Es ist also nicht so gekommen, wie Franziskus gehofft hatte. Vergangene Woche, bei einer Plauderei in seinem Domizil „Santa Marta“ mit dem Chefredakteur der italienischen Tageszeitung „Corriere della Sera“ und dessen Stellvertreterin, hatte der Papst noch aus seinem letzten vertraulichen Gespräch mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán zitiert: „Als wir uns trafen, sagte mir Orbán, dass die Russen einen Plan haben und am 9. Mai alles aufhört.“
Doch danach klang es nicht, als der russische Präsident Wladimir Putin bei der Siegesfeier am Montag sein Volk darauf einschwor, im Kampf gegen den Westen und die NATO durchzuhalten. Was auch immer der ungarische Regierungschef dem Papst gesagt haben mag – es gehörte wohl kaum in ein lockeres Gespräch mit zwei Journalisten. Und als diese Auszüge aus der Unterhaltung im „Corriere della Sera“ veröffentlichten, was dann als „Interview“ rund um die Welt lief, muss den Medien-Verantwortlichen im Vatikan ganz schwummrig geworden sein.
Der Papst spricht nicht gerade diplomatisch
Denn Franziskus äußerte sich auch sonst nicht gerade diplomatisch. Den russischen Patriarchen, so steckte er seinen Besuchern, habe er ermahnt, „sich nicht in einen Messdiener Putins verwandeln“ zu lassen. Da hat der Papst zwar recht, aber als man das dann in Moskau in der Zeitung las, reagierte das Patriarchat mit dem pikierten Hinweis, dass „solche Äußerungen den konstruktiven Dialog zwischen der römisch-katholischen und der russisch-orthodoxen Kirche, der in der heutigen Zeit so notwendig ist, kaum fördern können“.
Auch ansonsten wischte der Papst mit erfrischender Sorglosigkeit jede Art von diplomatischer Zurückhaltung beiseite. „Klar ist nur, dass in der Ukraine Waffen getestet werden“, meinte er zu seinen beiden Besuchern. „Die Russen wissen jetzt, dass die Panzer wenig taugen, und denken jetzt an andere Dinge.“ Was meinte er wohl? Hyperschall-Raketen? Taktische Nuklearwaffen? Sicher jedenfalls ist für ihn: „Deshalb werden Kriege geführt: um Waffen zu testen, die wir produziert haben. So geschah es im Spanischen Bürgerkrieg vor dem Zweiten Weltkrieg.“
Aber auch die NATO bekam ihr Fett weg. Vielleicht habe ihr „Gebell an den Toren Russlands“ Putin veranlasst, den Konflikt vom Zaun zu reißen. Auch wenn die Ukrainer jetzt enttäuscht sein mögen: Nach Kiew, zu den Angegriffenen, gehe er nicht. „Ich spüre, dass ich nicht fahren darf. Ich muss zuerst nach Moskau, erst muss ich Putin treffen.“ Das habe das Staatssekretariat zwanzig Tage nach Kriegsbeginn dem Kreml-Chef auch mitgeteilt. Aber man warte noch auf Antwort. Die Schmerzen im Knie fesseln Franziskus immer wieder an den Rollstuhl. Wegen dieser Behinderung hat der Vatikan jetzt die für Anfang Juni geplante Reise des Papstes in den Libanon abgesagt. Große Gesten sind ihm nicht möglich. Aber verstummt ist er nicht.
Moralische Autorität gewinnt man so nicht
Die Meinungsäußerungen des Papstes zum Krieg in der Ukraine sind dabei so, dass man über sie trefflich diskutieren kann. Will Putin nur Waffen testen, um sein weiteres Vorgehen zu planen? Hat die NATO vor den Toren Russlands gebellt? Aber die päpstlichen Sätze sind nicht so, dass man mit ihnen argumentieren kann. Erst wenn die Stimme aus Rom die Ebene des Spekulierens verlässt und die Grundsätze der Friedensethik erhärtet, wird sie zum Bezugspunkt über den Parteien. Moralische Autorität gewinnt man nicht durch Plaudereien über das Kriegsgeschehen.
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