Spätestens seit der Ägyptologe und Religionswissenschaftler Jan Assmann seine These auf den Punkt brachte, steht das Vorurteil im Raum, polytheistische Systeme seien irgendwie tolerant, monotheistische Religionen dagegen intolerant und der Gewalt zugeneigt. Ein Blick auf die Gewaltausbrüche in und aus der islamischen Welt wie auf die scheinbare Duldsamkeit fernöstlicher Religionen scheint diese These zu bestätigen. Im Zisterzienserkloster Heiligenkreuz setzten sich nun Theologen und Philosophen kritisch mit Assmanns Diktum auseinander – und mit der tiefer liegenden Frage, ob da nicht in Gott selbst ein dunkler Kern, eine erschreckende Gewalt sein könnte. Assmann selbst hatte sein Kommen in den Wienerwald zugesagt, dann aber den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten und die Heiligenkreuzer Hochschule sitzengelassen.
Heute wirke wieder ein atavistisches Gottesbild, in dessen Namen getötet wird, meinte die früher in Dresden und nun in Heiligenkreuz lehrende Philosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz. Um dann tief in die Welt der Mythen zu blicken, in denen es um die Angst vor dem Göttlichen und die Bannung dieser Angst gehe. Die Polytheismen seien sehr wohl gewalttätig, ja es gebe eine dunkle Seite im Heiligen und Finsternis im Göttlichen der Polytheismen. „Je archaischer die Götter, desto weniger eindeutig gut“, meinte die Philosophin. Als Beispiel nannte sie Kali, die schwarze Göttin des Hinduismus, die ihren Gatten mordet und frisst, aber auch Shiva und die griechische Götterwelt voller Lug und Betrug. Religionsgeschichtlich sei Israel der Quantensprung gelungen, die Lösung des Gottesbildes von seiner Nachtseite: „Gottes Schöpfung ist nicht doppeldeutig, sondern gut.“ Gott selbst erweise sich manchmal als schweigend, fehlend – doch stets als gut. „Das Böse hat keinen Anteil am Guten.“
Das Judentum löste sich aus der Zwiespältigkeit des Göttlichen, so Gerl-Falkovitz. „Die Gewalt des Einen kennt keinen gleichrangigen Widersacher mehr.“ Christlich verlängert lautet die Erkenntnis: „Gott ist Licht und keine Finsternis ist in ihm“ (1 Joh 1,5). Gottes Gutsein sei aber „nicht zahnlos“, so die Philosophin, sondern wisse um die Verbindung von Liebe und Schmerz: Anders als bei Abrahams Opfer hänge auf Golgotha „kein Widder im Strauch – weder für den Vater noch für den Sohn“.
Pater Kosmas Thielmann legte mit Assmanns Theorie in Heiligenkreuz die Frage vor, ob denn Gewalt der Preis des Monotheismus sei. Assmann selbst habe im Lauf der von ihm ausgelösten Debatte eingeräumt, dass Gewalt nicht die logische Konsequenz des Monotheismus sei, die früher oder später mit Notwendigkeit eintreten muss, dass es aber eine ihm innewohnende Neigung zur Gewalt gebe.
So habe Assmann unterschieden zwischen einem „schwachen Monotheismus der Treue und des Bundes“ und einem „starken Monotheismus der Wahrheit“. Pater Kosmas kritisierte, dass die biblische „Option für die Opfer von Gewalt“ bei Assmann unterbelichtet bleibe. Gerade das Judentum habe den Opfern eine Stimme gegeben. Auch die von Assmann vorgeschlagene „religio duplex“ – Religiosität mit klarer Innen- und weicher Außenseite also – oder die vom Dalai Lama beworbene Vorfahrt der Ethik vor der Religion hält Pater Kosmas für nicht tragfähig.
Der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück entfaltete beide Kritikpunkte: „Im Zentrum der christlichen Religion steht ein Opfer, nicht ein Täter von Gewalt.“ Das Kreuz gebe den Blick auf den Menschen und auf Gott frei, so Tück, der die „friedensfördernden Motive der Liebe und Gewaltlosigkeit“ in Assmanns Konzept vermisst. Liebe könne nicht mit Mitteln des Zwangs oder der Indoktrination verbreitet werden, ohne inhaltlich beschädigt zu werden. Aber auch die „Domestizierung“ des religiösen Wahrheitsanspruchs im Sinn einer „religio duplex“ lehnt Tück ab: Die geforderte Einklammerung des Wahrheitsanspruchs stehe in Spannung zum sich offenbarenden Geheimnis.
„Der Unbegreifliche wollte sich begreifbar machen“, zitierte Tück den heiligen Augustinus. Eine „Relativierung der Ansprüche der Religionen zugunsten eines natürlichen All-Einen“, wie bei der Freimaurerei, kommt laut Tück für Christen nicht in Betracht, weil sie die freie Selbstmitteilung Gottes in Frage stellen würde. Die Konstruktion einer vermeintlich natürlichen Menschheitsreligion wäre die Negation der Offenbarung. Darauf aber ziele Assmann, wenn er postuliere, dass Religionen nur im Plural existieren (also konkurrierende Wahrheiten anpreisen), aber auf eine dahinter liegende, verborgene Wahrheit ausgerichtet sind.
Freilich beließ es der Dogmatiker der Wiener Universität nicht bei der Zurückweisung des religionspluralistischen Ansatzes. Er thematisierte auch die Frage, wie der religiöse Wahrheitsanspruch gelebt wird. Tück definierte seinen „lernbereiten, kenotischen Inclusivismus“ so: Das Christentum ist die wahre Religion, sie nimmt jedoch die Gläubigen in die Pflicht, die Wahrheit kenotisch zu verkünden. Der biblische Hinweis auf die Gottebenbildlichkeit aller Menschen habe die Menschenrechte hervorgebracht. Er liege der Unterscheidung zwischen den Religionen voraus. Im Unterschied allerdings zum Islam, der die Rechte von Männern und Frauen, von Gläubigen, Schriftbesitzern und Ungläubigen differenziert. Die Freiheit des Menschen sei, so Tück, die Bedingung für die freie Erwiderung der Liebe Gottes. Zwar sei die Versuchung zum Triumphalismus immer wieder in der christlichen Geschichte aufgeflackert, doch könne diese eingedämmt werden durch Entäußerung, Kenosis: „Der am Kreuz Erhöhte gehört in den Gottesbegriff hinein.“ Und Gott sei eben so zu verkünden, wie er sich selbst gegeben hat.
Der in Erlangen lehrende Islamwissenschaftler Jörn Thielmann stimmte Assmann insofern zu, als absolute Wahrheitsansprüche in Deutung und Durchsetzung ein Gewalt-Potenzial hätten. So könne man aus dem Evangelium keine Rechtfertigung der Gewalt ableiten, und doch habe es geschichtlich Gewalt unter Berufung auf den christlichen Glauben gegeben. Der Gottesgedanke im Islam sei – anders als im Christentum – stärker von der Allmacht und vom Gericht Gottes bestimmt. Weil der Koran als das ungeschaffene Gotteswort verstanden werde, sähen Muslime gar keine Notwendigkeit, Juden und Christen zu befragen, was sie denn glauben – „denn das steht ja im Koran“. Thielmanns Fazit: „Es gibt zutiefst theologische Differenzen.“ Es sei verkürzt, zu behaupten, Christen und Muslime glaubten ja an den einen, abrahamitischen Gott.
Die Idee einer Eindämmung der Gewalt durch die Religion beim französischen Literaturwissenschaftler und Religionsphilosophen René Girard legte in Heiligenkreuz der Klosterneuburger Chorherr Nicolaus Urs Buhlmann dar. Girard sei davon ausgegangen, dass Rivalität die Ursache jeder menschlichen Gewalt sei. Das Muster„alle gegen alle“ werde durch die Definition eines Sündenbocks abgelöst durch „alle gegen einen“. So schaffe der notwendige Opferkult die Einheit der Gruppe. Im Mythos habe das Opfer immer unrecht, in der Bibel jedoch sei es immer unschuldig. Das Neue des Christentums bestehe in seiner Gewalt einhegenden, Frieden stiftenden Kraft. Das Leiden am Kreuz sei der Preis, den Jesus dafür zu zahlen bereit ist.
Der Exeget Ludger Schwienhorst-Schönberger zeigte, dass das frühe Christentum die staatliche Gewalt anerkannte, aber selbst keine Gewalt ausübte. Er widersprach zugleich dem gängigen Narrativ, das in der Konstantinischen Wende einen Sündenfall sieht. Das Christentum sei mit der Verbindung von Thron und Altar keineswegs in die Irre gegangen, argumentierte der Professor für Alttestamentliche Bibelwissenschaft an der Universität Wien. Die Bindung der Gewalt an das Recht sei eine große zivilisatorische Errungenschaft, auf der auch die Gewaltenteilung gründe. Paulus legitimiere das staatliche Gewaltmonopol, insofern es an das Recht gebunden ist. Zur „Eindämmung der Gewalt durch die rechtmäßige Gewalt“ komme als zweiter Schritt „die Überwindung der Gewalt durch Gewaltlosigkeit“. Die Heilung des menschlichen Herzens könne gerade nicht durch Gewalt erfolgen. Bereits die prophetische Tradition habe jedoch verheißen, Gott selbst werde kommen, um seinem Volk ein neues Herz zu geben.
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