Geschwiegen hat Pius XII. nicht, denn während des Krieges hat er seine Stimme, seine Proteste, seine Sorgen auch durch seine Radiobotschaften zu Gehör gebracht, das mächtigste Instrument der damaligen Zeit, mit dem er ein Zeichen setzte. Aber er war auch nicht untätig. Ein bisher vielleicht noch wenig erforschter Bereich sind die Interventionen von Pius XII. zugunsten der in Rom verhafteten Juden vor und nach der Razzia im Ghetto.
Ein umfassendes Bild
Diakon Dominiek Oversteyns hat Primärquellen verglichen, nach Originalzeugnissen gesucht und sich, was die Daten über die verhafteten oder ermordeten Juden betrifft, auf das monumentale „Buch der Erinnerung“ von Liliana Picciotto, auf das Generalarchiv der Salvatorianer in Rom und auf die bereits zugänglichen Archive des Heiligen Stuhls über das Pontifikats von Pius XII. gestützt.
Seine Forschungen haben ein noch umfassenderes Bild der Interventionen Pius' XII. zugunsten der Juden in Rom gezeichnet, als bisher angenommen. Anhand der Zahlen lässt sich mit Sicherheit sagen, dass Papst Pius XII. angesichts der Tragödie der Juden nicht untätig geblieben ist. Wenn man die Zahlen liest, stellt man fest, dass Pius XII. über die vatikanischen Institutionen und Pater Pancrazio Pfeiffer, Generalprokurator der Salvatorianer, zwischen dem zehnten September 1943 und dem vierten Juni 1944 236 Mal zugunsten der in Rom verhafteten und deportierten Juden interveniert hat. In 18 Fällen griff der Papst sogar zweimal ein, einmal offiziell und einmal inoffiziell.

Nicht ungewöhnlich
Für Papst Pius XII. war dies nichts Ungewöhnliches, denn er wandte dieselbe Strategie bei den von den Nazis verhafteten römischen Italienern an.
Es gibt viele Beispiele, in denen Pius XII. doppelt für italienische oder jüdische Häftlinge interveniert hat: Auf offiziellem Wege wandte er sich an Monsignore Giovanni Battista Montini (den späteren Papst Paul VI.), der im Staatssekretariat des Heiligen Stuhls arbeitete und die Anträge um Freilassung an die deutsche Botschaft beim Heiligen Stuhl, die von Ernst von Weizsäcker geführt wurde, weiterleitete, während Pius XII. auf inoffiziellem Wege Pater Pancrazio Pfeiffer einsetzte: Dieser fungierte als Vermittler zu Herbert Kappler, dem Leiter der Gestapo in Rom, der das Massaker an den Fosse Ardeatine und anderen organisierte und durchführte.
Juden kamen frei
Durch das Eingreifen von Pius XII. wurden 42 verhaftete Juden freigelassen, während bei 138 anderen die Interventionen von Pius XII. und seinen Mitarbeitern ihre Deportation nicht verhindern konnten. Von den 173 Anträgen auf Freilassung kann man sagen, dass Pius XII. und seine Mitarbeiter sie unterstützt hatten. Es ist daher unzutreffend, zu behaupten, dass der Papst nicht eingegriffen habe. Von 33 Interventionen zeigen die primären Dokumentenquellen explizit, dass Pius XII. die Forderung nach Befreiung direkt oder indirekt unterstützt hat. Neben dem Weg des Staatssekretariats (über den damaligen Stellvertreter Giovanni Battista Montini) nutzte Pius XII. auch den informellen Weg mit Pater Pfeiffer. Pius XII. und Pater Pfeiffer setzten sich sehr für die Rettung der Juden ein, die immer wieder verhaftet wurden. Die beiden führten 151 Interventionen für 125 Juden durch, von denen 39 befreit und 86 deportiert wurden.
Etliche Interventionen
In der Liste der 151 Interventionen von Pater Pfeiffer zusammen mit Pius XII. wird deutlich, dass oft mehr als eine Intervention zugunsten vieler verhafteter römischer Juden erfolgte. Ein Beispiel dafür ist Clara Sereno, die am 16. Oktober 1943 in Rom verhaftet wurde. Pater Pfeiffer beantragte auf Ersuchen von Pius XII. direkt beim italienischen Außenministerium ihre Freilassung vor dem 22. Oktober 1943.
Am 22. Oktober 1943 bat Monsignore Montini die deutsche Botschaft um die Freilassung von Clara Sereno. Am 22. November 1943 wiederholte Pater Pfeiffer seine Bitte um ihre Freilassung gegenüber dem italienischen Ministerium für auswärtige Angelegenheiten. Leider waren die drei Interventionen nicht erfolgreich: Clara Sereno wurde in Auschwitz ermordet.
Interventionen nicht immer erfolgreich verlaufen
Die Familie von Mario Segré bestand aus drei Personen. Am 5. April 1943 wurden sie alle auf einmal verhaftet. Um sie zu befreien, haben Monsignore Montini und Pater Pfeiffer vor dem 18. April fünfmal interveniert, als diese noch gelebt hatten. Es waren die Nazis und der Nazi-Botschafter von Weizsäcker, die die Anträge auf ihre Freilassung blockierten und sie nicht nach Berlin schicken wollten. Die drei wurden am 23. Mai 1944 in Auschwitz ermordet.
Drei Juden wurden nach einer zusätzlichen Intervention des Vatikans vom 16. Oktober 1943 bis zum 22. Oktober freigelassen. Diese Information stammt aus den Listen von Pius XII. und Monsignore Montini, welche die Namen von 73 Juden enthalten, für die mindestens 85 Interventionen durchgeführt wurden.
Vierter Teil eine Serie in fünf Folgen.
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