In „Die Heilige Edith Stein und ihre leidensgenossen auf dem Weg nach Auschwitz“, stellt Monsignore Paul Hamans in 28 Biographien katholischer Juden vor. Der Titel täuscht; Edith Stein selbst ist lediglich ein halbes von 15 Kapiteln gewidmet, wenn sie auch in den Lebensgeschichten der anderen Protagonisten gelegentlich eine kleine Rolle spielt.
Viele Fakten
Das Thema bewegt den Leser. Denn die Darstellungen der einzelnen Schicksale illustrieren die Tragik und den Verlust jedes gewaltsam beendeten Lebens im Holocaust. Das Buch könnte sein Potenzial aber besser nutzen: Besonders das erste Kapitel, in dem die Rahmenbedingungen für die Vernichtung katholischer Juden im Jahr 1942 geschildert werden sollen, vermittelt dem Leser die für die Situation relevanten Informationen nicht anschaulich genug. Der Autor reiht sehr viele Fakten aneinander, doch der Sinn ihrer Zusammenstellung wird nicht ausreichend deutlich. Gepaart ist dieser trocken-monotone Tonfall mit allzu frömmelnden Euphemismen, die dem Leser die eigene geistliche und emotionale Annäherung an die Personen vorwegnehmen wollen, aber genau dadurch erschweren.
Tiefpunkte
So vergleicht Hamans noch vor der Schilderung der ersten Biographie „die ermordeten Gläubigen“, die „durch Gottes Gnade zur Heiligkeit“ gelangt seien, mit „leuchtenden Perlen vor einem hässlichen Hintergrund“. Genauso nimmt er dem Leser die Schlussfolgerung, zu der dieser selbst kommen sollte, voraus, wenn er an der gleichen Stelle – im ersten Kapitel! – schreibt: „Auschwitz zeigt, wozu der Mensch ohne Gott fähig ist. Diese Märtyrer zeigen, dass auch dort, wo die Menschlichkeit einen Tiefpunkt erreicht, Gott erlösend allgegenwärtig bleibt in dem Menschen, der an ihm [sic!] glaubt“. Zusätzlich stolpert man, wie auch in diesem Beispiel, regelmäßig über Schreibfehler und Unebenheiten in der deutschen Übersetzung aus dem Niederländischen.
Starke Biografien
Das ist schade, denn die Schicksale der einzelnen Protagonisten berühren. Am stärksten ist der Text genau dort, wo er die Biographien wiedergibt und mit historischen Quellen unterlegt, in denen die Zeitzeugen selbst zu Wort kommen. Gerade für junge Erwachsene finden sich hier Möglichkeiten der Identifizierung, denn die meisten Protagonisten waren zum Zeitpunkt ihres Todes nicht älter als dreißig Jahre alt. Wie junge Menschen heute waren viele erst im Begriff, ihren Weg durchs Leben zu finden. So die Geschwister Goldschmidt, die 1939 in die Niederlande flohen und zum Zeitpunkt ihrer Ermordung 1942 erst 19 und 20 Jahre alt waren.
Wenig verklärtes Bild
Auch die Ordensschwester Alice Reis bleibt nach der Lektüre im Gedächtnis: Nach ihrer Konversion zur katholischen Kirche war sie von ihrem Verlobten verstoßen worden und ins Kloster eingetreten. Ganz anders als die gefasste Edith Stein reagierte Alice Reis – nervlich labil – mit einem heftigen Gefühlsausbruch auf ihre Verhaftung. Dies zeigt ein weniger verklärtes Bild vom Märtyrerschicksal, das, wenn es auch ein Glaubenszeugnis ist, auch immer die Zerstörung eines Lebens dokumentiert. Nur mit Vorbehalt ist dieses Buch jenen zu empfehlen, die sich speziell für das Thema interessieren und bereit sind, Abstriche in der Komposition sowie der geistlichen Kontextualisierung in Kauf zu nehmen.
Paul Hamans:
Die heilige Edith Stein und ihre Leidensgenossen auf dem Weg nach Auschwitz.
Mit einem Vorwort von Kardinal Rainer Maria Woelki.
Bernardus-Verlag, Mainz, 2021, 302 Seiten,
ISBN 978-3-8107-0346-0, EUR 19, 80
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