Nachdem Australiens oberster Gerichtshof gestern eine Berufung im Fall des wegen sexuellen Missbrauchs verurteilten Kardinals George Pell zugelassen hat, häufen sich die Spekulationen um dessen weiteres Vorgehen. Mehrere australische Medien, darunter die Zeitung „The Australian“, berichten, das Pell möglicherweise eine Freilassung auf Kaution beantragen könnte.
Pell bespricht sich mit Anwälten im Gefängnis
Unmittelbar nach der Entscheidung des Höchstgerichts in Canberra habe der 78-Jährige seine Anwälte im Gefängnis getroffen, um solch einen Schritt zu diskutieren, so „The Australian“. Derzeit verbüßt Pell eine sechsjährige Haftstrafe im Melbourne Assessment Prison, von der er bereits acht Monate hinter sich hat. Eine vorzeitige Entlassung auf Bewährung kann der ehemalige Finanzdirektor des Vatikans frühestens in drei Jahren beantragen.
„The Australian“ zitiert allerdings auch einen Melbourner Juristen, der darauf hinweist, dass Kardinal Pell schon vom Zeitpunkt des Schuldspruchs an eine Freilassung auf Kaution habe beantragen können. Während des ersten Berufungsverfahrens habe er darüber nachgedacht, sich jedoch dagegen entschieden.
"Wir können nur hoffen, dass die Berufung
so bald wie möglich verhandelt wird
und dass das Urteil Klarheit und
eine Lösung für alle bringen wird"
Erzbischof Mark Coleridge, Vorsitzender der australischen Bischofskonferenz
Der Vorsitzende der australischen Bischofskonferenz, Erzbischof Mark Coleridge, erklärte nach Bekanntgabe der Gerichtsentscheidung: „Wir können nur hoffen, dass die Berufung so bald wie möglich verhandelt wird und dass das Urteil Klarheit und eine Lösung für alle bringen wird.“ Der Erzbischof von Sydney, Anthony Fisher, betonte in einer Stellungnahme, dass Kardinal Pell stets seine Unschuld beteuert habe und wies darauf hin, dass weiter Fragen zu den Vorwürfen gegen Pell offen stünden, die vom obersten Gericht nochmals untersucht werden müssten.
Der Vatikan äußerte sich nur mit einer knappen schriftlichen Erklärung zur neuen Wendung im Fall Pell: Vatikansprecher Matteo Bruni bekräftige das Vertrauen des Heiligen Stuhls in das australische Rechtssystem und erklärte, man nehme die Entscheidung des obersten Gerichts zur Kenntnis. Weiter sei man sich bewusst, dass der Kardinal stets seine Unschuld beteuert habe. Zudem brachte der Vatikan seine Nähe zu den Opfern sexuellen Missbrauchs durch Geistliche zum Ausdruck.
Berufung in erster Instanz abgelehnt
Im Dezember 2018 war Pell von einer Geschworenen-Jury für schuldig befunden worden, 1996 als Erzbischof von Melbourne einen 13 Jahre alten Chorknaben missbraucht und einen anderen belästigt zu haben. Pell ist der höchstrangige katholische Geistliche, der jemals wegen Missbrauchsvorwürfen verurteilt wurde. Eine Berufung in erster Instanz lehnte das oberste Gericht im Bundesstaat Victoria bereits im August ab.
DT/mlu
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