Der Vergleich, den Kardinal Koch in seinem Interview mit der „Tagespost“ zwischen dem Zeitgeist des Relativismus und der Ideologie des Nationalsozialismus gezogen hat, war nicht nur unpassend, sondern verstörend, und er hat verletzt. Dafür hat sich Koch in einer Erklärung, zu der der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischöfe Georg Bätzing, ultimativ aufgefordert hatte, entschuldigt. Er habe nicht die Absicht gehabt, so der Schweizer Kurienkardinal, jemanden zu verletzen.
Absurder Vorwurf
Doch offensichtlich hat er die negative Wirkung seines Vergleiches unterschätzt. Es wäre besser gewesen, Koch hätte hier nicht verglichen. Doch ich kenne Kurt Koch nun seit fast dreißig Jahren und kann daher sagen: Es ist völlig absurd, dass Koch Mitglieder des Synodalen Weges mit den „Deutschen Christen“ vergleichen wollte, was ihm Bischof Bätzing bei der Presskonferenz zum Abschluss der Herbstvollversammlung der deutschen Bischöfe am vergangenen Donnerstag vorgeworfen hat. In einer Stellungnahme vom Freitagnachmittag erklärte Bätzing, dass er Kochs Erklärung und seine Entschuldigung für nicht ausreichend halte. Dabei unterstellt er Koch, dieser habe suggeriert, „in Deutschland würden wir uns nicht dem schrecklichen Erbe des Nationalsozialismus stellen“, was der Kardinal mit keinem Wort gesagt hat. Vielmehr entschuldigte er sich für den Tabubruch, einen Vergleich mit der Zeit des Nationalsozialismus angestellt zu haben. Sein Versuch, deutlich zu machen, warum es in manchen Situationen falsch sei, am Puls der Zeit sein zu wollen, sei ihm „misslungen“.
Der Furor, in den sich Bischof Bätzing bei der Pressekonferenz am letzten Donnerstag hineingesteigert hat, hat sich auch in seiner Stellungnahme vom Freitag niedergeschlagen. Offensichtlich ist Bätzing nicht an einer Deeskalation interessiert. Er scheint Kardinal Koch übel zu nehmen, dass dieser nicht nur das Votum des Ökumenischen Arbeitskreises „Gemeinsam am Tisch des Herrn“, hinter das sich Bätzing gestellt hatte, theologisch fragwürdig nannte, sondern sich auch wiederholt kritisch zum Synodalen Weg äußerte.
Viele Kritiker
Doch mit seiner Kritik am Synodalen Weg ist Kardinal Koch nicht allein, eine Reihe von Bischöfe und Theologen – national wie international – haben sich ähnlich geäußert. Auch Papst Franziskus hat mehrfach seine Bedenken gegenüber dem Synodalen Weg kundgetan, darunter in einem Schreiben an die Gläubigen in Deutschland (2019) und mittels einer Erklärung des Staatssekretariats des Heiligen Stuhls (2022). Zuletzt machte Franziskus mit der süffisanten Bemerkung Schlagzeilen, in Deutschland gäbe es schon eine evangelische Kirche, es brauche keine zweite.
Deutlicher kann man die Warnung vor einer entscheidenden Veränderung der kirchlichen Lehre und Leitungsstruktur, auf die der Synodale Weg abzielt, nicht zum Ausdruck bringen. Bis heute hat Bätzing alle kritischen Stimmen aus dem Vatikan und anderen Bischofskonferenzen zum Synodalen Weg in den Wind geschlagen. Doch immer deutlicher wird inzwischen, wie wenig aussichtsreich das Vorhaben des Synodalen Weges ist.
Bätzing zeigt sich nicht informiert
Frappierend an Bätzings Stellungnahme vom Freitag ist, dass er den „Orientierungstext“ des Synodalen Weges, auf den sich Kardinal Koch kritisch in seinem Interview mit der „Tagespost“ bezogen hat, offensichtlich nicht genau kennt. Denn in Verbindung mit den „Zeichen der Zeit“ spricht der Text sehr wohl von Offenbarung und nicht nur, wie Bätzing glauben machen will, von einem Erkenntnisort. So heißt es: „Die Zeichen der Zeit stehen für Momente, in denen sich etwas Bedeutsames offenbart und zur Entscheidung zwingt.“ Weiter ist von „Zeiten der Theologie“ die Rede, welche „das ,Heute‘ der Stimme Gottes in je verschiedenen Kontexten entdecken lassen“. In Bätzings Stellungnahme zu Kochs Interview heißt es, „dass Gott der Schöpfer und Erhalter der Welt, sich auch in dieser Welt und in der Geschichte der Menschen immer wieder offenbart“.
Der „Orientierungstext“ gebraucht die Offenbarungskategorie inflationär. Zum Glaubenssinn der Gläubigen stellt der „Orientierungstext“ fest: „So ereignet sich im Glaubenssinn der Gläubigen immer wieder neu eine Selbstmitteilung Gottes.“ Doch die einzige Selbstmitteilung Gottes ist seine Offenbarung in Jesus Christus, dem menschgewordenen Sohn Gottes.
Nur als Katalysator
Gestützt auf einige, vom Präsidium des Synodale Weges ausgewählte Theologen, wird im „Orientierungstext“ die Architektonik der theologischen Erkenntnis- und Prinzipienlehre verändert. Neben Schrift und Tradition werden nicht nur die „Zeichen der Zeit“ zu Offenbarungsorten erklärt. Wenn man die „Zeichen der Zeit“ wirklich nur als theologische Erkenntnisorte (loci theologici) betrachtet, können sie nur fremde Erkenntnisorte (loci alieni) sein, zu denen Melchior Cano, Vater der modernen theologischen Erkenntnis- und Prinzipienlehre, Geschichte und Philosophie zählt.
Die „Zeichen der Zeit“, so Karl-Heinz Menke, in seinem Beitrag zur letzten Beilage der „Tagespost“ zum Synodalem Weg, können zwar ein Katalysator für ein tieferes Verständnis von Schrift und Tradition sein, es handelt sich bei ihnen aber nicht um Orte göttlicher Offenbarung. Deshalb ist nötig, die „Zeichen der Zeit“ im Licht des Glaubens zu lesen und dabei zwischen Zeichen des Geistes und des Ungeistes zu unterscheiden. Thomas Söding, Vizepräsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, wirft Kardinal Koch vor, den Zeitgeist mit den „Zeichen der Zeit“ zu verwechseln. Man könnte zurückfragen, ob es nicht vielmehr der Synodale Weg ist, der beides verwechselt.
Anfällig für Ideologien
Wenn Bischof Bätzing für das Verständnis der „Zeichen der Zeit“ beim Synodalen Weg Thomas von Aquin und seine Rezeption der aristotelischen Philosophie bemüht, ist daran zu erinnern, dass der doctor angelicus den Stagiriten an zentralen Stellen entscheidend korrigiert hat, nicht nur in der Lehre von Gott, sondern auch in der Anthropologie, dem Verständnis der menschlichen Vernunftseele und in der Ontologie. Man hätte sich gewünscht, der Synodale Weg hätte wie Thomas deutlicher unterschieden zwischen dem, was mit dem Glauben der Kirche vereinbar ist und was nicht, etwa bei der der Frage der Geschlechtlichkeit des Menschen, bei der die Mehrheit der Bischöfe der Genderideologie auf den Leim gegangen ist. Nicht einmal ein klares Bekenntnis zur biologischen Zweigeschlechtlichkeit findet sich in den Texten des Synodalen Weges. Nur soviel zur Ideologieanfälligkeit des Synodalen Weges, auf die Kardinal Koch in seinem Interview hinweisen wollte.
Auf den Ad-limina-Besuch der deutschen Bischöfe in Rom im November darf man gespannt sein. Interessante, aber auch schwierige Gespräche stehen bevor.
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