Der Papst will nach Moskau. Das hat er Anfang dieser Woche in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters gesagt. Glaubt Franziskus wirklich, bei Putin und Kyrill abgesehen von freundlichen Mienen eine Wende in Richtung Friede einleiten zu können? Dass Russland eindeutig der Aggressor ist, hat er klar gesagt. Vor der Delegation des Ökumenischen Patriarchats aus dem Phanar meinte er am Tag nach Peter und Paul, die Welt sei erschüttert „durch eine kriegerische, grausame und sinnlose Aggression, in der sich so viele Christen bekämpfen. Aber angesichts des Skandals des Kriegs sind nicht vor allem Überlegungen anzustellen: Man muss weinen, helfen, sich bekehren.“ Will der Papst wie ein Prophet nach Moskau ziehen? Vor tauben Ohren zur Umkehr aufrufen?
Die Erfolgschancen liegen bei zehn Prozent
Die Rede ist von September. Rückrittsabsichten hat Franziskus in demselben Interview weit von sich gewiesen. Auch den Rollstuhl konnte er wieder verlassen und bricht Ende Juli nach Kanada auf. Nachdem Putin dem Papst erst die kalte Schulter zeigte, scheint jetzt ein Fensterchen offen zu sein. Franziskus möchte auch Kiew besuchen, vor allem aber will er nach Moskau. Beobachter rechnen mit einer Chance von zehn Prozent, dass Franziskus mit diesem dann historischen, weil ersten Papst-Besuch im Kreml überhaupt etwas bewegen kann. Aber die Weltlage rechtfertigt es offensichtlich für Papst und Vatikan, es wegen diesen zehn Prozent zu versuchen. Vor allem Europa steht vor einer Katastrophe.
Während man in Deutschland darauf schaut, wie man mit steil steigenden Energiekosten und einer galoppierenden Inflation über den nächsten Winter kommt, droht der Ukraine, den Krieg zu verlieren. Der Armee gehen die russischen Waffenbestände samt Munition aus, Rüstungslieferungen aus dem Westen laufen schleppend und haben den Vormarsch der russischen Verbände bisher nicht bremsen können. Was Belarus angeht, so drohen der Kriegseintritt und die Bewaffnung mit Langstreckenraketen, die atomar bestückt werden können. Das Baltikum mit der Entklammerung Kaliningrads, Polen und Moldau stehen auch noch auf Putins Speiseplan. Die Vereinigten Staaten, die einzige nennenswerte Militärmacht in der NATO, konzentrieren sich auf den Pazifik, wo China gerade den dritten Flugzeugträger vom Stapel ließ, um sich für den Angriff auf Taiwan zu rüsten.
Im Süden wächst der Hass auf den reichen Norden
Bindet China die Vereinigten Staaten im Pazifik, wird man nicht massiv in Europa eingreifen, wenn etwa Lukaschenko eine Atombombe über der Ostsee zündet, um die Deutschen weiter zu terrorisieren. Putin kann sich mit der Finnlandisierung Europas Zeit lassen, Männer wie Olaf Scholz stellen sich ihm nicht wirklich in den Weg – etwa mit dem sofortigen Aufbau eines Raketenabwehrschirms über Europa.
Stattdessen wächst – mit Hunger und materieller Armut – auf der Südhalbkugel des Globus der Hass auf den reichen Norden. Die russische Propaganda hat es geschafft, die Nahrungskatastrophe etwa in Afrika dem Westen in die Schuhe zu schieben. Ägypten, Libyen, Tunesien und Marokko werden auch mit Hilfe Moskaus destabilisiert, von dort werden die Migranten nach Europa kommen. Diesmal nicht mit einem Hemd am Leib, sondern mit ziemlich viel Wut im Bauch. Für Papst Franziskus ist diese kriegerische Welt um siebzig Jahre zurückgefallen. Wer will es ihm verdenken, dass er es zumindest versucht, die Katastrophe abzuwenden?
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