Lieber Mitbruder, kannst Du mir Dein Leben so erzählen, dass ich etwas daraus lernen kann?
Ich habe in unserem Orden das Prädikat „vom Kreuz“ gewählt, weil mein Leben immer unter dem Zeichen des Kreuzes stand. Ich bin 1542 geboren, wohl am 24. Juni, also am Geburtsfest des heiligen Johannes des Täufers, deshalb mein Name Johannes, auf Spanisch „Juan“. Mein Bruder Francisco und ich wuchsen in ärmlichsten Verhältnissen auf. Mein Vater ist schon bald gestorben, meine gute Mutter Catalina Alvarez hat uns beide, meinen Bruder und mich, in einem tiefen Glauben erzogen. Als ich 13 Jahre alt war, zog meine Mutter mit uns beiden in die Handelsstadt Medina del Campo, wo ich mich im Krankenhaus der Pflege der Kranken widmete. Mein Wunsch war aber, Priester in einem Orden zu werden.
Im Alter von 20 Jahren trat ich deshalb bei den Karmeliten von Medina del Campo ein. Nach meiner Profess kam ich nach Salamanca in den dortigen Karmel, wo ich mein Theologiestudium begann. Nur … die Art, wie man dort den Karmel gelebt hat, war mir zu wenig konsequent, deshalb wollte ich zu den Kartäusern wechseln, die ja ausschließlich ein Leben des Gebets, und nur des Gebets führen! Bevor es jedoch dazu kam, lernte ich unsere heilige Mutter, Teresa von Avila, kennen, eine echte Heilige, die ich im Lauf meines Lebens immer mehr schätzen lernte! Sie hat mich für ihr großes Reformwerk im Karmel begeistern und auch gewinnen können.
Zusammen mit zwei Mitbrüdern begann ich dann als Pater Johannes vom Kreuz, wie ich mich jetzt genannt habe, am 28. November 1568, also im Alter von 26 Jahren, das neue Karmelleben in dem kleinen, abgeschiedenen Dorf Durvelo. Bald schon faszinierte diese neue Form des Karmel, der ja nach unserer heiligen Mutter und Gründerin Teresa „Teresianischer Karmel“ genannt wurde, viele junge Männer, sodass auch sie in unseren Orden eingetreten sind. Auf diese Weise breitete er sich immer mehr aus …
Damals konnten innerhalb von kurzer Zeit viele neue Klöster des Karmel gegründet werden. Heutzutage ist es umgekehrt: Mehr und mehr Klöster müssen wegen Nachwuchsmangel geschlossen werden … Welche Anregungen kannst Du uns Karmeliten geben, damit wir wieder Nachwuchs bekommen?
Du weißt selbst, dass es in unserer Spiritualität vor allem darum geht, dass wir versuchen, nur auf Christus zu schauen und uns um ihn und seine Sorgen zu kümmern, dann wird er sich nämlich auch um unsere Sorgen kümmern! Wenn wir aber nicht auf Jesus schauen und stattdessen nur auf dieses Problem starren, ähnlich wie das Kaninchen auf die Schlange, wenn wir den ganzen Tag nur überlegen, was wir denn noch alles tun könnten, um junge Leute für unseren Orden zu gewinnen, dann wird das keinen Erfolg bringen! Stattdessen ist es besser, zunächst auf das Reich Gottes zu schauen, dann wird euch alles andere, auch der Nachwuchs, schon dazugegeben! Jesus wird euch dann schon sagen, was ihr diesbezüglich tun sollt! Ihr müsst den Akzent auf das geistliche Leben legen, auf das Leben mit Gott, dann werdet ihr von dieser Beziehung her schon die Schritte tun, die notwendig sind. Ihr dürft euch nur nicht auf das weniger Wichtige fixieren und dadurch das eigentlich Wichtige, nämlich Gott und eure Beziehung zu ihm, an den Rand schieben!...
"Inmitten tiefster, innerer Finsternisse
beschenkte mich mein Gott
aber gerade in diesen langen Monaten mit tiefen Gotteserfahrungen"
Wir sind halt auch als Karmeliten nur Menschen! Du nimmst hier einen wichtigen Perspektivenwechsel vor, der einem letztlich auch wieder den Druck nimmt, zu meinen, immer nur selbst etwas zur Lösung dieses Problems tun zu müssen!
Ja, es geht auch im Hinblick auf den Nachwuchs um diesen Perspektivenwechsel, das heißt, es geht letztlich darum, dass man Gott wieder die erste Stelle beimisst und nicht diesem Problem, so wichtig es ja auch ist. Aber zurück zu meinem Leben: Ich wurde damals Magister für die Studenten. Weil aber die Karmeliten vom Stammorden die neue Form des Karmel beseitigen wollten, nahmen sie mich gefangen, weil sie dachten: Wenn wir den Oberen haben, dann verlassen auch seine Studenten den Orden und der neue Karmel wird zerfallen. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion hat man mich deshalb vom 2. auf den 3. Dezember 1577 gefangen genommen und in das Karmelitenkloster von Toledo gebracht, wo man mich zwingen wollte, dem neuen Karmel abzuschwören, was ich natürlich nicht getan habe. Unter sehr schwierigen Bedingungen wurde ich deshalb im dortigen Kloster neun Monate lang gefangengehalten.
Immer wieder habe ich mich in dieser Zeit gefragt: „Wo bist du, mein Gott?“ Inmitten tiefster, innerer Finsternisse beschenkte mich mein Gott aber gerade in diesen langen Monaten mit tiefen Gotteserfahrungen, die ich später in Form von Gedichten niedergeschrieben und kommentiert habe … Dank eines mir freundlich gesinnten Gefängniswärters gelang mir im August 1578 die Flucht. Ich ging zu unseren Schwestern in Toledo, die mich zunächst gar nicht erkannten, weil ich so entstellt aussah und körperlich ganz ausgezehrt war … In den folgenden Jahren bekleidete ich in dem neuen Karmel verschiedenste Ämter und schrieb meine vier Hauptwerke: „Aufstieg auf den Berg Karmel“, „Die Dunkle Nacht“, „Der Geistliche Gesang“ und „Die lebendige Liebesflamme“, die alle, wie bereits angedeutet, Früchte meines Gefängnisaufenthaltes waren.
Wie erging es Dir im neuen Karmel?
Auch dort gab es Schwierigkeiten: Weil man dort den Akzent auf die Aszese gelegt hat, das heißt auf die eigenen Leistungen im geistlichen Leben und nicht, wie unsere heilige Mutter Teresa und ich auf die Liebe und Güte, wollte man mich auch in dem neuen Karmel nicht mehr haben. Beim Provinzkapitel 1591 in Madrid enthob man mich aller Ämter und wollte mich nach Mexiko abschieben. Da erkrankte ich und kam in das Karmelitenkloster der altkastilischen Stadt Ubeda, wo mich der Prior des Klosters zunächst nicht gut behandelt hat. Ich begegnete ihm aber immer mit Güte, woraufhin sich dieser nach und nach veränderte und er auch mir gegenüber gütig und milde wurde. Ich litt unter einem schmerzhaften Abszess, der sich schließlich über den ganzen Körper ausbreitete. In der Nacht vom 13. auf den 14. Dezember 1591 bin ich zu meinem über alles geliebten Gott heimgegangen, ich war 49 Jahre alt ... Im Jahr 1726 hat man mich heiliggesprochen, im Jahr 1926 wurde ich wegen meiner Lehre von der Dunklen Nacht zum Kirchenlehrer erhoben…
Was mich sehr an Deiner Biographie freut, ist, dass gerade Du, mit Deinem wirklich schweren Leben, unser Ordensvater geworden bist! Wenn man selbst mal Probleme in seinem Ordensleben hat, kann man auf Dein Leben schauen und sich sagen: Ja, unserem heiligen Ordensvater ist es auch nicht anders ergangen … Das ist doch eine Hilfe …
Ja, das hat Gott schon gut gemacht, dass er mir kein leichtes Leben zugedacht hat, denn nur wer in seinem Leben Schweres durchzustehen hat, kann auch andere, die Ähnliches erleben, trösten und ihnen beistehen Das bringt mich auf meine Lehre von der Dunklen Nacht. Letztlich läuft sie auf die vollkommene Liebe zu Gott und zu den Menschen hinaus…
Ja, aber ist das denn nicht bei allen Kirchenlehrern so?
Ja, du hast recht! Alle, die den Weg zu Gott lehren, lehren letztlich den Weg zur Liebe! Als Karmelit wurde mir aber irgendwann einmal klar, worauf unsere tiefe Ordensspiritualität bei dem Weg zu Gott den Akzent legt, nämlich auf die Reinheit des Herzens. Der Weg zu Gott geht über die immer größere Reinheit des menschlichen Herzens, denn: Je reiner das Herz des Menschen ist, desto mehr ist er in der Liebe und desto näher ist er auch seinem Gott! Wie aber wird unser Herz reiner? Indem wir durch die Dunkle Nacht hindurchgeführt werden, durch die Gott unser Herz von allem befreit, was uns auf dem Weg zu ihm im Wege steht! Es geht letztlich um die Befreiung unserer Seele von allem, was nicht Gott entspricht, und damit geht es wiederum um die Öffnung unserer Seele hin zur Liebe, die Gott ist!
Heißt das, dass die Dunkle Nacht im Grunde positiv verstanden werden darf?
Ja, so ist es! Gott will uns von unseren unsichtbaren Fesseln befreien und dazu benützt er sozusagen die Dunkle Nacht …
Was können wir dazu beitragen?
In meinem Buch „Aufstieg auf den Berg Karmel“ habe ich darauf hingewiesen, dass man immer wieder versuchen soll, das Schwerere und Unangenehmere dem Leichteren und Angenehmeren vorzuziehen, denn dadurch empfängt man in seinem Inneren von Gott große Wonne und großen Trost!...
Wie befreit Gott uns immer mehr von unseren Unvollkommenheiten?
Er muss uns dazu von seinen mütterlichen Armen hinunterlassen und uns auf den Boden des Lebens stellen, damit wir dadurch selbst gehen lernen können! Anders gesagt: Nach einer anfänglichen Verwöhnungsphase muss er uns entwöhnen!
"Es geht dann nicht mehr in erster Linie darum,
dass wir etwas für Gott tun, sondern darum,
dass Gott für uns etwas tut"
Und was heißt das: „Entwöhnt-werden“ im geistlichen Leben?
Das heißt, dass Gott uns am Beten und an religiösen Übungen immer weniger Geschmack finden lässt. Am Anfang hat man doch noch so gerne gebetet, am Anfang war das Beten doch noch so schön, aber im Lauf der Zeit ändert sich das: Das Gebet und alles religiöse Tun wird einem schwerer, ja, es wird bei manchen Menschen sogar zu einer anstrengenden Aszese …
Aber eben dadurch führt uns Gott dann zu einer tieferen Art des Betens!
Genau! Das heißt letztlich zu einem tieferen Bei-Gott-Sein! Es geht dann nicht mehr in erster Linie darum, dass wir etwas für Gott tun, sondern darum, dass Gott für uns etwas tut, dass wir immer mehr die von Gott Beschenkten werden und nicht mehr wie früher diejenigen, die Gott immerzu etwas geben wollten. In dieser Entwöhnungsphase reinigt uns Gott dann durch die „Dunkle Nacht“, das heißt: Er reinigt uns in unserem Verstand, in unserem Gedächtnis und in unserem Willen von allem, was Gott nicht entspricht.
Wie geschieht diese Reinigung konkret?
Das geschieht durch die drei theologalen Tugenden: Glaube, Hoffnung und Liebe! Gott nimmt unseren Glauben und reinigt dadurch unseren Verstand, er nimmt unsere christliche Hoffnung und reinigt dadurch unser Gedächtnis und er nimmt unsere Liebe und reinigt dadurch unseren Willen, so dass wir schließlich immer mehr nur noch das wollen, ja uns danach sehnen, was auch Gott will und ihm wichtig ist! Und das macht er mittels der oft sehr schwierigen Situationen unseres Lebens! Dadurch bearbeitet er uns wie eine unbehauene Statue und schlägt von uns Stück für Stück ab, sodass am Ende unseres Lebens eine schöne Statue aus uns wird, an der Gott sein Gefallen findet! Von unserer menschlichen Seite her ist es dazu „nur“ wichtig, dass wir uns von Gott auch abschlagen lassen, das heißt: dass wir uns seinen göttlichen Wegen fügen, dass wir ruhig bleiben und nicht immerzu wegrennen, indem wir den von Gott uns zugemuteten Kreuzen und Leiden ausweichen!
Das ist manchmal gar nicht so leicht!
Es wird dadurch immer leichter, dass du auf Jesus Christus schaust und ihn liebst! Je mehr du ihn liebst, desto leichter fällt es dir, dich von ihm führen und dich von ihm befreien zu lassen! Ja, die Liebe zu Jesus kann durch die Dunkle Nacht sogar so groß werden, dass du es als eine Gnade betrachtest, mit dem leidenden Jesus zusammen zu leiden! Aber dazu muss man in seiner Liebe schon sehr weit gekommen sein.
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