Wie ein Algenteppich liegt die Pandemie über dem Land und behindert die Sicht auf das politische Geschehen. Die Einschätzung des Augsburger Bischofs, dass der Fahrplan zum assistierten Suizid in Deutschland bereits in den Schubladen liegt, ist nicht aus der Luft gegriffen. Das Thema Sterbehilfe weckt in Deutschland nicht nur belastende Erinnerung an die NS-Zeit, als Ärzte und Pflegepersonal vor der Wahl standen, zu Handlangern eines gottlosen Regimes zu werden oder das Leben zu schützen. Es wirft auch die Frage auf, ob sich für die katholische Kirche nun der tragische Konflikt der Schwangerenkonfliktberatung der Jahre 1999-2000 wiederholt.
Die Zahl der politisch aktiven Katholiken ist gesunken
Dessen Wunden sind nie vernarbt, im Gegenteil: Nichts hat die Katholiken nördlich der Alpen so tief gespalten wie diese Auseinandersetzung um die angemessene Haltung der Kirche im Konflikt um Leben und Tod. Die Debatte um die Sterbehilfe steht unter einem noch ungünstigeren Stern, denn zum einen ist der Glaube in den letzten zwanzig Jahren weiter verdunstet und die Zahl der ernstzunehmenden politisch aktiven Katholiken gesunken. Zum anderen ist die Unsicherheit größer. Nicht jeder gerät in einen Schwangerschaftskonflikt, aber sterben müssen wir alle. Jeder politischen Partei in Deutschland, ob mit C im Namen oder nicht, ist es zuzutrauen, dass sie ein Sterbehilfegesetz mitträgt, dass analog zur straffreien Abtreibung Sterbehilfe mit Beratungsschein für rechtswidrig, aber straffrei erklärt.
Von evangelischer Seite ist keine Unterstützung zu erwarten
Wie im Streit um die Schwangerenkonfliktberatung dürfte der katholischen Kirche in Deutschland wieder die Rolle des einsamen Rufers zufallen. Erfahrungsgemäß ist die evangelische Seite ein unsicherer Kantonist, wenn es darum geht, biblische Gebote gegenüber staatlicher Autorität zu behaupten. Es wäre unrealistisch, zu erwarten, dass die Bischöfe den Karren des Lebensschutzes allein ziehen. Der Konflikt um die Schwangerenkonfliktberatung hat gezeigt, wie haltbar Spaltungen innerhalb der Konferenz sind. Hier sind eindeutig die Laien gefragt.
Laien sollten sich auf die Gestaltung der Welt konzentrieren, anstatt auf kirchliche Machtfragen
Auf ihnen lastet die Fehlkonstruktion des Synodalen Wegs. Auch wenn man dem einzelnen Synodalen die aufrechte innere Haltung in Lebensschutzfragen nicht absprechen darf, wirkt die Botschaft des Synodalen Wegs bereits derart fixiert auf Amts- und Machtfragen, dass kaum noch Raum bleibt für andere Themen. Das ist ein Widerspruch in sich: Laien, die Energie in die eigene Selbstklerikalisierung investieren und nach Ämtern schielen, verpassen möglicherweise den Zug für lebenswichtige Entscheidungen. Warum nicht die Dinge vom Kopf auf die Füße stellen? Die erste Aufgabe der Laien ist es, die Welt mitzugestalten und sich nicht aus der Verantwortung stehlen mit der Ausrede, erst müssten die Karten innerhalb der Kirche neu gemischt werden, damit man nach außen glaubwürdig auftreten könne. Nach dieser Maxime käme der richtige Zeitpunkt für das Laienapostolat vermutlich nie: Weder während des öffentlichen Wirkens Jesu, noch im Pfingstsaal und in der weiteren Kirchengeschichte waren Ämter- und Machtfragen zur lseitigen Zufriedenheit geklärt.
Dem Argument, erst müsse die Kirche gesellschaftlich anschlussfähig werden, damit man sich als Katholik öffentlich mit seinem Glauben sehen lassen könne, haftet somit etwas Unbiblisches und auch Realitätsfernes an. Es wäre schon ein erster Schritt, wenn die deutschen Katholiken in den synodalen Weg der Weltkirche mit einer überarbeiteten Agenda gingen, auf der das Thema Lebensschutz ganz oben steht.
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