Originelle Köpfe sind selten geworden in deutschen Theologenkreisen. Auch der Vorschlag des hochbetagten Hermann Häring, die katholische Kirche solle "das Erbsündensyndrom" überwinden, ist im Grunde ein alter Hut. Seine Vorstellung, die "ungeschmälerte Freiheit" solle Ausgangspunkt des christlichen Menschenbildes sein, beschäftigte schon die Christen in der Antike. Das römische Glaubensdikasterium hat das Comeback der Häresien von gestern vor gut vier Jahren im Schreiben "Placuit Deo" beschrieben.
Die Einzigartigkeit der Erlösertat Christi verschleiert
Den modernen Irrlehrern gemeinsam ist, dass sie sich vom überlieferten Glauben an den Erlöser verabschiedet haben und Christus allenfalls als brauchbares Vorbild sehen - aber nicht mehr als das Heil der Welt. Es lohnt sich daher, die Schriften des heiligen Augustinus zu lesen, insbesondere seine Auseinandersetzung mit dem Irrlehrer Pelagius. Augustinus nimmt den Traditionsfaden der frühen Kirche auf und lässt Christus als den zur Geltung kommen, der er ist: der verheißene Erlöser.
Und genau hier liegt Härings Problem: Das entscheidende Motiv, die Erbsündenlehre aufzugeben, ist für ihn "das befreiende und solidarische Menschenbild, an das uns die Geschichte Jesu von Nazareth erinnert". Die Einzigartigkeit der Erlösertat Christi wird hier verschleiert. Braucht es diesen Jesus wirklich unbedingt? Auch die kleine Schwester der Häresie, die Geschichtsklitterei, erspart Häring seinen Lesern nicht: Mit Pauschalvorwürfen wie "dieses dunkle, traumatisierende Menschenbild" möchte er die angebliche Freiheits- und Weltangst untermauern, als deren Ursache er die Erbsündenlehre ausmacht - als ob Heilige wie Franz von Assisi und Mutter Teresa, die zur überlieferten Lehre standen, das Befreiende der christlichen Botschaft nicht in aller Freiheit anderen vorgelebt hätten.
Im Grunde hadert Häring mit der Heiligen Schrift selbst: Darum setzt er den Apostel Paulus auf die Anklagebank. Im Römerbrief fasst der Völkerapostel die Grundlage der Erbsündenlehre zusammen: "Durch einen einzigen Menschen, nämlich durch Adam, ist die Sünde in die Welt gekommen und als Folge davon der Tod." Die Kirchenväter haben diese Stelle richtig verstanden.
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