In einem Interview kam Bischof Athanasius Schneider unlängst auf eine traditionelle Redensart zu sprechen. Demnach gebe es drei Gruppen von Päpsten: Päpste, die ein Geschenk Gottes seien, Päpste, die der Herr nur zugelassen habe – und Päpste, die man als eine Strafe Gottes verstehen könne. Glaubt man den großen Papsthistoriographen Leopold von Ranke und Ludwig von Pastor, dann war Clemens VII. (1523-1534) ein solcher Papst. Pastor spricht von einem „Unglückspontifikat“, Leopold von Ranke sogar „vom unheilvollsten aller Päpste, die je auf dem römischen Stuhle gesessen“.
Der am 26. Mai 1478 geborene Giulio de Medici hat sich dieses Urteil nicht verdient, weil er das uneheliche Kind eines Medici gewesen ist; und auch nicht, weil er seine Karriere einem anderen Medici-Papst, Leo X., verdankte. Man wird ihm nicht einmal vorwerfen können, dass er vorsätzlich der Kirche und ihren Gläubigen Böses zufügen wollte – oder gar grausam gewesen sei, galt er doch als persönlich integer und im Vergleich zu seinen prunksüchtigen Vorgängern als sparsam. Das berühmte Gemälde Raffaels, auf dem er mit Leo X. abgebildet ist, zeigt vielmehr einen gutaussehenden und sanft dreinschauenden Mann und damit geradezu den Gegenentwurf zum feisten und übellaunig blickenden Vetter – ein Mann mit Zukunft, möchte man meinen!
Für Clemens VII. gilt vielmehr, dass er das Neuartige und Unerhörte – hier ist vor allem die 1517 einsetzende Reformation zu nennen – mit den untauglichen Mitteln eines Renaissance-Papstes bekämpfte. Wo ein kluger Hirte vonnöten gewesen wäre, agierte ein Diplomat, ein Lauer, ein Zauderer. Sein Zeitgenosse Francesco Berni hat das in einem Epigramm trefflich charakterisiert: „Ein Papsttum reich an Hin- und Herberaten, an Meinungswechsel und an Klügelei‘n, an Wenn und Aber wie an Ja und Nein, Vielleicht und Doch und Worten ohne Taten.“
Die Milde der Diplomatie
Doch der Reihe nach: Schon früh in den Johanniterorden eingetreten, wurde Giulio de Medici von Leo X. 1513 zum Erzbischof von Florenz und zum Kardinal ernannt. Von Anfang an galt er als zweiter Mann des Kirchenstaates. Doch nach dem Tode Leos X. im Dezember 1521 war es Giulio de Medici, der einen Deutschen, Hadrian VI., als Nachfolger vorschlug. Nur jemand, der die Sprache Luthers spreche, so das Kalkül, könne die beginnende Reformation eindämmen. Doch Hadrian VI. starb nach anderthalb Jahren; viel zu früh, um etwas erreichen zu können. Also setzte man wieder auf Bewährtes: Die Kardinäle wählten Giulio de Medici am 18. November 1523 zum Papst, der sich den Namen Clemens, der Milde, gab. Es war die Milde des Diplomaten.
Denn bei aller Sorge um die Erfolge der Reformation, wandte sich der neue Papst, wie schon Julius II. und Leo X., den Machtverhältnissen in Italien zu. Sah sich doch der Kirchenstaat mehr und mehr vom eigenen Bündnispartner eingekreist: dem Habsburger Karl V. Der war nicht nur König von Spanien, sondern auch König von Neapel und Sizilien und schickte sich nun an, seine Macht auf Oberitalien auszuweiten. Nachdem Mailand in die Hände der spanischen Truppen gefallen war, wechselte der Papst die Seiten und schloss sich 1526 der Liga von Cognac an, die unter der Führung Frankreichs stand. Damit entfesselte er eine Dynamik, der er niemals wieder Herr werden sollte.
Just in diesem Moment nämlich tagte in Speyer ein Reichstag unter Vorsitz des Bruders Karls V., des Erzherzogs Ferdinands, der die durch die Reformation aufgeworfenen religionspolitischen Fragen im Sinne der Kirche klären sollte. Das Gegenteil geschah! Karl V. benötigte nun die Unterstützung der Reichsstände, auch der lutherisch gesinnten – und wies seinen Bruder an, einen ganz anderen Beschluss herbeizuführen: Jeder Landesherr sollte fortan nach eigenem Ermessen über das religiöse Bekenntnis in einem Machtbereich entscheiden können. Leopold von Ranke hat diesen Moment sehr richtig als „Anfang der eigentlichen Reformation, der Einrichtung einer neuen Kirche in Deutschland“ bezeichnet.
Damit aber konnte Erzherzog Ferdinand seinem Bruder jenes mit lutherischen Landsknechten durchsetze Heer zur Hilfe schicken, das erst in Rom wieder Halt machen sollte. Nachdem Karl V. mit deren Hilfe in Oberitalien gesiegt hatte, war das Geld für den Sold des habsburgischen Heeres aufgebraucht; also zogen die Söldner, angeführt von den Landsknechten, nach Rom, um sich dort die Bezahlung abzuholen. Am 6. Mai 1527 begann der „Sacco di Roma“, der bis heute als apokalyptisches Ereignis der Kirche schlechthin gilt. Den 24. 000 Söldnern stellten sich nur 147 Schweizergardisten entgegen, die allesamt niedergemacht wurden. Clemens VII., der in die Engelsburg fliehen musste, hatte zuvor seine Truppen entlassen – ein sparsamer Papst eben! Drei Tage dauerte das Morden und Vergewaltigen. Man schätzt, dass 90 Prozent der römischen Kunstschätze, darunter so wertvolle Reliquien wie die Veronika, verloren gingen. Nach der Zahlung eines hohen Lösegeldes konnte sich Clemens VII. nach Orvieto in Sicherheit bringen.
Einer, der gescheitert war
Schließlich kehrte er als ein um Jahre gealterter Mann nach Rom zurück, der sich einen langen Büßerbart hatte wachsen lassen. Jedermann konnte es sehen: Dieser Papst war gescheitert. Die Spanier hatten sich dauerhaft in Italien festgesetzt und Clemens musste das Bündnis mit Karl V. erneuern. Damit hatte die Kurie keinen Spielraum mehr für andere Unternehmungen, etwa um den Streit mit König Heinrich VIII. von England zu befrieden. Der wollte nämlich seine Ehe mit Katharina von Aragonien annullieren lassen, was aufgrund der neuen Lage unmöglich war. Denn Katharina war die Tante Kaiser Karls V. Das berühmte „Non possumus“ des Papstes galt deswegen auch nicht moraltheologischen Bedenken. Es war ein politisches Nein, das zudem auch noch den Charakter des als erzkatholisch geltenden Engländers falsch einschätzte. Heinrich zögerte nach der endgültigen Absage keine Minute und löste das Band mit Rom. Die Kirche hatte nunmehr auch England verloren – und bekam auch Deutschland nicht zurück, weil Clemens das von Karl V. eingeforderte Konzil nicht einberief. Das hätte nämlich auch die Missstände der Kirche auf die Tagesordnung gebracht und eine innerkirchliche Erneuerung erfordert. Dem Papst fehlte die Kraft, sich dieser schmerzlichen Herausforderung zu stellen. Stattdessen hielt er den Kaiser hin, sodass die Reformation in Nordeuropa immer weiter Wurzeln schlagen konnte.
Als Clemens VII. am 25. September 1534 in Rom, wahrscheinlich an Magenkrebs, starb, ließ er eine nicht nur an den Rändern, sondern auch in ihrem Innersten verbeulte Kirche zurück. Offenbar gibt es Päpste, die eine Strafe Gottes sind, auch wenn sie die besten Absichten haben. Immerhin trug das Pontifikat Clemens VII. schon den Keim der Erneuerung in sich, denn mit den Kapuzinern und den Theatinern hatte er selbst noch die Träger der Gegenreformation approbiert. Möge es auch in unseren Tagen so bleiben!
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.