Heilige

Norbert von Xanten : „Nicht von der Erde wollen“

Leuchtturm des geistlichen Lebens: Norbert von Xanten als Prediger und Vertreter der Armutsbewegung. Von Barbara Stühlmeyer
Die Monstranz das Attribut Norberts von Xanten, Deckenfresko (1741) von Johann Michael Biehle
Foto: KNA | Weil er die Lehre von der Eucharistie verteidigte, wurde die Monstranz das Attribut Norberts von Xanten. Die Aufnahme zeigt das Deckenfresko (1741) von Johann Michael Biehle in der Bruderschaftskirche St.

Als Norbert um 1080 als Sohn von Heribert von Gennep und seiner Frau Hedwig in der Nähe von Xanten geboren wurde, sah alles so aus, als ob er ein gottgefälliges, vor allem aber ein ruhige Leben führen würde. Die tiefgreifende Unruhe, die um die Jahrtausendwende die von Endzeitängsten geplagte Gesellschaft geprägt hatte, war verflogen. Norbert wurde im Xantener Stift St. Viktor erzogen, erwies sich als begabt und machte bald eine innerkirchliche Bilderbuchkarriere. Erzbischof Friedrich I. von Köln nahm den jungen Subdiakon mit an den Königshof, wo Norbert Hofkaplan wurde, Kaiser Heinrich V. nach Rom begleitete und dort dessen Krönung miterlebte. Doch der junge Mann nahm mehr wahr als repräsentative Riten. Er warf einen Blick hinter die Kulissen. Was er dort sah, hatte mit dem Evangelium wenig zu tun. Die Auseinandersetzungen zwischen dem Papst, der darauf bestand, dass es seine Aufgabe sei, Bischöfe zu ernennen und dem Kaiser, der die Kirchenfürsten, die in seinem Reich auch weltliche Herrscher waren, selbst bestimmen wollte und deshalb den Papst und die Kardinäle zwei Jahre lang gefangensetzte, um sie zum Einlenken zu bewegen, stießen Norbert ab. Als er 1113 von Heinrich die Leitung des Bistums Cambrai angeboten bekam, sagte er deshalb nein. Stattdessen orientierte er sich neu und richtete nach einem Bekehrungserlebnis sein Leben grundlegend nach dem Evangelium aus. Geistliche Begleitung erhielt er dabei von Kuno, dem Abt eines benediktinischen Reformklosters in Siegburg und den streng asketisch lebenden Regularkanonikern der Abtei Kloosterrade.

Die Reform des Stiftes, in dem er aufgewachsen war, schlug fehl und so wählte Norbert von Xanten schließlich ähnlich wie Benedikt von Nursia das asketische Eremitenleben und ließ sich in einer Einsiedelei auf dem Fürstenberg nahe Xanten nieder. Im Gegensatz zu Benedikt wartete Norbert aber nicht, bis die Menschen zu ihm kamen, sondern wanderte umher und predigte. Was er zu sagen hatte, trieb seinen Mitbrüdern die Schamröte ins Gesicht. Kompromisslos wies Norbert sie auf den Widerspruch zwischen ihrem Reichtum und der Armut ihres Erlösers hin und kontrastierte ihre kostbaren Seidengewänder mit seinem härenen Gewand. Sein Verhalten war dem der Armutsbewegung nicht unähnlich und so dauerte es nicht lange, bis er sich auf der Synode von Fritzlar mit der Anklage der Ketzerei konfrontiert sah.

Norbert wehrte sich und behielt das Recht, zu predigen und seine ärmliche Kleidung zu tragen. Aber er verstand die Anklage auch als Aufruf, sein Leben zu prüfen. Tatsächlich hatte er sein armes Leben bislang nämlich mit einem angenehmen Sicherheitspolster verbunden. Er besaß noch eine Eigenkirche, die er nun der Abtei in Siegburg schenkte, seine Pfründe als Kanoniker des Stiftes St. Viktor in Xanten, auf die er fortan verzichtete und einige Stadthäuser, die er verkaufte, um den Erlös den Armen zu geben. Nachdem er gründlich in seinem Leben aufgeräumt hatte, begann er, so wie es die Apostel getan hatten, ein Leben als Wanderprediger.

Es ist interessant, welch transformierende Kraft der Verzicht auf äußere Sicherheiten hat. Mark Boyle, der frei Jahre lang ein geldfreies Leben führte, resümiert, dass er sich erst durch den Verzicht auf Geld der engen Verflechtung mit anderen Menschen und der Natur bewusst wurde. Indigene Stämme schicken ihre jungen Männer eine Zeitlang in die Einsamkeit, damit sie lernen, mit nichts als ihrem Verstand und ihrer Intuition zurechtzukommen und zur Ausbildung eines Jesuiten gehört es, eine lange Reise ohne Geld und klerikales Versorgungsnetz zu unternehmen, um einen lebendigen Kontakt mit der Gnade Gottes einzuüben.

Auch Norbert zog von nun an mit zwei Gefährten durchs Land und verkündete das Evangelium. Um eine weitere Anklage als Ketzer zu vermeiden, holte er vom Papst eine Predigterlaubnis ein. Sein Leben fristete er von dem, was er geschenkt bekam. Wie wenig er nötig hatte, bezeugt ein bemerkenswerter Satz aus seiner Vita: Staunen erregte seine neue Art zu leben, nämlich „auf Erden zu leben und nichts von der Erde zu wollen“. Er wäre sehr geeignet, ein Leitwort in der gegenwärtigen Situation zu sein, in der die Armen dieser Welt kommen, um uns das Teilen zu lehren. Als Orientierung diente Norbert allein das Evangelium und die Regel des heiligen Augustinus. Darauf bestand er auch, als der Papst ihn zum Propst des Stiftes St. Martin in Laon berief. Er betonte, sich keinesfalls auf Rechtsstreitigkeiten um Besitz einlassen zu wollen, was als Leiter eines Konventes, der zwangsläufig Besitz hatte, schwer zu vermeiden war. In Laon zeigt sich wieder Norberts Fähigkeit, sich korrigieren zu lassen. Anlass war die Tatsache, dass er seinen Aufenthalt in der Stadt nutzte, um den dort lehrenden Anselm von Canterbury zu hören und sich wissenschaftlich weiterzubilden. Einer seiner Mitbrüder macht ihm dies zum Vorwurf und mahnt ihn, der doch in der Schule des Heiligen Geistes gelernt habe und lerne, nicht einer verkopften und dem Evangelium im Grunde wesensfremden Theologie oder Philosophie zu verfallen. Norbert griff dieses Wort später auf und nannte diejenigen, die sich von seinen Reformgedanken anstecken ließen „Jünger Christi, vom heiligen Geist erzogen“. Ständige Bereitschaft, sein Leben wieder neu zu justieren, zeigt sich auch in der Klostergründung von Prémontré, in dem er die stark angewachsene Schar derjenigen, die sich ihm angeschlossen hatten, ansiedelte. Norberts Gemeinschaft ergänzte die Einsiedlerkolonie, die bereits dort lebte.

Das Kloster war als Doppelstift angelegt, seine Gründung erfolgte mit Hilfe des Bischofs und blieb kirchenrechtlich Teil des Diözesanverbands, eine Eigenheit, die die Norbertiner bis 1409 beibehielten, wenngleich auch vorher schon einzelne Klöster die Exemtion erlangt hatten. Nachfolgende Gründungen basierten oft auf Stiftungen wie beispielsweise die des Klosters Cappenberg, für die die gleichnamigen Grafen ihren Besitz zur Verfügung stellten.

Die von Norbert gegründeten Klöster lebten nach dem Ordo novus, der Regel des heiligen Augustinus und verpflichteten sich zu persönlicher Armut, täglicher Handarbeit, Fasten, Gottesdiensten und langen Phasen des Schweigens. Zugleich sorgte er dafür, dass die in der Einsamkeit angelegten Konvente über ausreichenden Grundbesitz verfügten, der ihre Autarkie gewährleistete. Obwohl er selbst unzweifelhaft ein Vertreter der Armutsbewegung ist, wie sie sich später in den Orden der Franziskaner und Dominikaner in den Städten ausbreiten wird, folgt Norbert bei seinen Gründungen dem Konzept der Zeit, dem Gedanken, dass klösterliches Leben am besten in der Einsamkeit gelingen könne. Doch auch wenn diejenigen, die seine Gemeinschaft gesucht hatten, nun sesshaft geworden waren, blieb Norbert seinem Wanderleben treu. Er predigte, schlichtete Streitigkeiten und bemühte sich, Sektierern entgegenzutreten, wie beispielsweise Tanchelinus, der, wie man im Barock überzeugt war, die Lehre von der Eucharistie angezweifelt habe.

Die Auseinandersetzung mit ihm führte dazu, dass seit der Barockzeit die Monstranz das Attribut des heiligen Norbert ist. 1126 wurde er schließlich zum Erzbischof von Magdeburg ernannt. Keine leichte Aufgabe, denn Norberts kompromissloses Eintreten für das Evangelium stieß bei Klerus und Volk auf manche Widerstände. Dennoch gelang es ihm, zwei Kanonikerstifte zu gründen, deren Mitglieder ihn in der Stadtseelsorge unterstützten. Norbert starb 1134 nach einer Romreise in seiner Bistumsstadt. Er wurde 1568 heiliggesprochen und seine Gebeine ins Prämonstratenserkloster Strahov überführt.

Ein spätes Echo seines strengen, schriftbasierten Lebens findet sich in der brieflichen Auseinandersetzung zwischen Tengswich von Andernach, der Leiterin eines Reformkonventes, der nach Norberts Regel lebte und Hildegard von Bingen. Sie schreibt: „Auch etwas anderes Ungewöhnliches über Euren Brauch kam uns zu Ohren, nämlich dass Eure jungen Frauen an Festtagen beim Psalmengesang mit losen Haaren in der Kirche stehen. Als Schmuck tragen sie glänzend weiße Seidenschleier, die so lang sind, dass sie den Boden berühren. … Dazu sollen ihre Finger mit goldenen Ringen geschmückt sein, obgleich doch der erste Hirte der Kirche dergleichen in seinem Brief verbietet, wenn er mahnend sagt: „Die Frauen sollen sich bescheiden benehmen und sich nicht mit gekräuseltem Haar, Gold, Perlen oder einem kostbaren Gewand zieren“ (1 Tim 2,9). Außerdem – das erscheint uns nicht weniger wundersam als dies alles – würden nur Frauen aus angesehenem und adeligem Geschlecht in Eure Gemeinschaft aufgenommen, den Nichtadeligen und weniger Begüterten verwehrt ihr weithin die Aufnahme bei Euch. Darüber sind wir sehr bestürzt und von der Ungewissheit großen Zweifels verunsichert, wenn wir schweigend im Geiste erwägen, dass der Herr in der Urkirche bescheidene und arme Fischer erwählt hat … Wir haben beschlossen, Eurer Heiligkeit unser kleines Schreiben zu schicken und beschwören Euch demütig und ergeben, Eure Würde möge es nicht verschmähen, uns bald mitzuteilen, welche Autorität diesen klösterlichen Brauch rechtfertigt.“ Norbert hätte dieser Brief bestimmt gefallen.

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