Karol Wojtyla

Wende in der „Causa Wojtyła“?

Dokumente sollen nicht bestätigen, dass „Missbrauchspriester“ Saduś ein Pädophiler gewesen sei – Aktuelle Umfrage: Mehr Polen betrachten Johannes Paul II. als Autorität.
Politicised Religion Resurfaces In Poland After JPII Child Abuse Cover-up Revealed An image of late Pope John Paul II is
Foto: IMAGO/Jaap Arriens (www.imago-images.de) | Papst Johannes Paul II. stand im Verdacht, einen Missbrauchstäter gedeckt zu haben. Die Vorwürfe erweise sich als nichtig.

Bei den Vorwürfen des niederländischen Autors Ekke Overbeek („Maxima culpa“), während der Amtszeit von Karol Wojtyła als Bischof in Krakau seien pädophile Taten durch Priester aktiv vom späteren Papst vertuscht worden, spielt der mit Wojtyła befreundete Geistliche Bolesław Saduś (1917–1990) eine Schlüsselrolle.

FalscheVorwürfe gegen Wojtyla

Laut Overbeek wusste Wojtyła, dass sich Saduś, der damals als Referent für den Religionsunterricht in der Erzdiözese Krakau, aber auch als inoffizieller Mitarbeiter der kommunistischen Staatssicherheit tätig war, an Schülern vergriffen habe. Als diese Dinge sich herumzusprechen drohten, habe Wojtyła Saduś nach Österreich abgeschoben, ohne die Kirche in Österreich über die genauen Hintergründe des Falls und damit die pädophilen Neigungen von Saduś zu informieren, so Overbeeks These, die er erst vor wenigen Tagen gegenüber dem polnischen Radiosender „TOK.FM“ wiederholt hat. „Im Fall von Saduś ist es offensichtlich, dass Karol Wojtyła persönlich involviert war, um ihn zu retten, zu einer Zeit, als es Anschuldigungen gegen ihn gab, er habe Schulkinder belästigt“, so Overbeek gegenüber dem Radiosender.

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Doch so wie auch bei zwei anderen Priestern, die der Gegenstand von Overbeeks Recherche im Institut des Nationalen Gedenkens (IPN) waren, meldet sich nun auch beim Fall Saduś der polnische Journalist Tomasz Krzyżak zu Wort, der bereits im vergangenen Herbst in der Zeitung „Rzeczpospolita“ mit seinem Kollegen Piotr Litka zu anderen Ergebnissen gekommen war als Overbeek, wenn es um den Vorwurf geht, Karol Wojtyła habe Missbrauchsfälle vertuscht. Laut Krzyżak, dessen aktuelle Aussagen gegenüber der Polnischen Presseagentur (PAP) von dem Online-Dienst „Stacja7“ zitiert werden, bestätigen die IPN-Dokumente nicht einmal, dass Saduś ein Pädophiler gewesen sei.

Sadus: homosexuell, aber nicht sicher pädophil

Krzyżak betont, dass er und Piotr Litka nach der Ausstrahlung des TV-Berichts „Franciszkańska 3“, der fast zeitgleich mit dem Erscheinen von Overbeeks Buch beim Fernsehsender „TVN“ ausgestrahlt wurde und vom polnischen Journalisten Marcin Gutowski recherchiert wurde, die Akte von Saduś im IPN geprüft hätten. „Auf der Grundlage dieser Dokumente, auf die sich sowohl Marcin Gutowski als auch Ekke Overbeek gestützt haben, kann man nicht die These aufstellen, dass Kardinal Karol Wojtyła den Geistlichen Saduś nach Österreich geschickt hat, um die Tatsache zu vertuschen, dass er Kinder sexuell missbraucht hat“, so Krzyżak weiter.

Es sei sogar keineswegs sicher, dass Saduś pädophile Taten begangen habe. „In den Dokumenten steht nur, dass er homosexuelle Neigungen hatte“, so Krzyżak. Was dem Sicherheitsdienst („SB“) auch bekannt war. „Diese Neigungen waren die Grundlage dafür, dass Saduś fester mit dem Sicherheitsdienst verbunden wurde, obwohl er mit einer kurzen Unterbrechung seit 1949 ein geheimer Mitarbeiter war und dies auch blieb, als er Ende 1972 das Land verließ“, so Krzyżak. Demnach stand die Ausreise von Saduś im Zusammenhang mit einem Skandal „mit homosexuellem Hintergrund“, nicht aber „mit pädophilem Hintergrund“.

Nur Vermutungen

So richtig wusste wohl der Sicherheitsdienst selbst nicht, was tatsächlich geschehen war, erläutert Krzyżak. Es wurden mehrere Vermutungen angestellt, die von Geheimagenten des „SB“ stammten. Doch in keinem Dokument könne man Angaben zum „Alter dieser Opfer" finden, unterstreicht Krzyżak und betont, dass in der Akte von Saduś der Begriff „Minderjährige“ nur ein einziges Mal vorkomme – in einer Notiz aus dem Jahr 1979. Ein Jahr nach der Wahl von Karol Wojtyła zum Papst. „Es ist doch verblüffend, dass der Sicherheitsdienst 1972 nicht wusste, worum es bei dem Skandal um den Geistlichen Saduś ging, und plötzlich, unmittelbar nach der Wahl Wojtyłas zum Papst, solche Gewissheit erlangte“, so Krzyżak weiter.

Ferner erläutert Krzyżak, wie „Stacja7“ sein „PAP“-Interview zusammenfasst, dass der Weggang von Saduś keineswegs plötzlich erfolgt, sondern bereits seit einem Jahr im Gespräch gewesen sei. „Die Tatsache, dass er Mitte 1972 nach Österreich geschickt wird, mag mit einem mysteriösen Skandal zusammenhängen, aber es war nicht der Wunsch, einen Pädophilen zu verstecken, sondern den skandalumwitterten Priester aus dem Blickfeld zu nehmen“, hebt Krzyżak hervor.

Unklar, was Wojtyla gewusst hat

Auch die These, Kardinal Wojtyła habe dem Wiener Erzbischof, Kardinal Franz König, die Gründe für das Auftreten von Saduś in Österreich verschwiegen, ist nach Meinung von Krzyżak falsch. Overbeek habe diese These auf Grundlage eines Briefes von Kardinal Wojtyła an Kardinal König aufgestellt, in dem der Skandal um Saduś nicht erwähnt werde, doch niemand habe über solche Angelegenheiten in offiziellen Briefen geschrieben.

Schließlich betont Tomasz Krzyżak laut „Stacja7“, dass viele Dokumente Kardinal Wojtyla nicht erreicht hätten, wie Saduś es selbst in seinen Anklagen erwähnt habe. Eine „große Figur“ in der Kurie sei der Kanzler Mikolaj Kuczkowski gewesen, der oft Gespräche mit Priestern geführt habe. Es sei nicht ganz klar, was Wojtyła mitgeteilt worden sei, welche Entscheidungen er persönlich getroffen habe und welche dem Kanzler überlassen worden seien.

Fadenscheinige Beweise

Aus Sicht von Tomasz Krzyżak, der nach dem Philologie-Studium in Warschau den Postgraduierten-Studiengang „Prävention sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ an der Ignatianum-Akademie in Krakau belegt hat, würden sich sowohl die Thesen der Reportage „Franciszkańska 3“ wie auch die des Buches von Ekke Overbeek „Maxima culpa“ nicht durch IPN-Akten bestätigen lassen. „Das kann man nicht mit solch fadenscheinigen Beweisen machen.“

Ekke Overbeek hingegen verteidigt gegenüber „TOK.FM“ seine Vorgehensweise. „Die Materialien des Instituts für Nationales Gedenken sind ein Ausgangspunkt. Ich habe später Zeugen gefunden, die bestätigen, was in den Akten steht. Außerdem handelt es sich nicht um typische SB-Dokumente, sondern um Gerichtsakten, die vom Sicherheitsdienst geführt wurden“, so der Holländer. Es sei „ein Mythos, dass der SB nur mit der Fälschung von Dokumenten beschäftigt war. Jeder Nachrichtendienst sammelt so viele Informationen wie möglich und versucht dann, sie zu verifizieren. In der Tat wurden Dokumente gefälscht, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Aber wenn dies geschah, z.B. durch die Fälschung eines Briefes, wurde versucht, dies auf der Grundlage verifizierter Informationen zu tun, damit der Brief so authentisch wie möglich aussah“.

Ansehen Johannes Pauls II. steigt

Passend zu der Sichtweise, dass die Thesen Overbeeks auf „brüchigen Grundlagen beruhen“, meldet die Website „Tysol.pl“ nun die Ergebnisse einer aktuellen IBRiS-Umfrage, wonach vor der Ausstrahlung der „TVN“-Dokumentation lediglich 58 Prozent der Polen angaben, dass sie Karol Wojtyła als Autorität betrachten. Nach der Ausstrahlung von „Franciszkańska 3“ seien es 72 Prozent. Ein Anstieg um 14 Prozent. Die von Ekke Overbeek erläuterte Methodik, auf der auch die „TVN“-Reportage beruht, scheint demnach einen positiven Effekt auf das Ansehen des späteren Papstes zu haben. „Das Gedenken an den polnischen Papst wird in Polen wieder aufgenommen“, fasst „Tysol.pl“ das Ergebnis der aktuellen Umfrage zusammen.

Rückenwind bekommt das Ansehen Johannes Pauls II. auch durch aktuelle Äußerungen des Vorsitzenden der Oppositionspartei „Bürgerplattform“, Donald Tusk. „Gość Online“ zitiert den früheren Ministerpräsidenten Polens und Präsident des Europäischen Rates (2014–2019) mit den Worten, dass Johannes Paul II. ein Teil seines Erbes und Teil seiner selbst sei. Die Geschichte der Gewerkschaft „Solidarność“ sei „untrennbar mit Helden wie Lech Wałęsa und Johannes Paul II. verbunden“. T

usk weiter: „Lassen Sie uns das, was uns lieb und teuer war, nicht auf eine unverantwortliche Weise wegreißen.“ Dabei lobte Tusk auch die „im Großen und Ganzen recht vernünftige“ Erklärung der Polnischen Bischöfe zu den jüngsten Angriffen auf den Papst. Tusk schloss sich der Mahnung an, „dass Johannes Paul II. nicht in einem politischen Krieg und im Interesse einer Partei benutzt werden“ dürfe.

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Stefan Meetschen Donald Tusk Erzbischöfe Erzbistum Hamburg Franz König Johannes Paul II. Kardinäle Missbrauchsaffären Päpste

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