Kirche

Die Einführung in das Christentum: Ein Klassiker wird 50

1968 erschien die „Einführung in das Christentum“. Von Michael Karger
Joseph Ratzinger während der vierten Session des Zweiten Vatikanischen Konzils im September 1965
Foto: KNA-Bild (KNA) | Joseph Ratzinger während der vierten Session des Zweiten Vatikanischen Konzils im September 1965 im Vatikan.

Im Verzeichnis der Lehrveranstaltungen der Universität Tübingen für das Sommersemester 1967 kündigte der Dogmatiker Joseph Ratzinger die Vorlesung „Das Apostolische Glaubensbekenntnis. Eine Einführung in Grundgehalte christlichen Glaubens“ an. Ausdrücklich richtete sich die Vorlesung an Hörer aller Fakultäten.

Bereits zehn Jahre zuvor hatte Ratzinger den Entschluss zu einem solchen Projekt gefasst. Ausgangspunkt war die Frage eines persischen Medizinstudenten, „worum es eigentlich beim christlichen Glauben gehe“. Damals war der junge Professor für Fundamentaltheologie und Dogmatik in Freising und gerade habilitierte Privatdozent der Universität München mit seinem Antwortversuch unzufrieden, weil ihm „mit erschreckender Deutlichkeit“ bewusst wurde, „wie wenig wir bei all unserer Gelehrsamkeit heute gerüstet sind, den Kern des Christlichen ohne historisches und spekulatives Wenn und Aber den Nichtglaubenden auf eine verständliche Weise zu dolmetschen“. Von diesem Tag an beschäftigte ihn der Gedanke, „eine zusammenfassende Rechenschaftsablage über das wesentlich Christliche zu versuchen“, die geeignet wäre, „den fragenden Menschen heute ins Christentum einzuführen“. Hinzu kam die Anregung des Verlegers Heinrich Wild vom Kösel Verlag, der Ratzinger während seiner Bonner Lehrtätigkeit (1959–1963) den Vorschlag machte, er solle für die heutige Zeit so etwas verfassen, wie es Karl Adam mit seinem Werk „Das Wesen des Katholizismus“ (1924) gelungen war. Verwirklicht wurde das Projekt schließlich in Tübingen im Jahr des glanzvoll begangenen 150-jährigen Bestehens der Katholisch-Theologischen Fakultät. Dort, wo die „Tübinger Schule“ zur Zeit der Romantik den Rationalismus überwunden und wieder nach der Identität des Katholischen, ausgehend vom Glaubensbekenntnis, gefragt hatte. Dort, wo die eucharistische Kirchenlehre der Väter wiederentdeckt und geschichtliches Denken mit spekulativer Theologie verbunden worden sind. Dort, wo Karl Adam der Christozentrik in der katholischen Theologie zum Durchbruch verholfen hatte. Noch im Wintersemester 1966/67, als Ratzinger die Christologie-Vorlesung in Tübingen hielt, stand die Theologie geistesgeschichtlich noch ganz im Zeichen der Bultmann-Schule, die ihrerseits von der Existenzphilosophie Martin Heideggers abhängig war. Schnell zeichnete sich dann die Vorherrschaft der politischen Theologie unter dem Einfluss des Neo-Marxismus als Theologie der Revolution, Theologie der Hoffnung und schließlich als Theologie der Befreiung ab.

Ratzinger hatte dem Werben von Hans Küng, nach Tübingen zu wechseln, auch deswegen nachgegeben, weil der von ihm empfohlene Fundamentaltheologe in Münster, Johann Baptist Metz, sich zum Theologen der Revolution entwickelte. Dies spiegelt sich auch in einer Anmerkung in der „Einführung“ über die „neuerdings in Mode kommende ,Theologie der Revolution‘“ mit Hinweis auf einen Buchtitel von Metz. Als „die Konstante meines Lebens“ hat Ratzinger 1996 den Impuls bezeichnet, dem er auch in den Konzilsjahren stets gefolgt sei, „unter den Verkrustungen den eigentlichen Glaubenskern freizulegen und diesem Kern wieder Kraft und Dynamik zu verleihen“. Ratzinger wurde durch die veränderte Stimmungslage in Deutschland nach dem Konzil „tief beunruhigt“: Es verbreitete sich die Vorstellung, „Reform bestände darin, dass wir Ballast abwerfen, dass wir es uns leichter machen, so dass eigentlich Reform nun nicht mehr in einer Radikalisierung des Glaubens, sondern in irgendeiner Art von Verdünnung des Glaubens zu bestehen schien“.

Diese nachkonziliare Stimmungslage veranschaulichte Ratzinger in der „Einführung“ mit dem Grimmschen Schwankmärchen „Hans im Glück“ und dessen Tauschgeschäften vom Goldklumpen bis zum Schleifstein. Seit dem Konzil verstanden sich die Theologen selbstbewusst als Spezialisten, die sich nicht mehr dem bischöflichen Lehramt unterstellen wollten. Bisher galt, das „Bekenntnis war Maßstab auch für die Wissenschaft“. Nach dem Konzil aber schien „auch das Bekenntnis nicht mehr unantastbar, sondern der Kontrolle der Gelehrten unterworfen“.

Ein ganz wesentlicher Grund dafür, dass Ratzinger 1967 ausgerechnet das Glaubensbekenntnis in einer Vorlesung auslegte, ist hier zu finden. Zum Glauben gehört die inhaltlich vorgegebene Wahrheit. In der Tauffeier, in der das Credo (=ich glaube) als dreifache Zustimmung zu Gott dem Vater, zu Jesus Christus, dem Sohn, und dem Heiligen Geist seinen Ursprung hat, gehört die gemeinsame Überzeugung, das Eintreten in die Überlieferungsgemeinschaft der Kirche. Was in der „Einführung“ grundgelegt wurde, hat Ratzinger später in seiner bis heute viel zu wenig beachteten „Theologischen Prinzipienlehre“ vertieft und entfaltet. Die Zustimmung zum Taufglauben ist das Eingefügtwerden in das Wir der Kirche: Die Kirche ist „unsere Gleichzeitigkeit mit Christus. Eine andere gibt es nicht“.

Grundsätzlich geht darum der Glaube der Theologie voraus. Die Theologie spricht im Namen der Autorität der Kirche. Die Theologie dient den Glaubensaussagen und setzt einen gläubigen Theologen voraus. Zugleich ist die „Einführung“ die Synthese von philosophischem Seinsdenken und dem biblischen Gottesgedanken. Im Mittelpunkt des Buches stehen die Gottesfrage und die Frage nach Christus. Im Glauben begegnet Jesus Christus als der Logos. Im christlichen Glauben kommt die Vernunft selbst zur Erscheinung. Von hierher gehört die Rationalität selbst zum Wesen des Christentums. Die Offenbarung ist kein System von Sätzen, sondern ein Ereignis: Christus ist der Offenbarer und die Schrift davon Zeugnis. In der Mitte des Glaubens steht kein Buch, sondern das lebendige Wort Gottes, die Person Jesus Christus. Durch den Heiligen Geist wird das Ereignis in der Geschichte der Kirche gegenwärtig gehalten. In der „Einführung“ ist das Glaubensbekenntnis als Glaubensregel der hermeneutische Schlüssel zur Schrift. Der Glaube der Kirche erschließt die Schrift. Credo und Dogma sind der Leitfaden zum Schriftverständnis. Das Symbolum ist die erste Auslegungsinstanz der Bibel. Strukturell vermittelt die „Einführung“, was von Ratzinger später systematisch tiefer entfaltet wurde: Das Eintreten in das Subjekt Kirche ist die sakramentale Bindung an das Credo der Gesamtkirche und an die im Credo gelesene Schrift als „Kanon im Kanon“. Als Buch erschien die „Einführung“ 1968 und wurde zum Bestseller. Mit seinem Buch „Christ sein“ hat Hans Küng, der Tübinger Kollege von Ratzinger, auf die „Einführung“ geantwortet. Küng lehnt das Dogma ab. An die Stelle des Glaubensbekenntnisses als Auslegungsinstanz ist hier der Gelehrte und seine wissenschaftliche Autorität getreten. Die „Einführung in das Christentum“, die für sehr viele auf ihrem Weg in die Glaubensgemeinschaft der Kirche von entscheidender Bedeutung war, hat bis heute eine unerhörte Frische bewahrt. Inhaltlich ist nicht nur die Prinzipienlehre hier schon im Kern angelegt, sondern ebenso die spätere Monographie zur Eschatologie, aber auch die narrative Christologie „Jesus von Nazareth“, hier sei nur als Beispiel die Theologie des Namens Gottes genannt. „Dem der glaubt, wird freilich immer mehr sichtbar werden, wie voller Vernunft das Bekenntnis zu jener Liebe ist, die den Tod überwunden hat.“

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