In der niedersächsischen Stadt Gandersheim befindet sich das evangelisch-lutherische Stift „St. Anastasius und St. Innocentius“, in dem bis zur Reformation unverheiratete Frauen aus dem Hochadel ein klösterliches Leben ohne Ordensgelübde führten. Die wohl berühmteste unter ihnen ist die als „erste deutsche Dichterin“ bekannte Roswitha von Gandersheim, die im 10. Jahrhundert lebte. Das Stift und die dazugehörige Kirche wurden 852 von Liudolf, dem Stammvater der Ottonen, gegründet. Er brachte aus diesem Anlass von einer Romreise die Reliquien zweier Päpste mit, die noch heute in der Krypta der Kirche – der nördlichsten Papstgruft überhaupt – ruhen: die des heiligen Anastasius I. und seines Nachfolgers, des heiligen Innozenz I., dessen Gedenktag die Kirche am 12. März feiert. Einer zeitgenössischen Quelle zufolge waren Anastasius und Innozenz Vater und Sohn. Der Liber pontificalis erwähnt diese enge Verwandtschaft jedoch nicht, sondern gibt nur Innozenz' Geburtsort an: das südlich von Rom gelegene Albano. Sein Geburtsjahr ist unbekannt. Wahrscheinlich bestieg er den Stuhl Petri am 22. Dezember 401.
Der erste "politische" Papst
Innozenz I. gilt als der erste „politische“ Papst; in einer weltgeschichtlich sehr turbulenten Epoche griff er in das Zeitgeschehen ein. Um 375 hatte die Völkerwanderung eingesetzt; immer mehr germanische Stämme, die nördlich und östlich der Grenzen des Römischen Reiches lebten, setzten sich in Bewegung. 395 verstarb überraschend Kaiser Theodosius der Große. Die Herrschaft fiel an seine Söhne Arkadius und Honorius, wodurch das Reich geteilt wurde. Als die Westgoten unter Alarich massiv versuchten, in den Westteil vorzudringen, konnte der noch sehr junge Kaiser Honorius – er war bei seinem Amtsantritt erst elf Jahre alt und wurde vom Feldherrn Stilicho militärisch vertreten – ihnen nichts entgegensetzen. Trotz Innozenz' Vermittlungsversuchen kam es im Jahr 410 zur Plünderung von Rom: ein Ereignis, das in der damaligen Welt als traumatischer Einschnitt erlebt wurde und das den heiligen Augustinus veranlasste, sein Werk „Vom Gottesstaat“ zu schreiben, in dem er darlegte, dass der Fall Roms nicht den göttlichen Heilsplan in Frage stelle.
Von Innozenz I. sind mehrere Briefe überliefert, aus denen ersichtlich wird, dass er den Primat des Bischofs von Rom weiter festigen wollte, vor allem in Bezug auf lehramtliche Entscheidungen. So bekräftigte er die Beschlüsse einiger afrikanischer Synoden, die unter dem Einfluss von Augustinus die Lehre der Pelagianer verurteilt hatten, die die Erbsündenlehre und damit die Notwendigkeit der göttlichen Gnade zur Erlangung des ewigen Heils ablehnten. In einem seiner Briefe schrieb Innozenz: „Dass wir täglich der Hilfe [Gottes] bedürfen, können wir nicht leugnen. Denn wir flehen sie an, wenn wir gut leben, damit wir besser und heiliger leben; wenden wir uns aber in böser Gesinnung vom Guten ab, so brauchen wir seine Hilfe umso mehr, damit wir auf den rechten Weg zurückkehren.“ Er sandte auch einen Trostbrief an den heiligen Hieronymus, der in Betlehem gewalttätige Angriffe durch die Pelagianer erlitten hatte, und mahnte den Bischof von Jerusalem, seiner väterlichen Fürsorgepflicht nachzukommen.
Den römischen Einfluss im Osten wahren
Auch im östlichen Reichsteil griff Innozenz ein: Als Johannes Chrysostomos, der Bischof von Konstantinopel, bei Kaiserin Eudoxia, der Ehefrau des Arcadius, deren luxuriösen Lebensstil er angeprangert hatte, in Ungnade fiel und von einer Synode abgesetzt wurde, sandte Innozenz eine Gesandtschaft nach Konstantinopel, um Chrysostomos zu rehabilitieren. Die Mission scheiterte: Chrysostomos starb auf dem Weg in die Verbannung. Aufgrund des daraus erwachsenden Konflikts mit den östlichen Bischöfen errichtete Innozenz ein päpstliches Vikariat in Thessaloniki, um den römischen Einfluss im Osten zu wahren.
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