Wer eine Blume beschreibt, schildert ein Glück und eine Freude. Man hat eine Gabe empfangen, man wurde bereichert. Das Durchschauen aber beherrschen die Intellektuellen von Berufs wegen. Das Durchschauen gibt ein Machtgefühl: wer durchschaut, triumphiert. Denn das Durchschaute ist, einmal durchschaut, besiegt. Sein Geheimnis ist ans Licht gezerrt, da liegt es nun, wehrlos und wertlos, banal. Sein Glanz war nur ein täuschender Schein, der für eine gewisse Zeit die endlich erkannte Wahrheit verbergen konnte. Deshalb kennen die Durchschauer keine Blumen.
Exercitium
Durchschauer kennen keine Blumen
Man kann eine Blume anschauen, aber nicht durchschauen. Sie ist reines Schenken: Einer schönen Farbe, einer Formenfülle, eines Duftes. Von Lorenz Jäger