Herr Schmalzbauer, Sie sind der Gründer der Initiative Christliche Familie (ICF). Was fasziniert Sie an der christlichen Familie?
Wir sind von Gott zur Liebe erschaffen. Deswegen suchen wir einander. Das Sakrament der Ehe ist das Fundament der christlichen Familie. Das Leben zu zweit ist aber an sich schon unglaublich faszinierend: Da ist eine Liebe, die vielleicht mit Verliebtheit beginnt und noch sehr auf sich selbst gerichtet ist, sich dann aber immer mehr und stärker auf den anderen ausrichtet. Diese Liebe geht durch das ganze Leben, bis der Tod einen scheidet. Das ist etwas Gewaltiges. Wo diese Liebe gelingt und gelebt werden kann, strahlt sie aus und wird fruchtbar in mehreren Dimensionen. Die Frucht dieser Liebe, das Leben, das aus ihr hervorgeht, ist unglaublich schön. Es gibt aber auch die Fruchtbarkeit über die Kinder hinaus, denn die Ehe als Sakrament strahlt aus in die Kirche und leuchtet in die Welt hinein, hat Kraft und bringt Licht.

In der heutigen Gesellschaft ist die Familie keine relevante „Institution“ mehr. Was hat das mit der allgemeinen Glaubenskrise zu tun?
Es gibt eine sehr interessante Untersuchung vom Päpstlichen Institut Johannes Paul II. für Studien zu Ehe und Familie in Rom. Unter dem damaligen Präsidenten, Livio Melina, hat sich das Institut genau diese Frage gestellt, wie die Schwächung der Familien und des Glaubens besonders in Europa zusammenhängen. In einer statistischen und geschichtlichen Untersuchung stellten sie Folgendes fest: Alles hat tatsächlich mit einer Schwächung und einer Aushöhlung der Familien angefangen. Die Folge dessen war ein Glaubensschwund. Daran sieht man, welche Bedeutung die Familie eigentlich hat. Wenn man die Kirche erneuern will, muss man also bei den Familien anfangen, sie wieder stärken, ihnen helfen, als christliche Familien zu leben, zu beten und sich für Kinder zu öffnen. Der Weg dahin mag weit scheinen, aber im Prinzip beginnt es mit jeder einzelnen Familie neu.
Was brauchen Familien, um gestärkt zu werden?
Wir versuchen, die Familien zu stärken, damit sie ihren Auftrag als Familie wieder tiefer entdecken können. Dazu beginnen wir bei den banalen Grundbedürfnissen. Bei den Veranstaltungen müssen die Familien ein sicheres Terrain finden, es braucht eine gewisse Ordnung, einen Raum, wo die Kinder gewickelt und gestillt werden können, es braucht saubere Toiletten usw. Es muss für die Familie möglich sein, eben einfach mal da zu sein und anzukommen. Dann kann man zur nächsten Stufe gehen, dass sich die Eltern gute Vorträge anhören und die Kinder ein gutes Programm erleben können. Ein sehr hohes Ziel ist, dass sie Zeit fürs Gebet haben, Zeit Gott zu begegnen. Auch dass sie erleben, wir sind als christliche Familie nicht alleine auf dem Weg. Es braucht dazu tatsächlich eine große Schar von Dienern von Familien, also Menschen, die verstanden haben, wie kostbar und schön die Familie ist und das gerne vermitteln wollen.
Familien wird heute nicht oft das Gefühl gegeben, etwas Besonderes und etwas Schönes zu leben. Es wird leicht so getan, als sei es etwas Beliebiges, zu heiraten und eine Familie zu gründen. Daher ist es eines unserer Hauptanliegen, ihnen mit viel Wertschätzung ihre Bedeutung klarzumachen.
Auf Ihrer Homepage liest man: „Das Verlangen, zu lieben und geliebt zu werden, gehört zur Natur des Menschen.“ Wie lebt man das praktisch?
Es ist ein Fehler, die Erfüllung der eigenen Sehnsucht nach dem Geliebt-werden beim Anderen zu suchen. Man wird auch in der Ehe vom Ehepartner nie ganz erfüllt werden. Letzten Endes kann nur Gott allein genügen, nur er kann meine tiefste Sehnsucht stillen. Das heißt, dass die wahrhaft christliche Familie immer diesen Kontakt zu Gott haben muss. Als Empfangender dieser Liebe Gottes kann ich andere lieben, und sogar über das Maß hinaus lieben. Das muss man auch, denn das Leben geht nicht immer so ganz locker dahin. Ein wichtiges Merkmal der Ehe ist: „Einer trage des Anderen Last.“ Und das kann ich nur, wenn ich selbst eine Quelle der Liebe habe.
Ein zentrales Thema der Familienpastoral ist die Vermittlung richtig gelebter Sexualität und Leiblichkeit. Wie bringen Sie das konkret den jungen Menschen näher?
Es gibt ein sehr gutes Schreiben von Johannes Paul II., Familiaris consortio, wo er klar sagt, dass es verschiedene Phasen der Ehevorbereitung gibt. Er spricht auch von der sogenannten entfernten Ehevorbereitung, die eigentlich schon bei den Kindern und Jugendlichen anfängt. Altersgerecht kann man also schon den Jugendlichen sagen, dass es bei dem Mann- und Frausein um etwas Schönes und Gottgemachtes geht. Man erfüllt sie mit dieser Erkenntnis der katholischen Anthropologie, also wofür wir als Menschen gemacht sind. Dann kann auch die Sexualität in der richtigen Ordnung verstanden werden. Die sexuelle Vereinigung ist letztlich besonderer Ausdruck der Ehe. Deswegen findet sie allein in die Ehe ihren richtigen Platz. Es ist so wichtig und schön, ihnen dieses Verständnis zu vermitteln, dass es kaum ein größeres Geschenk gibt, als sich selbst, den eigenen Leib, letztlich das Leben zu verschenken und dieses Geschenk für den Ehepartner aufzuheben.
Was möchte die ICF durch ihre verschiedenen Aktivitäten jungen Ehepaaren und Jugendlichen besonders mit auf den Weg geben?
Das Hauptanliegen ist die Gottesbegegnung. Wenn Menschen, insbesondere junge Menschen, Gott begegnen, dann verändert sich alles. Diese Liebe Gottes zu entdecken ist das „A und O“. Von dort her ordnet und reinigt sich alles, wird alles heil. Diesen Weg zu einer tiefen Gottesbegegnung muss man sich als Mensch aber auch bahnen. Wir helfen dabei, indem wir eine Gemeinschaft schaffen, wo viele zusammenkommen, die den Glauben leben und feiern. Das berührt und öffnet das Herz.
Warum ist der Fortbestand der Kirche mit dem der christlichen Familie so untrennbar miteinander verbunden?
Die Kirche erneuert sich in den betenden Familien. Sie ist die Kirche im Kleinen, die Hauskirche. Sie ist der Ort, wo das Christsein beginnt. Ich habe Jesus Christus einmal in Hinblick auf die Familie betrachtet: Sie ist der Ort, wo er 91 Prozent seines Lebens verbracht hat. Das ist eine faszinierende Botschaft. Er war 30 Jahre in der Familie, 3 Jahre im öffentlichen Leben. Die Familie ist ein Ort, wo Gott wohnt, wo er selbst Wohnung genommen hat. Wenn man die Bibel anschaut, sieht man es auch: Die ganze Heilsgeschichte dreht sich um Ehe und Familie und mündet letztlich in der Hochzeit des Lammes, die Vermählung von Christus mit Seiner Braut, der Kirche und uns. Da also die Familie ein Zentralthema in unserer Schöpfung ist, ist sie wesenhaft wichtig, gerade für die Kirche.
Was kann man daraus für die kirchliche Familienpastoral ableiten?
Wir betätigen uns nun schon seit ungefähr 25 Jahren speziell für die Familien. Wir haben dabei erfahren, wie immens wichtig es ist, dass jeder Pastoralbereich von der Familie aus entwickelt und gedacht werden muss. Es soll jetzt nicht anmaßend klingen, aber man kann sagen, die Familie ist das Zentrum der Pastoral. Die Jugendpastoral zum Beispiel, die nicht die Familie im Blick hat, – und ich meine mit Familie hier auch die Ganzhingabe –, kann nicht gut das erfüllen, was sie eigentlich sollte. Die Jugend strebt auf ein Ziel hin. Dieses Ziel heißt: Sich ganz schenken. Egal ob dies im Kloster, Priestertum oder mit der Gründung einer Familie verwirklicht wird. Die Jugendlichen müssen also zunächst das Wissen um diese zentrale Aufgabe der Ganzhingabe im Leben empfangen, auch durch das vorgelebte Zeugnis anderer, erst dann können sie selbst Dienende werden, die sich anderen schenken.
Daher sind die Familien eine wunderbare Chance für jeden Menschen, zu erkennen, dass das eigene Leben nicht nur für sich allein, sondern für die Anderen gelebt wird. Die Familie ist wie ein Baum, der wächst, Wurzeln schlägt und stabil wird. Dies braucht Zeit, und so ist auch das „Tempo“ in der Familie – und auch in der Familienpastoral – ein langsames. Aber gerade das kann etwas Heiles, Gutes hervorbringen. Deswegen unterstützen wir die Familien, indem wir etwas Dauerhaftes, Nachhaltiges anbieten. Familienpastoral ist eine generationenübergreifende Arbeit und hat einen sehr weiten Blick. Es gibt keine Kirche ohne Priester und es gibt keine Priester ohne Familien. Die Berufungen und die Familien gehören daher eng zusammen. Wenn wir also die Familie im Zentrum lassen, so wie es uns in der Bibel von Gott gezeigt wird, können wir alles von dort her gestalten, verstehen und so die Kirche erneuern.
Ein Beitrag zum Interview-Projekt „Schiffsbauer – Vision für die Kirche 2040“.
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