Zuweilen erweist sich die deutsche Sprache als perfektes Medium christlicher Theologie. Denn kaum eine andere Sprache verfügt über einen so schillernden Begriff wie „Opfer“.
Natürlich kennen auch andere Kulturen diesen Begriff, drücken ihn aber meist über zwei unterschiedliche Wörter aus. Sie unterscheiden zwischen der aktiven Handlung im Sinne von „ein Opfer darbringen“ (lateinisch: sacrificium) und der passiven Sichtweise im Sinne von „ein Opfer werden“ (lateinisch: victima). Im Deutschen aber fließen diese beiden Bedeutungsstränge in ein einziges Wort zusammen – und werden so zu einer perfekten Umschreibung für das Wirken Christi.
„Denn am Abend, an dem er ausgeliefert wurde…“. In diesem Satz aus der Messliturgie wird das Schicksal Jesu kurz und knapp beschrieben. Im frühen 20. Jahrhundert, der Zeit der neu aufblühenden Psychologie, versuchten einige Forscher gar, Jesus eine Art Paranoia zu unterstellen, da er ständig davon spreche, verfolgt zu werden. Doch handelt es sich dabei eben nicht um eine Wahnvorstellung, sondern um eine zutreffende Wahrnehmung. Er wurde tatsächlich zum Opfer einer Verschwörung des jüdischen Klerus, verraten durch seinen eigenen Jünger Judas. Würde man die entscheidende Szene in heutiger Jugendsprache inszenieren, würde der Verräter seinen Herrn vermutlich nicht durch einen Kuss entlarven, sondern ihn einfach mit „Du Opfer!“ anreden.
„Und sich aus freiem Willen dem Leiden unterwarf…“. So lautet der zweite Teil des oben begonnenen Satzes, der uns sogleich die zweite Bedeutung unseres Begriffes offenbart. Erst wird Christus zum Opfer, dann bringt er das Opfer. Dass er dies aus freiem Willen tut, ist zwar richtig, lässt aber einen wichtigen Aspekt aus. Denn Jesus folgt hier gerade nicht seinem eigenen Willen: „Vater, willst du, so nimm diesen Kelch von mir; doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“ (Lukas 22, 42) Es wäre kein wirkliches Opfer, wenn Jesus seinen eigenen Tod gleichsam herbeisehnen würde. Stattdessen zeigt er sich gehorsam gegenüber dem Willen des Vaters und legt sein Leben in dessen Hände.
Die Sündenlast ist zu groß
Die Eucharistie, in der wir das Opfer Christi feiern und vergegenwärtigen, wird zurecht als „Quelle und Höhepunkt des ganzen christlichen Lebens“ (Lumen Gentium) bezeichnet. Doch alles Reden über das Wesen der Eucharistie, über die Elemente von Brot und Wein, über die Wandlung und so weiter ist nutzlos, solange den Menschen das Bewusstsein dafür fehlt, dass sie dieses Opfer brauchen.
Es war Johannes der Täufer, der als erster das kommende Opfer Christi erkannte: „Seht, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt hinwegnimmt!“ (Johannes 1, 29) Aber diese Aussage wäre sinnlos, wenn er nicht zuvor auf die Sünde der Welt und die Notwendigkeit zur Buße hingewiesen hätte: „Tut Buße, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“ (Matthäus 3, 2) In einem Gebet an Johannes den Täufer wird er treffend als „Christi Verkünder, Mahner der Sünder“ angeredet, denn beides gehört unweigerlich zusammen.
Die Sündenlast der Menschheit ist zu groß, als dass wir sie aus eigener Kraft abtragen könnten. Deshalb brauchen wir das Opfer Christi. In einer Welt, die uns einreden will, dass wir alle „ganz in Ordnung“ sind, ist diese Botschaft natürlich schwer zu vermitteln. Wer hingegen sein eigenes Gewissen erforscht und somit seine eigene Sündhaftigkeit erkennt, der wird eine wunderbare Dankbarkeit für das Opfer Christi empfinden. Nicht umsonst bedeutet das Wort „Eucharistie“ zu Deutsch „Danksagung“.
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