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Kirchenkritik ohne Tiefgang

Peter Mayer-Tasch arbeitet sich am Begriff der Gnade ab, ohne zu überzeugenden Schlussfolgerungen zu kommen.
Die Begegnung mit dem lebendigen dreieinen Gott
Foto: Julian Kumar / Godong via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Die Begegnung mit dem lebendigen dreieinen Gott – hier in einer Darstellung in Kloster Ostrog in Montenegro – als Inbegriff der Gnade ist eine Vorstellung, die das Christentum zutiefst prägt.

Einen „Beitrag zur Politischen Theologie“ möchte der Münchner Politikwissenschaftler Peter Cornelius Mayer-Tasch mit seinem jüngst erschienen Essay „Von Glanz und Elend der Gnade“ leisten. Worin konkret soll dieser Beitrag jedoch bestehen?
Am Anfang steht die Faszination wie scheinbare Unzeitgemäßheit – angesichts einer sich als aufgeklärt verstehenden Moderne –, die der Autor dem Begriff der Gnade beimisst: „Gnade – welch ein Wort! Ist es aber nicht auch ein eher in die Vergangenheit weisendes als der Gegenwart zugehöriges Wort?“

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Ausgehend von der Wahrnehmung dieser Spannung unternimmt Mayer-Tasch „den Versuch, verschiedene Aspekte des individuellen und kollektiven (das heißt also sozialen und politischen) Umgangs mit dem Begriff der Gnade auszuloten“. An dessen Ende freilich steht das Plädoyer für eine belehrte Unwissenheit, die es erlaubt und gebietet, „die Wahrnehmung all dessen, was wir unter der Vorstellung von Gnade, Begnadung und Begnadigung verstehen mögen, in den Freiraum höchstpersönlicher Bewertungen zu entlassen“ – die es vor allem aber nahelegt, „die unverkennbare und unabweisbare Faszination und Magie dieses altehrwürdigen Begriffs wenigstens gedanklich sowohl dem Glanz als auch dem Elend menschlicher Machtkämpfe zu entziehen“.

Kirchenkritik, der Tiefgang fehlt

Insbesondere Letzteres verdient – nimmt man den Charakter des Unverfügbaren ernst, den Gnade aus einer theologischen Perspektive trägt – volle Zustimmung, ebenso wie das grundsätzliche Anliegen zu begrüßen ist, einen nicht mehr selbstverständlichen, jedoch fortwährend in aller Munde geführten Begriff theorie- und kulturgeschichtlich zu erhellen. Umso bedauerlicher ist, dass die vom Autor gebotene Herleitung der Schlussfolgerung in besonderer Weise darunter leidet, dass er in ihrem Vollzug vornehmlich eine verkappte Kirchenkritik betreibt.

Das geht nicht nur zulasten der Fokussierung auf das eigentlich in Frage stehende Phänomen; vielmehr fehlt zugleich der Kirchenkritik der – will man sie ernsthaft betreiben, notwendige – Tiefgang. Diese Schieflage deutet sich bereits darin an, dass Mayer-Tasch nicht mit der knappen Begriffsgeschichte, die von „Gnade als Inbegriff des Willkommenen“ ausgeht, einsteigt. Ihr voran stellt er vielmehr die Frage „Gnade – ein Anachronismus?“, um diese „angesichts einer sich ständig verschärfenden Krise der sich noch immer zur Gnadenvermittlung primär berufen fühlenden Institution“ – also der christlichen Großkirchen – abschlägig zu beantworten.

Duktus eines Aufklärers

Das obsessive Verhältnis des Autors zur Kirchengeschichte setzt sich sodann im Kapitel „,Gott‘ als Urquell jeglicher Gnade“ fort, das nach acht Seiten zur biblischen Begründung des Monotheismus – in denen statt von „Jesus (Christus)“ vom „Propheten aus Nazareth“ die Rede ist – gleich in die europäische und außereuropäische Religionsgeschichte abbiegt. Es schließt sich – Schlagwort Thron und Altar – ein Kapitel zum „,Gottesgnadentum‘ als Herrschaftslegitimation“ an. Hieran knüpft Mayer-Tasch die Frage „Ein Gott von Kaisers Gnaden?“ an, unter die er die Dogmengeschichte der Alten Kirche stellt.

Es ist schon fast rührend zu beobachten, wie sich der Autor des Duktus eines Aufklärers befleißigt – als wenn die Leserschaft durch ihn erstmalig über die Zusammenhänge von Theologie und Politik im Zusammenhang mit der Konstantinischen Wende und der Entwicklung des Nicäno-Konstantinopolitanums konfrontiert würden. „Vom Geheimnis der Gnade“ handelt der Autor abschließend in zweifacher Hinsicht: „rational“ und „metarational“, wobei erstes für ihn die Rekapitulation seiner zuvor geleisteten Dekonstruktion mit Fokus auf ein Kalkül gegenseitiger Stabilisierung von geistlicher und weltlicher Autorität bedeutet, zweites dann – folgerichtig – die ,Inschutznahme‘ der Gnade vor einer dogmatisch-monotheistischen Vereinnahmung.

Kurzschlüsse und deftige Vergleiche

Mayer-Taschs Rhetorik lebt von Kurzschlüssen und deftigen Vergleichen: So funktioniert sein Vorwurf an das Christentum, dass die „Hoffnung auf einen jenseitigen Ausgleich diesseitiger Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten zum soziokulturellen Allgemeingut wurde“, natürlich nur durch die Ausklammerung gegenläufiger theologie- und kirchengeschichtlicher Traditionslinien wie nicht zuletzt derjenigen der Befreiungstheologie.

Geradezu abgründig sind die Motive für Parallelisierungen wie derjenigen, die Revolutionsführer des Irans würden „in einem ähnlichen Ringen bestimmt, wie dies in der katholischen Christenheit vom Konklave her bekannt ist“. Angesichts derartiger Unschärfen mag man dem Verfasser vor allem eines wünschen: gnädige Leser.

Peter Cornelius Mayer-Tasch: Von Glanz und Elend der Gnade. Ein Beitrag zur Politischen Theologie, Pustet-Verlag, Regensburg, 2023, 96 Seiten, EUR 18,–

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