katechese mehr. „Wir haben es zu tun mit einer Sprachlosigkeit in der Mitte des Glaubens.“ Es gehe um das Warum hinter dem Was. Die Frage sei: „Was ist das eine Thema, für das ich brenne?“ Die Kirche müsse auf Bilder und Videos setzen, weil die Sprache „immer visueller“ werde.
Qualität des digitalen Auftritts entscheidet, ob Menschen erreicht werden
Auch Bischöfe müssten lernen, dass der Vertrauensvorschuss der Zuhörer erst gewonnen werden muss. Es gelte „schnell zum Punkt zu kommen“ und nicht in einschläferndem Predigerton, sondern „normal zu reden“. Eine These müsse klar formuliert werden, brauche ein rationales, argumentatives Gerüst, aber auch Emotion und Visuelles.
Johannes Hartl wirbt in den seit Freitag online gestellten Vorträgen auch für neue Veranstaltungsformate. „Ob wir Menschen überhaupt erreichen“ hänge von der Qualität des digitalen Auftritts ab: von der Homepage, aber auch von der Präsenz auf Youtube, Facebook und Instagram. Es gelte, Antworten zu geben auf die Fragen, die Menschen heute tatsächlich haben, und Organisationen zu bauen, die in einem post-volkskirchlichen Raum bestehen können. Als Prinzipien für das Wachstum von Veranstaltungen nennt Hartl die herzliche Willkommenskultur, eine klare Sprache und eine bevollmächtigende Führerschaft.
Das Beste und Schönste muss das Ziel sein
Hartl wirbt für „Exzellenz“, denn: „Armut ist Freisein vom Zwang, persönlich Gewinn zu machen, und nicht zu verwechseln mit Lieblosigkeit.“ Das Beste und Schönste zu schaffen, was möglich ist, solle die Ambition sein. Veranstaltungen müssten gut sein, dürften aber auch etwas kosten. Der Theologe plädiert dafür, der Gebets-Vorbereitung mindestens ebenso viel Gewicht beizumessen wie der technischen Vorbereitung einer Veranstaltung: „Wir unterschätzen die geistliche Realität.“ Gute Projekte seien stets umkämpft, da gebe es „Widerstände, die im Gebet bekämpft werden müssen“.
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