Vor etwa zwei Jahren sprach Papst Franziskus ein offenes Lob aus für Frauen, die ihren Männern deren Seitensprünge vergeben: „Das ist Heiligkeit, die aus Liebe alles vergibt.“ Ein großes Wort, könnte man meinen, doch nicht alle waren von dieser Aussage begeistert, am allerwenigsten Margot Käßmann, die sogleich mit einen „Einspruch!“ in der Bild am Sonntag konterte. Der Papst verstehe nichts von Ehe und somit auch nichts von Ehebruch. Dieser sei für die betroffenen Frauen extrem schmerzhaft und könne daher nicht vergeben werden.
Wer hat je behauptet, Vergebung sei einfach?
Offenbar ist Frau Käßmann der Auffassung, dass Vergebung nur dann sinnvoll und angebracht ist, wenn sie einem leicht fällt, während man sich bei stark verletzenden Vergehen lieber in seinem Schmerz und Groll verkriechen solle. Doch wer hat je behauptet, dass Vergebung einfach sei? Sie gehört zu den schwierigsten Prozessen unter Menschen, natürlich gerade bei gravierenden Kränkungen. Deshalb hatte Franziskus dieses Verhalten ja ganz ausdrücklich als Heiligkeit beschrieben und damit jenseits der alltäglichen Sphäre angesiedelt.
Zugutehalten muss man der früheren Bischöfin womöglich, dass die Aussage des Papstes seinerzeit in den Medien leicht verändert, um nicht zu sagen verzerrt wiedergegeben worden war. Fast unisono hieß es, Franziskus habe Frauen gelobt, „die ihren fremdgehenden Männern vergeben“. Der Teufel steckt hier im Detail der Zeitform. Wenn von Frauen die Rede ist, die ihren „fremdgehenden“ (Präsens!) Männern vergeben, dann klingt das so, als sollten sich Frauen mit diesem Verhalten ihrer Männer abfinden und mal ein Auge zudrücken. Genau das hatte der Papst aber nicht gemeint.
Vergebung ist auf den Täter gerichtet
Ob bewusst oder unbewusst, die fälschliche Wiedergabe offenbart einen der klassischen Denkfehler beim Thema Vergebung. Diese für das christliche Leben so fundamentale Haltung bezieht sich auf etwas Geschehenes. Würde sie sich auf etwas Gegenwärtiges beziehen, so ginge es nicht um Vergebung, sondern um ein Einverständnis. Mit diesem Umstand eng verbunden ist die Tatsache, dass Vergebung weniger auf die Tat an sich als vielmehr auf den Täter gerichtet ist. Nicht umsonst lehrt Jesus uns beten: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Die Fähigkeit zur Vergebung erwächst aus der Erkenntnis, dass auch wir selbst Schuldige sind, vielleicht nicht durch dieselben Dinge wie unsere Nächsten, aber doch im selben Zustand der Sünde. Hier zeigt sich auch eine bedeutende Parallele zum Thema Rechtfertigung. Auch dort geht es um die Rechtfertigung des Sünders, nicht der Sünde. Würde die Sünde gerechtfertigt, käme dies wiederum einem Einverständnis gleich.
In der wohl berühmtesten Erzählung zum Thema Sünde und Vergebung geht es ebenfalls um Ehebruch. Die Pharisäer führen eine Ehebrecherin (ja, Frauen machen so etwas auch!) zu Jesus mit der Frage, ob diese nun gesteinigt werden solle, wie es das Gesetz verlangt. Doch Jesus erwidert: „Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie“, woraufhin sich die Menge auflöst. Der Frau aber sagt er: „Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“ Dieser Satz bringt die entscheidende Dialektik des Vergebungsprozesses zum Ausdruck. Vergebung bezieht sich einerseits auf etwas Vergangenes, ist aber andererseits auf die Zukunft gerichtet. Vergebung bedeutet Umkehr, Veränderung und Neuanfang, für sich selbst und seinen Nächsten. Deshalb steht sie im Herzen des Evangeliums.
Fortsetzung der Reihe zu theolog. Denkfehlern im nächsten „Credo“
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