Zum Tod Benedikts XVI.

Die Rückkehr des Lehrers

Rom nimmt Abschied von Benedikt XVI. – Ein unerwartet starker Andrang vor dem aufgebahrten Emeritus im Petersdom, den viele jetzt schon als Kirchenlehrer der modernen Zeit verehren.
Der aufgebahrte Leichnam Benedikts XVI.
Foto: IMAGO/Evandro Inetti (www.imago-images.de) | Ein zukünftiger Kirchenlehrer? Der aufgebahrte Leichnam Benedikts XVI.

Seitdem am Neujahrsmorgen eine strahlende Sonne die letzten Nebelschleier der Nacht vertrieben hatte und über Rom ein strahlend blauer Himmel aufgezogen war, liegt eine heitere Stimmung über der Stadt. Am Silvestermorgen war der emeritierte Papst verstorben. Die Nachricht vom Tod Benedikts XVI. verbreitete sich blitzschnell über den Globus, die Kanzleien der Präsidenten und Regierungschefs setzten die seit Tagen fertigen Beileidskundgebungen ab. Doch auf der Via della Conciliazione steuerten jetzt am Sonntagmorgen nicht nur Scharen von Menschen auf den Petersplatz zu, um mit Papst Franziskus, der im Petersdom gerade die Messe zum Hochfest Mariens, der Mutter Gottes, feierte, den Engel des Herrn zu beten. Auch Musikkapellen waren dorthin unterwegs und gaben schon Kostproben ihres Repertoires, das sie wie gewohnt zum Neujahrstag dann auf dem Platz zwischen den Kolonnaden erklingen lassen wollten.

Schon am Vorabend, in der Vesper zum Jahresabschluss mit dem Gesang des „Te Deum“, hatte Franziskus den Verstorbenen gewürdigt, als er über die „gentilezza“, die Freundlichkeit Gottes bei der Menschwerdung seines Sohns in Maria sprach: „Wenn ich von Freundlichkeit spreche, denke ich in diesem Augenblick spontan an den lieben emeritierten Papst Benedikt XVI., der uns an diesem Morgen verlassen hat. Mit innerer Rührung erinnern wir uns an seine so vornehme und so freundliche Art. Und wir verspüren im Herzen so viel Dankbarkeit: Dankbarkeit gegenüber Gott, weil er ihn der Kirche und der Welt geschenkt hat. Dankbarkeit gegenüber diesem selbst für all das Gute, das er vollbracht hat, und vor allem für sein Zeugnis des Glaubens und des Gebets, besonders in den letzten Jahren eines zurückgezogenen Lebens. Nur Gott weiß um den Wert und die Kraft seiner Fürsprache, seiner für das Wohl der Kirche dargebrachten Opfer.“

Dank für das Geschenk dieses treuen Dieners

Jetzt, in der Messe zum Marienfest, erwähnte Franziskus seinen Vorgänger auch in der Predigt: „Das Jahr, das im Zeichen der Mutter Gottes, die auch unsere Mutter ist, beginnt, sagt uns, dass der Schlüssel zur Hoffnung Maria ist, und die Antiphon der Hoffnung ist die Anrufung ,Heilige Mutter Gottes‘. Und heute vertrauen wir der heiligen Gottesmutter unseren geliebten emeritierten Papst Benedikt XVI. an, damit sie ihn auf seinem Weg von dieser Welt zu Gott begleite.“ Und die Ansprache zum Gebets des Engels des Herrn am Neujahrstag begann Franziskus wiederum mit der Bitte um die Fürsprache Mariens für den Verstorbenen. „Wir vereinen uns alle gemeinsam mit nur einem Herzen und nur einer Seele, um Gott für das Geschenk dieses treuen Dieners des Evangeliums und der Kirche zu danken.“

Doch das waren Worte. Mit Leben erfüllt wurden sie am frühen Montagmorgen, als dann der Zug der Tausenden von Gläubigen begann, die sich in die lange Schlange vor dem Petersdom einreihten, um dem vor dem Hauptaltar aufgebahrten Emeritus die letzte Ehre zu erweisen. Er lag dort, gewandet wie ein Papst, im roten Messgewand. Der italienische Staatspräsident Sergio Mattarella war der erste, der mit seiner Tochter vor dem Toten kniete. Dann kamen die Menschenmassen. Als zur Halbzeit der dreitägigen Aufbahrung, am Dienstagmittag, bereits 100 000 Besucher Abschied vom Emeritus genommen hatten, war bereits klar, dass wohl drei Mal so viele Menschen die Gelegenheit zu einem letzten Gruß nutzen würden, als die vatikanische Gendarmerie erwartet hatte.

Was ist geschehen in diesen Tagen? Die italienischen Medien spielten in Bild und Ton nicht nur die bereitliegenden „Konserven“ ab, sondern widmeten dem deutschen Papst Sondersendungen mit stets neu eintreffenden Studiogästen. Auf den Titelseiten aller Zeitungen erlebte der tote Emeritus eine Wiederauferstehung, nachdem es in den vergangenen Jahren sehr still um ihn geworden war. Bei den Devotionalienhändlern waren plötzlich wieder Fotos von Benedikt XVI. zu sehen. Praktisch alle orthodoxen, orientalischen und nicht-katholischen Kirchengemeinschaften hatten Grußbotschaften geschickt, viele von ihnen entsandten eine Delegation nach Rom. Und einer kam, von dem man es nicht erwartet hatte: Der vor wenigen Wochen verurteilte Hongkonger Kardinal Joseph Zen Ze-Kiun durfte zur Beisetzung des emeritierten Papstes nach Rom kommen, nachdem ein chinesisches Gericht dem Neunzigjährigen diese Reise erlaubt hatte.

„Er wird ein Vater der Kirche sein“

Als am Dienstag die katholischen Laien aus Deutschland eintrafen, die auf Einladung der Initiative „Neuer Anfang“ und der „Tagespost“ mit ihren Sorgen über die schismatischen Entwicklungen wegen des Synodalen Wegs zur Wallfahrt zu den Apostelgräbern aufgebrochen waren, trafen sie auf ein Zentrum der Weltkirche, dass in angespannter, doch fast festlicher Stimmung Abschied von einem ganz Großen nahm.

„Santo subito“ hieß es beim Tod von Johannes Paul II. Viele in der nicht abreißenden Kette von Menschen, die seit Montag zum Petersdom zogen, haben einen anderen Gedanken im Kopf: Ein großer Geist, ein wahrer Lehrer der Kirche ist mit Joseph Ratzinger von uns gegangen. „Er wird ein Vater der Kirche sein“, verheißt etwa Kardinal Christoph von Schönborn. „Papst Benedikt, Professor Ratzinger, war für mich ein wahrer Meister“, vertraute der Wiener Kardinal, der in jungen Jahren mit Kardinal Ratzinger am „Katechismus der Katholischen Kirche“ gearbeitet hatte, jetzt dem „Corriere della Sera“ an.

Aber da war Schönborn nicht der erste. Im Interview mit der Homepage „benedictusxvi.org“ der Tagespost-Stiftung hatte Kardinal Kurt Koch schon vorher erklärt, dass zwar die Erhebung eines Theologen zum Kirchenlehrer in letzter Instanz beim Papst liege. Aber „mit vielen Menschen wünsche und hoffe ich aber, dass dies geschehen wird. Denn Joseph Ratzinger ist nicht nur ein hervorragender Theologe als Wissenschaftler gewesen, sondern er hat auch stets im Dienst der Verkündigung des katholischen Glaubens gestanden“. Der Bitte um die Erhebung Benedikts zum Kirchenlehrer schloss sich noch am Dienstag Kardinal Angelo Bagnasco an, der ehemalige Erzbischof von Genua und Vorsitzende der Italienischen Bischofskonferenz. Schon vorher hatte sich Kardinal Gerhard Müller gegenüber dem „National Catholic Register“ ähnlich geäußert.

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Wie Lehrer des Glaubens Kirchenlehrer werden

Vatikannahe Onlinedienste wie „Il sismografo“ informieren bereits darüber, was die Voraussetzungen dafür sind, dass ein Verkünder des Glaubens zum Kirchenlehrer wird: Eine herausragende Lehre, ein heiligmäßiges Leben und die Erhebung zum Kirchenlehrer durch den Papst oder ein Allgemeines Konzil. So zumindest habe es Benedikt XIV., der von 1740 bis 1758 Papst war, festgelegt.

Kardinal Kurt Koch, Präfekt des Dikasteriums für die Ökumene, ist einer der besten Kenner der Theologie Ratzingers und hat deshalb auch das Patronat über die Ratzinger-Schülerkreise übernommen. In gewohnter gedanklicher Schärfe fasst er in dem bereits zitierten Interview mit der Seite „benedictusXVI.org“ der Tagespost-Stiftung nochmals die drei Hauptaspekte des theologischen Denkens des Verstorbenen zusammen, die es rechtfertigen würden, diesen zum Kirchenlehrer zu erheben. Seine „leidenschaftliche Liebe zur Theologie“ habe sich durch drei Eigenschaften auszeichnet. „Wie das Leitwort, das er sich bei seiner Bischofsweihe gewählt hat – Mitarbeiter der Wahrheit – zeigt, ist er zutiefst überzeugt gewesen, dass der Mensch nicht nur wahrheitsbedürftig, sondern auch wahrheitsfähig ist. Der Glaube ist deshalb darauf angewiesen, dass er vernünftig verstanden werden kann; und die Theologie ist berufen, die Sensibilität für die Wahrheit wach zu halten und, wo nötig, zu wecken. Die Theologie Joseph Ratzingers kreist um den Dialog zwischen Glaube und Vernunft, und zwar vor allem deshalb, weil Gott selbst Vernunft, Logos ist.“

Koch benannte auch die beiden anderen Fundamente, auf denen das Denken Ratzingers ruhte: „Gott ist zweitens aber nicht nur Logos, sondern auch schöpferische Liebe. Sie ist das Schlüsselwort des ganzen theologischen Denkens Ratzingers, wie er es bereits im Jahre 1958 konzis zum Ausdruck gebracht hat: ,Christlicher Glaube bezieht alles auf Gottesverehrung, aber nicht anders als auf dem Weg der Menschenliebe.‘ Diese Botschaft findet Joseph Ratzinger drittens vor allem in der Heiligen Schrift vor, die für ihn das Fundament seines theologischen Denkens bildet. Er hat die Heilige Schrift in ihrer unlösbaren Zusammengehörigkeit der beiden Testamente so sehr geliebt und mit seiner Theologie und Verkündigung die Menschen so tief in das Evangelium hineingeführt, dass man sein theologisches Werk in diesem elementaren Sinn als ganz evangelisch bezeichnen darf.“
Das Pontifikat von Benedikt XVI. dauerte mit knapp acht Jahren nicht übermäßig lang. Mehr Jahre lebte er als Emeritus. In Erinnerung aber wird der ganze Joseph Ratzinger bleiben, der schon vor dem Konzil zu einem theologischen Lehrer größten Formats geworden war.

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