Romano Guardini hatte 1920 die Aussage getroffen, dass die Kirche in den Seelen der Menschen erwacht. Damals wurde die Kirche als Gemeinschaft des Heils auf dem Weg zum ewigen Leben wahrgenommen. Davon ist heute nicht mehr viel übrig, im Gegenteil. Längst hat sich Ernüchterung breit gemacht, und viele haben sich von der Kirche abgewandt. Skandale, Schwierigkeiten, aber auch Unverständnis über das, was Kirche eigentlich ist, haben die Fundamente der Gläubigen erschüttert. Die Kirche scheint überflüssig geworden zu sein, sie wird nicht mehr als Heils-, sondern manchmal sogar als Unheilsgemeinschaft wahrgenommen. Ihr wird kaum mehr eine Relevanz für das eigene Leben zugesprochen. Und ist nicht das ewige Leben eine Vertröstung, die die Kirche sich ausgedacht hat?
Das Zweite Vatikanum lehrt im Gegensatz zu diesen Gedanken folgendes: „Darum können jene Menschen nicht gerettet werden, die um die katholische Kirche und ihre von Gott durch Christus gestiftete Heilsnotwendigkeit wissen, in sie aber nicht eintreten oder in ihr nicht ausharren wollten. Jene werden der Gemeinschaft der Kirche voll eingegliedert, die, im Besitze des Geistes Christi, ihre ganze Ordnung und alle in ihr eingerichteten Heilsmittel annehmen und in ihrem sichtbaren Verband mit Christus, der sie durch den Papst und die Bischöfe leitet, verbunden sind, und dies durch die Bande des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente und der kirchlichen Leitung und Gemeinschaft. Nicht gerettet wird aber, wer, obwohl der Kirche eingegliedert, in der Liebe nicht verharrt und im Schoße der Kirche zwar ,dem Leibe‘, aber nicht ,dem Herzen‘ nach verbleibt.“
Bloß äußere Mitgliedschaft genügt nicht
Ganz im Sinn von Guardini hat das letzte Konzil die Bedeutung der Kirche für das ewige Leben hervorgehoben. Wie das Zitat deutlich macht, wird die Kirche keineswegs als bloße Institution betrachtet, sondern als geistiger Raum, in den es einzutreten gilt. So genügt es nicht, „dem Leib“ nach – wie etwa in einer Partei – Mitglied der Kirche zu sein, sondern „dem Herzen“ nach. Das Gesagte setzt ein sakramentales Verständnis von Kirche voraus. In der Kirche als mystischem Leib Christi und als Volk Gottes verbleibt nur, wer Jesus Christus im Glauben und im Leben annimmt. Eine bloß äußere Mitgliedschaft genügt nicht.
Es geht demnach bei der Kirche zuerst um eine Gemeinschaft im Glauben, die die Annahme Jesu Christi voraussetzt, die sich aber sodann in den Sakramenten verwirklicht, wobei alle Sakramente Sakramente des Glaubens sind. Dies zeigt sich sehr deutlich im Hinblick auf die Taufe, von der es im Johannesevangelium heißt: „Wenn jemand nicht aus dem Wasser und dem Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen“ (Joh 3,5). An dieser Stelle zeigt sich, wie untrennbar das Heilswerk, das in Jesus Christus begonnen und vollendet wurde, in der Kirche fortgesetzt wird. Daher kann Paulus Christus als das Haupt der Kirche bezeichnen und hinzufügen: „Von ihm her wird der ganze Leib zusammengefügt und gefestigt durch jedes Gelenk“ (Eph 4,16). Es kommt also nicht darauf an, an Diskussionsforen, Debatten und Synoden teilzunehmen, sondern Jesus Christus anzunehmen und in Treue seinen Geboten zu folgen. Die Worte von Augustinus erhalten in diesem Kontext neue Aktualität, der die Annahme vertrat, dass viele, die außerhalb der Kirche zu sein scheinen, in Wirklichkeit drinnen sind, und viele, die drinnen zu sein scheinen, sich draußen befinden.
Schon die Kirchenväter hatten die Arche Noah als Vorausbild für die Kirche gedeutet, durch die alle Menschen guten Willens den Fluten des Todes entkommen. Weil die Kirche „in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott“ ist, ist es notwendig, in ihr dem Herzen nach zu verharren, um das ewige Leben zu erlangen.
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