Kirche

Das Mysterium wieder zum Leuchten bringen

Das Liturgie-Verständnis des Papstes im Spiegel der Schriften und Ansprachen von Benedikt XVI./Joseph Ratzinger

Am Sonntag nach der Papstwahlen, dem 24. April 2005, feierte Benedikt XVI. anlässlich seiner Amtseinführung seine erste heilige Messe auf dem überfüllten Petersplatz. Was dabei vielen auffiel, war die außergewöhnliche Gesammeltheit, die Ruhe und sakrale Atmosphäre. Man spürte, dass Papst Benedikt einen eigenen Zelebrationsstil hat. Der Heilige Vater nimmt sich zurück, tritt nicht in den Vordergrund. Man sieht es: Papst Ratzinger besitz ein besonderes Gespür für Liturgie.

Liturgie: der rote Faden im Leben Joseph Ratzingers

Schon in jungen Jahren hatte Joseph Ratzinger die Schönheit der Liturgie entdeckt. In seiner Autobiographie erinnert er sich: „Es war ein fesselndes Abenteuer, langsam in die geheimnisvolle Welt der Liturgie einzudringen, die sich da am Altar vor uns und für uns abspielte. Immer klarer wurde mir, dass ich da einer Wirklichkeit begegnete, die nicht irgend jemand erdacht hatte, die weder eine Behörde noch ein großer Einzelner geschaffen hatte. Dieses geheimnisvolle Gewebe von Text und Handlungen war in Jahrhunderten aus dem Glauben der Kirche gewachsen. ... Nicht alles war logisch, es war manchmal verwinkelt und die Orientierung gewiss nicht immer leicht zu finden. Aber gerade dadurch war dieser Bau wunderbar und war er eine Heimat. Natürlich habe ich das als Kind nicht im einzelnen erfasst, aber mein Weg mit der Liturgie war doch ein kontinuierlicher Prozess eines Hineinwachsens in eine alle Individualitäten und Generationen übersteigende große Realität, die zu immer neuem Staunen und Entdecken Anlass wurde. Die unerschöpflichen Realitäten der katholischen Liturgie hat mich durch alle Lebensphasen begleitet, so wird auch immer wieder die Rede davon sein müssen“ (Aus meinem Leben, 23).

Die Liturgie war Joseph Ratzinger zeit seines Lebens immer ein Anliegen. So schreibt er im Vorwort zu seinem Buch „Der Geist der Liturgie“, dass eines seiner Bücher, die er als junger Theologiestudent gelesen habe, Romano Guardinis (1885–1968) „Vom Geist der Liturgie“ gewesen sei (Der Geist der Liturgie, 7). Das 1918 herausgegebene Büchlein stand am Anfang der Liturgischen Bewegung in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Es hat auf die Grundsätze der liturgischen Erneuerung des Zweiten Vatikanischen Konzils indirekt Einfluss ausgeübt. Ratzinger unterstreicht in seiner Autobiographie, dass er anfänglich der Liturgischen Bewegung reserviert gegenüberstand wegen ihres von einigen ihrer Anhänger vertretenen einseitigen Rationalismus und Historismus. Erst einige Jahre später überzeugten auch ihn, nicht zuletzt aufgrund der Vorlesungen des Pastoraltheologen Pascher, die Anliegen der Liturgischen Bewegung.

Ratzinger erinnert sich: „So wie ich das Neue Testament als die Seele aller Theologie verstehen lernte, so begriff ich Liturgie als ihren Lebensgrund, ohne den sie verdorren muss. Deswegen habe ich zu Beginn des Konzils den Entwurf der Liturgie-Konstitution, der alle wesentlichen Erkenntnisse der Liturgischen Bewegung aufnahm, als einen großartigen Ausgangspunkt für die Kirchenversammlung angesehen. ... Kirche war für uns vor allem lebendig in der Liturgie und im großen Reichtum der theologischen Überlieferung“ (Aus meinem Leben, 64).

Die Reform des Zweiten Vatikanischen Konzils

Das Buch Guardinis übte – vor allem in Deutschland – einen nachhaltigen Impuls aus. Die Liturgie am Beginn des letzten Jahrhunderts bedurfte der Erneuerung. Ratzinger beschreibt das Erscheinungsbild der Liturgie in dem genannten Vorwort zu seinem Buch „Der Geist der Liturgie“ ganz anschaulich:

„Man könnte sagen, dass die Liturgie damals – 1918 – in mancher Hinsicht einem Fresko glich, das zwar unversehrt bewahrt, aber von einer späteren Übertünchung fast verdeckt war: Im Messbuch, nach dem der Priester sie feierte, war ihre von den Ursprüngen her gewachsene Gestalt ganz gegenwärtig, aber für die Gläubigen war sie weithin unter privaten Gebetsanleitungen und -formen verborgen. Durch die Liturgische Bewegung und schließlich durch das Zweite Vatikanische Konzil wurde das Fresko freigelegt, und einen Augenblick waren wir fasziniert von der Schönheit seiner Farben und Figuren“ (Der Geist der Liturgie, 7 f).

Doch diese neu entdeckte Schönheit der Liturgie wurde in den späteren sechziger und folgenden siebziger Jahren nach dem Konzil jäh wieder entstellt. Ratzinger klagt über den Zustand jenes Freskos: „Aber inzwischen ist es durch klimatische Bedingungen wie auch durch mancherlei Restaurationen oder Rekonstruktionen gefährdet und droht zerstört zu werden, wenn nicht schnell das Nötige getan wird, um diesen schädlichen Einflüssen Einhalt zu gebieten. Natürlich darf es nicht wieder übertüncht werden, aber eine neue Ehrfurcht im Umgang damit, ein neues Verstehen seiner Aussage und seiner Wirklichkeit ist geboten, damit nicht die Wiederentdeckung zur ersten Stufe des definitiven Verlustes wird“ (ebenda, 8).

Eine der auffälligsten Veränderungen im Zuge der nachkonziliaren Ausführung der Liturgiekonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils ist der praktisch vollkommene Wegfall des Lateins, an dessen Stelle die Landessprache in der Messe getreten ist, sowie die Zelebration des Priesters zum Volk hin (versus populum). Joseph Ratzinger hat verschiedentlich darauf hingewiesen, dass diese Veränderungen keine Grundlage haben in den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils. Das Konzil spricht weder von einer Messe, in der der Priester „mit dem Rücken zum Volk“ oder mit dem Gesicht zum Volk zelebrieren soll, noch von einer Abschaffung des Lateins in der Liturgie. Im Gegenteil, ausdrücklich betont die Liturgiekonstitution, dass die jahrhundertealte Kirchensprache in der Liturgie erhalten bleiben soll, wenn auch der jeweiligen Landessprache, besonders bei den Lesungen, bestimmten Gebeten und Gesängen, größerer Raum zukommen soll (Sacrosanctum Concilium, Nr. 36, 2). Außerdem sind die Priester dem Willen der Konzilsväter gemäß weiterhin daran gehalten, das Brevier in lateinischer Sprache zu beten (Sacrosanctum Concilium, Nr. 101 §1).

Die Krise der Liturgie und darum auch der Kirche, die nunmehr seit den sechziger Jahren andauert, ist nach Ratzinger auf die Kluft zwischen vorkonziliar und nachkonziliar zurückzuführen, das heißt auf die Meinung, als ob es zwei Liturgien und zwei Kirchen gäbe, nämlich eine vor- und eine nachkonziliare (Aus meinem Leben, 189). Es wirkte sich für die Kirche verheerend aus, dass in der Zeit nach dem Konzil eine radikale Mentalitätsveränderung bezüglich des Wesens der Liturgie eingetreten ist – und damit auch in Bezug auf das Wesen der Kirche. Für Ratzinger sind nämlich Liturgie und Kirche zwei Seiten der einen Medaille. Die Kirche werde immer wieder aus der Eucharistie geboren. Die Eucharistie sei die zentrale Feier der Kirche. In der Zeit nach dem Konzil habe man den Blick auf das Mysterium der Liturgie verloren. An dessen Stelle sei der Hang zur Kreativität getreten, die Idee. „Wir machen Liturgie“. Das Bewusstsein schwand, dass Liturgie nicht gemacht wird, sondern in der lebendigen Tradition der Kirche wächst und ihr darum geschenkt wird (vgl. Vortrag am 24. Oktober 1998 anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Kommission Ecclesia Dei).

Ratzinger unterscheidet stets zwischen der vom Zweiten Vatikanischen Konzil intendierten Erneuerung der Liturgie, wie sie in der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium angeregt worden ist, und der tatsächlichen Umsetzung der Konstitution in den kirchlichen Dokumenten und der liturgischen Praxis in den Jahren nach dem Konzil. Zwar referiert er in dem postsynodalen Schreiben Sacamentum Caritatis vom 22. Februar 2007 das Lob der Bischöfe auf der Bischofssynode über die Eucharistie 2005 in Bezug auf den Wert der Liturgiereform. Doch darf hier nicht übersehen werden, dass der Papst in dem Schreiben nur wiedergibt, was die Bischöfe hierzu gesagt haben. Er selber weist darüber hinaus in dem Dokument auch auf die Schwierigkeiten (difficultates) und die Missbräuche (abusus) in der Liturgie nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil hin, ohne den Wert, den Sinn und das Anliegen der Reform als solcher in Zweifel zu ziehen (Sacramentum Caritatis, Nr. 3).

Die Rückkehr des alten Ritus

Trotz der Schwachpunkte in der nachkonziliaren Liturgiepraxis seien die Schätze der Liturgiereform des Konzils noch nicht ausgeschöpft. Papst Benedikt XVI. will das Konzil und dessen Aussagen über die Liturgie in der Einheit mit der Tradition sehen.

Darum bemerkt er auch in Sacramentum Caritatis (Nr. 3) zu Recht, dass das Konzil keinen Bruch mit der Vergangenheit gewollt habe. Die Konzilstexte müssten demnach im Licht der „Hermeneutik der Kontinuität“ (vgl. Rede an die Kardinäle und Bischöfe der Römischen Kurie vom 22. Dezember 2005) gelesen, interpretiert und angewandt werden. Der Bruch ist erst entstanden in der nachkonziliaren praktischen Umsetzung der Konzilstexte. Wenn die Liturgiereform im Wesen richtig ist, so mahnt Ratzinger doch Verbesserungen an, und zwar im Sinne des Konzils, und das heißt in Treue zur Tradition.

Der Eindruck eines Bruches in der Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde noch dadurch gestärkt, dass Papst Paul VI. den Gebrauch des alten Missale Pius' V. von 1570, das Missale nach dem so genannten Tridentinischen Messritus, verboten hat. Eine Folge dieses Verbotes war, dass die Rezeption des neuen Missale nicht im erwarteten Umfang erfolgt ist. Wörtlich schreibt Ratzinger in seiner Autobiographie:

„Eine Institution, die so mit ihrer Geschichte und den ihr zugehörigen Menschen umgeht, braucht sich über negative Auswirkungen nicht zu wundern. Im Übrigen hat gerade dieses Insistieren auf einem angeblichen Gegensatz mehr als alles andere der Rezeption des erneuerten Missale geschadet. Darum kann ich nur immer wieder mit Nachdruck sagen, dass diese ,Exkommunikation‘ des alten Missale aufhören muss, auch gerade um der rechten Aneignung des neuen willen“ (Aus meinem Leben, 189 f).

Das praktische Verbot des alten Ritus steht außerdem im Widerspruch zu den Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils, nach denen gerade eine Vielfalt von legitimen Riten, die im Laufe der Jahrhunderte in der Kirche entstanden und gewachsen sind, erhalten werden soll. Die betreffende Textstelle in der Liturgiekonstitution lautet:

„Treu der Überlieferung erklärt das Heilige Konzil ..., dass die heilige Mutter Kirche allen rechtlich anerkannten Riten gleiches Recht und gleiche Ehre zuerkennt. Es ist ihr Wille, dass diese Riten in Zukunft erhalten und in jeder Weise gefördert werden, und es ist ihr Wunsch, dass sie, soweit es Not tut, in ihrem ganzen Umfang gemäß dem Geist gesunder Überlieferung überprüft und im Hinblick auf die Verhältnisse und Notwendigkeiten der Gegenwart mit neuer Kraft ausgestattet werden“ (Sacrosanctum Consilium, Nr. 4).

Ratzinger sieht in dem Verbot des alten Messbuches einen Bruch mit der Geschichte der Liturgie (Aus meinem Leben, 173). In Bezug auf das Erscheinen des Missale Pauls VI. bemerkt er:

„Dass nach einer Zeit des Experimentierens, das die Liturgie oft tief entstellt hatte, wieder ein verbindlicher liturgischer Text vorlag, war zu begrüßen. Aber ich war bestürzt über das Verbot des alten Missale, denn etwas Derartiges hatte es in der ganzen Liturgiegeschichte nie gegeben“ (ebenda, 172).

Das Konzil wollte zu Recht den alten Ritus revidieren, von „Übertünchungen“ befreien und so den ursprünglichen Glanz und die strahlende Schönheit der Liturgie wieder zum Leuchten bringen. Doch nach dem Konzil hat man im Zuge der praktischen Umsetzung der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium das alte Gebäude nicht erneuert, sondern niedergerissen und an dessen Stelle einen Neubau hingesetzt (ebenda, 173). Ratzinger wünscht im Sinne der Vorgaben der Väter des Zweiten Vatikanischen Konzils eine Rückkehr des alten tridentinischen Messritus. Zudem betrachtet er diesen Ritus als Ausgangspunkt für eine Reform der nach dem Konzil erfolgten Reform der Liturgie gemäß dem heutigen Missale Pauls VI. („Reform der Reform“). Der reformierte Ritus soll gleichsam organisch aus dem alten Tridentinischen Ritus heraus wachsen.

In Bezug auf das neue Missale Pauls VI. hebt Ratzinger hervor: „Um nicht missverstanden zu werden, möchte ich sagen, dass ich inhaltlich (von einzelnen Kritiken abgesehen) sehr dankbar bin für das neue Missale, für die Ausweitung des Schatzes der Orationen, der Präfationen, für die neuen Kanongebete, für die Vermehrung der Messformulare an Werktagen und so weiter, ganz zu schweigen von der Möglichkeit der Muttersprache. Aber ich halte es für ein Unglück, dass man dabei die Vorstellung eines neuen Buches erweckt hat, anstatt das Ganze in der Einheit der Liturgiegeschichte zu präsentieren. Ich glaube daher, dass eine neue Auflage deutlich wird zeigen und sagen müssen, dass das so genannte Missale Pauls VI. nichts anderes als eine erneuerte Fassung desselben Missale ist, an dem schon Pius X., Urban VIII., Pius V. und deren Vorgänger bis zurück in die Zeit der werdenden Kirche gewirkt haben. Das Bewusstsein der ungebrochenen inneren Einheit der Geschichte des Glaubens, die sich in der stets gegenwärtigen Einheit des aus dieser Geschichte kommenden Betens darstellt, ist für die Kirche wesentlich. ... Es geht darum, ob der Glaube durch Verordnung und gelehrte Forschungen entsteht oder in der lebendigen Geschichte der durch die Jahrhunderte identischen Kirche auf uns zukommt“ (Das Fest des Glaubens, 78).

Liturgie wächst innerhalb einer lebendigen Tradition

Das Missale Pauls VI. hat zweifellos Verbesserungen gebracht. Dennoch stellt es für Ratzinger im Grunde etwas Neues dar: „Eine Revision des Missale, wie es sie oft gegeben hat und die diesmal einschneidender sein durfte als bisher, vor allem wegen der Einführung der Muttersprache, war sinnvoll und mit Recht vom Konzil angeordnet. Aber nun geschah mehr: Man brach das alte Gebäude ab und baute ein anderes, freilich weitgehend aus dem Material des Bisherigen und auch unter Verwendung der alten Baupläne. Es gibt gar keine Zweifel, dass dieses neue Missale in vielem eine wirkliche Verbesserung und Bereicherung brachte, aber dass man es als Neubau gegen die gewachsene Geschichte stellte, diese verbot und damit Liturgie nicht mehr als lebendiges Wachsen, sondern als Produkt von gelehrter Arbeit und von juristischer Kompetenz erscheinen ließ, das hat uns außerordentlich geschadet. Denn nun musste der Eindruck entstehen, Liturgie werde ,gemacht‘, sie sei nichts Vorgegebenes, sondern etwas in unseren Entscheiden Liegendes“ (Aus meinem Leben, 173 f).

Liturgie ist nach Ratzinger nicht etwas, das man selber macht und in einem neuen Missale verpflichtet wird, sondern etwas, das im Laufe der Geschichte wächst. Wie die Kirche ein lebendiger Organismus ist, der im Laufe der Geschichte unter dem Beistand des Heiligen Geistes zur Reife gelangt, so auch die wichtigste Ausdrucksform der Kirche, ihre Liturgie. Liturgie entsteht nicht am Schreibtisch, sondern ist jeweils das Ergebnis eines Wachstumsprozesses (ebenda, 173).

Die Tatsache des Verbots des alten Missale und die Weise der Entstehung eines neuen ist für Ratzinger mitverantwortlich dafür, dass in der Zeit nach dem Konzil Liturgie nicht mehr verstanden wurde als etwas, das vorgegeben ist, das man empfängt und das man darum nicht einfach verändern kann, sondern als etwas, das man macht. Das führte dazu, dass in den Gemeinden bestimmt wurde, wie Liturgie zu feiern ist. Priester und Liturgiegruppen experimentierten an und in der Liturgie. Wo Liturgie jedoch zu einem eigenen Produkt entartet und jede Gemeinde ihre eigene Liturgie feiert, „da eben schenkt sie uns nicht mehr, was ihre eigentliche Gabe sein sollte: die Begegnung mit dem Mysterium, das nicht unser Produkt, sondern unser Ursprung und die Quelle unseres Lebens ist“ (ebenda, 174).

Die Liturgiemisere nach dem Konzil ist für Ratzinger dann auch Mitursache für die gegenwärtige Kirchenkrise: „Ich bin überzeugt, dass die Kirchenkrise, die wir heute erleben, weitgehend auf dem Zerfall der Liturgie beruht, die mitunter sogar so konzipiert wird, ,etsi Deus non daretur‘: dass es in ihr gar nicht mehr darauf ankommt, ob es Gott gibt und ob er uns anredet und erhört“ (ebenda, 174).

Wo Liturgie nicht mehr das Mysterium zum Ausdruck bringt, wo Liturgie nicht mehr in Einheit mit der Weltkirche gefeiert wird, da feiere eine Gemeinde oder Glaubensgemeinschaft nicht Liturgie, sondern sich selbst und schließt das Mysterium und die Kirche aus. Ratzinger hofft darum auf eine neue liturgische Bewegung, die die Absichten des Konzils berücksichtigt und sein Erbe in die Praxis umsetzt (ebenda, 174).

Der Tridentische Ritus als Inspirationsquelle

Ratzinger zufolge muss – wie gesagt – eine Revision der nachkonziliaren Liturgie im Spiegel der Tradition erfolgen. Darum ist Ausgangspunkt für eine „Reform der Reform“ der alte Tridentinische Ritus. Was besagt das konkret?

Die auffälligste Erneuerung in der Liturgie nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil war nach Ratzinger die Feier der Messe, bei der der Priester zum Volk hin gewendet zelebriert (versus populum). Priester und Volk sollten sich ins Gesicht sehen können. Dies würde dem Sinn der Liturgie entsprechen und die aktive Teilnahme der Gläubigen fördern. Nach dem Konzil wurden darum neue Altäre in den Kirchen eingerichtet, oft ohne Rücksicht auf die Architektur des Kirchenraumes, obgleich das Konzil hierüber nichts gesagt hatte. Diese Zelebrationsweise sowie die Einführung der Landessprache wurde als das eigentliche Neue der Liturgie von den Leuten wahrgenommen (Der Geist der Liturgie, 68).

Diese Weise der Messfeier habe zudem zu einer einseitigen Betonung des Mahlcharakters der Messe geführt. Dazu schreibt Ratzinger: „Dieser Analyse der ,Mahlgestalt‘ ist nun freilich hinzuzufügen, dass die Eucharistie der Christen mit dem Begriff ,Mahl‘ überhaupt nicht zugänglich beschrieben werden kann. Denn der Herr hat das Neue des christlichen Kultes zwar im Rahmen eines jüdischen (Pascha-)Mahles gestiftet, aber nur dies Neue und nicht das Mahl als solches zur Wiederholung aufgetragen“ (ebenda, 68). Die Messe hat zwar die äußere Form eines Mahles, doch wollte Christus nicht das Mahl wiederholen, sondern das Opfer seiner Selbsthingabe am Kreuz.

Doch durch die Zelebration „zum Volk hin“ wurde nicht nur der Mahlcharakter zu Unrecht unterstrichen, sondern auch eine auf den Priester und sein Handeln hin zentrierte Liturgie gefördert. In der nachkonziliaren Liturgie rückt der Priester in das eigentliche Zentrum der Feier. Alles hängt darum von ihm ab, und je kreativer der Priester ist, desto besser erfährt man die Liturgie. Da nun der Priester nicht immer auf gute Ideen für eine Messgestaltung kommen kann, sind Liturgiegruppen entstanden, die ihrerseits zur kreativen Gestaltung der Liturgie beitrugen. So war aber Gott nicht mehr wichtig, sondern das, was Menschen machen, einbringen und schaffen. Das Ergebnis solcher Priesterzentrierung ist nach Ratzinger eine neue Form der Klerikalisierung der Liturgie: „In Wahrheit ist damit eine Klerikalisierung eingetreten, wie sie vorher nie existiert hatte. Nun wird der Priester – der Vorsteher, wie man ihn jetzt lieber nennt – zum eigentlichen Bezugspunkt des Ganzen. Alles kommt auf ihn an. ... Die Wendung des Priesters zum Volk formt nun die Gemeinde zu einem in sich geschlossenen Kreis. Sie ist – von der Gestalt her – nicht mehr nach vorne und oben aufgebrochen, sondern schließt sich in sich selber“ (ebenda, 70).

Anders verhalte es sich bei der Feier versus Deum, zu Gott hin gewendet. Es ist die alte Form der Zelebration zum Osten, dorthin also, von wo man den Herrn bei seiner Wiederkunft erwartete. Im Osten geht die Sonne auf, das Symbol des auferstandenen Christus. Es ist die Zelebration, bei der die Gläubigen conversi ad Dominum sind, zum Herrn hin gekehrt. Darum ist nach Ratzinger die Rede von einer Zelebration „mit dem Rücken zum Volk“ falsch. Sie suggeriert nämlich, dass der Priester getrennt von den Gläubigen in der Kirche die Liturgie feiere. „Es handelte sich – wie es einer der Väter der Litugiekonstitution des II. Vaticanums, J.A. Jungmann, ausdrückte – vielmehr um Gleichrichtung von Priester und Volk, die sich gemeinsam in der Prozession zum Herrn hin wussten. Sie schließen sich nicht zum Kreis, schauen sich nicht gegenseitig an, sondern sind als wanderndes Gottesvolk im Aufbruch zum Oriens, zum kommenden Christus, der uns entgegengeht“ (ebenda, 70).

Priester und Volk sind demnach bei dieser Zelebrationsweise nicht voneinander getrennt, sondern stehen gemeinsam in einer Gebetsrichtung, nämlich zum Osten gewendet, also auf Christus hin. Die Einführung der so genannten Volksaltäre ist nicht auf das Konzil zurückzuführen, sondern ergab sich aus nachkonziliaren Dokumenten, namentlich aus der Allgemeinen Einführung in das Missale von 1969, Nr. 262.

Für Ratzinger ist die Hinwendung von Priester und Gläubigen zum Osten, auf Christus, die aufgehende Sonne, ein wesentliches Element der Messfeier. Dabei handelt es sich um eine bereits auf apostolische Zeit zurückzuführende Zelebration: „Vor allem aber ist über alle Variationen hinaus bis tief ins 2. Jahrtausend hinein für die ganze Christenheit eines klar geblieben: Die Gebetsrichtung nach Osten ist Tradition vom Anfang her und grundlegender Ausdruck der christlichen Synthese von Kosmos und Geschichte, von Verankerung im Einmaligen der Heilsgeschichte und von Zugehen auf den kommenden Herrn“ (Der Geist der Liturgie, 65 f).

Wir feiern die Messe mit dem Kosmos, mit der Welt. Es ist die Richtung, auf die hin unsere Geschichte hinzielt. Positiv an der Liturgiereform wertet Ratzinger den Ort der Wortverkündigung. Dieser muss sich deutlich abheben vom Ort des eigentlich eucharistischen Gottesdienstes. Bei der Verkündigung handelt es sich tatsächlich um ein Ansprechen und Antworten, also um einen Dialog. Beim Wortgottesdienst sei es daher richtig und sinnvoll, wenn der Priester zum Volk hin gekehrt spricht. Wenn jedoch die Opferliturgie beginnt, müsse der Priester sich in Einheit mit den Gläubigen zum Osten hin wenden (ebenda, 71). Ratzinger erläutert: „Wesentlich bleibt dagegen die gemeinsame Wendung nach Osten beim Hochgebet. Hier geht es nicht um Zufälliges, sondern um Wesentliches. Nicht der Blick auf den Priester ist wichtig, sondern der gemeinsame Blick auf den Herrn. Nicht um Dialog geht es nun, sondern um gemeinsame Anbetung, um den Aufbruch zum Kommenden hin“ (ebenda, 71).

Nicht säkularisiert, sondern sakralisiert

Aber wie soll in Kirchen die Zelebration zum Osten, versus Deum, erfolgen, in denen dies die Stellung des Volksaltares unmöglich macht? Ratzinger bietet hierfür eine ebenso konsequente wie einfache Lösung. Er sagt, dass die Zelebration zum Osten mit dem Zeichen des Menschensohnes in Verbindung gebracht würde. Dieses Zeichen ist das Kreuz, das den wiederkommenden Christus ankündigt. Er schlägt darum vor, dass da, wo aus architektonischen oder praktischen Gründen eine Zelebration zum Osten nicht möglich ist, ein überall sichtbares Kreuz auf den Altar gestellt werden soll. Dieses Altarkreuz ist dann gleichsam der „innere Osten des Glaubens“ (ebenda, 73). „Es soll in der Mitte des Altares stehen und der gemeinsame Blickpunkt für den Priester und für die betende Gemeinde sein. So schauen wir auf den, dessen Tod den Tempelvorhang aufgerissen hat – auf den, der für uns vor dem Vater steht und uns in seine Arme schließt, uns zum lebendigen neuen Tempel macht“ (ebenda, 73).

Das Altarkreuz verhindert es, dass Priester und Gläubige sich anschauen, denn es ermöglicht ein gemeinsames Hinschauen auf den Herrn, der ihnen entgegenkommt und zu dem hin sie unterwegs sind: Christus.

Ratzinger fragt sich, ob es nicht dort, wo man das Kreuz in den letzten Jahren entfernt oder durch ein unsichtbares ersetzt hat, doch nicht wieder um den Priester geht, ob das Kreuz vielleicht als störend empfunden wurde. Ist der Priester wichtiger als Christus? Doch weil Christus das Zentrum sei, auf das alle gerichtet sein müssten, weil er die aufgehende Sonne der Geschichte ist, müsse auf dem Alter ein sichtbares Kreuz stehen, auf das alle, Priester und Gläubige, hinschauen (ebenda, 73).

Bei alledem wird deutlich, worum es Ratzinger letztendlich geht: um die Rückgewinnung der Sakralität in den liturgischen Feiern. In der heutigen Zeit leben die Menschen ohne Hoffnung. Die Antwort darauf kann nicht eine säkularisierte Liturgie sein, sondern die Begegnung mit dem Herrn mittels eines Kultes, der die Gegenwart des Ewigen durchscheinen lässt (Dag Tessoro, Introduzione a Ratzinger, 83 f).

In diesem Zusammenhang spricht sich Ratzinger für die alte Praxis der Anbetung aus. Die dafür angebrachte Körperhaltung ist das Knien. „Es mag wohl sein, dass moderner Kultur das Knien fremd ist – insofern sie nämlich eine Kultur ist, die sich vom Glauben entfernt hat und den nicht mehr kennt, vor dem zu knien die rechte, ja, von innen her nötige Gebärde ist. Wer glauben lernt, lernt auch knien, und ein Glaube oder eine Liturgie, die das Knien nicht mehr kennte, wäre an zentraler Stelle krank. Wo es verloren gegangen ist, müssen wir das Knien wieder erlernen, damit wir betend in der Gemeinschaft der Apostel und Martyrer, in der Gemeinschaft des ganzen Kosmos, in der Einheit mit Jesus Christus verbleiben“ (Der Geist der Liturgie, 166 f).

Wenn man Papst Benedikt XVI. die Messe im Petersdom oder auf dem Petersplatz zelebrieren sieht, dann fällt eines unmittelbar auf: Er tritt nicht in den Vordergrund. Joseph Ratzinger ist kein Showman. „Die Liturgie ist keine Show, kein Schauspiel, für das geniale Regisseure und talentierte Schauspieler nötig sind. Die Liturgie lebt nicht von ,angenehmen‘ Überraschungen, von gewinnenden ,Einfällen‘, sondern von der feierlichen Wiederholung. Sie kann nicht Ausdruck des Aktuellen und seiner Vergänglichkeit sein, sondern sie ist Ausdruck des Mysteriums des Heiligen“ (Zur Lage des Glaubens, 130).

Das bedeutet eine enorme Entlastung für den Priester. Dieser braucht sich nicht immer wieder aufs Neue zu fragen: „Wie kann ich die Leute heute überraschen und erfreuen mit meinen liturgischen Kreativitäten?“ Diese Kreativität ist zerstörend, denn sie ist dem Wesen der Liturgie fremd. „Auf diese Weise ist das Proprium der Liturgie verlorengegangen, das sich nicht aus dem herleitet, was wir machen, sondern aus der Tatsache, dass hier etwas geschieht, was wir alle zusammen nicht machen können“ (ebenda, 131.).

Liturgie lebt also nicht von der steten Erfindung, sondern von dem Kommen Gottes, der sich selber finden lässt und uns so befreit. Wenn wir uns dessen wieder bewusst werden, befreien wir die Liturgie vom Banalen und Alltäglichen.

Latein in der Liturgie

Der sakrale Charakter der Liturgie wird in erheblichem Maße bestimmt durch die Sprache. Wie denkt Joseph Ratzinger über den Gebrauch des Lateins in der Liturgie? Es wurde schon darauf hingewiesen, dass das Konzil keineswegs das Latein abschaffen wollte, im Gegenteil. Das tatsächliche Verschwinden des Lateins in der Zeit nach dem Konzil widerspricht den Vorgaben der Konzilsväter (ebenda, 126). Es hat zu der Annahme geführt, dass die Messe ein Dialog mit den Menschen sei. Konsequenterweise ging man davon aus, dass alles in der Messe verstanden werden müsse. Doch ist Verständnis der Liturgie etwas ganz anderes als jedes Wort verstehen. Eine fromme alte Frau, erklärt Ratzinger, vermag sehr gut die Tiefe des Geheimnisses zu erfassen, auch wenn sie nicht jedes Wort versteht (Dag Tessore, Introduzione a Ratzinger, 88 f). „Denn in der Liturgie begreift man ja nicht einfach auf rationale Art, so wie ich etwa einen Vortrag verstehe, sondern auf vielfältige Weise, mit allen Sinnen und mit dem Hineingenommenwerden in eine Feier, die nicht von irgendeiner Kommission erfunden ist, sondern die gleichsam aus der Tiefe der Jahrtausende und letztlich der Ewigkeit her zu mir kommt“ (Salz der Erde, 186). In einer Liturgie, die auf Verstehbarkeit ausgerichtet ist, gleitet das Mysterium ins Banale hinab. Ratzinger weist auf die psychologischen und pastoralen Folgen solchen Liturgieverständnisses. Die große Welle esoterischer Strömungen, asiatischer Techniken der Zerstreuung und Selbstentleerung zeigten an, dass etwas in unserer katholischen Liturgie fehlt. Gerade heute brauchen wir Ruhe und Stille, das Mysterium und seine Schönheit (Dag Tessore, Introduzione a Ratzinger, 89). Ratzinger plädiert darum für den Erhalt des Lateins in der Liturgie. Wenngleich er die Feier der Messe auch in der Landessprache für sinnvoll hält und ausschließliche Feiern in Latein nicht wünschenswert erachtet, müssten doch Elemente der lateinische Sprache erhalten bleiben. Liturgie ist universal, sie verbindet uns mit der ganzen Kirche in Raum und Zeit und fördert das Mysterium, das wir feiern (ebenda, 90). Somit kommt durch das Latein der Geist der Liturgie zu seinem Recht. Durch das Latein wird die Liturgie feiernde Gemeinschaft herausgehoben in das Ganze der Kirche und für das Mysterium, das gefeiert wird, offen.

„Die Gemeinde ist nur dann beim Herrn und nur dann in seinem Namen versammelt, wenn sie ganz in der Kirche, wenn sie ganz beim Ganzen ist. Darum ist christliche Liturgie, so sehr sie immer nur hier und jetzt, an Ort und Stelle und mit dem Anspruch an das Ja dieser Gemeinde lebt, ihrem Wesen nach katholisch, vom Ganzen kommend, ins Ganze führend, in die Einheit mit dem Papst, mit den Bischöfe, mit den Gläubigen aller Orte und Zeiten“ (Das Fest des Glaubens, 128).

In der postsynodalen Adhortation Sacramentum Caritatis wiederholt darum Papst Benedikt XVI. ausdrücklich, was auch die Bischöfe auf der Synode über die Heilige Eucharistie 2005 angemahnt haben, nämlich dass es zum Ausdruck der Einheit und der Universalität der Kirche angemessen ist (aequum est), außer in den Lesungen, der Predigt und den Fürbitten in der Liturgie die Messe auf Latein zu feiern. Dies gelte namentlich für internationale Messfeiern. Darum sollen zukünftige Priester schon während ihrer Seminarzeit lernen (instituantur), die lateinische Sprache zu verstehen und die Messe in Latein zu feiern (Sacramentum Caritatis, Nr. 62).

Weder die alte Messe noch weiter wie bisher

Die würdige und richtige Feier der Liturgie ist für Ratzinger/Benedikt XVI. ein Herzensanliegen. Liturgie ist nichts Nebensächliches, sondern das Herz, das Zentrum der Kirche. Liturgie, Anbetung und Verherrlichung Gottes stehen für ihn nicht neben Apostolat und Caritas. Liturgie ist das Fundament und die Voraussetzung für das ganze Leben als Mensch und Christ. Sie nimmt keine untergeordnete Stelle ein gegenüber dem caritativen, sozialen und politischen Engagement, denn politische und soziale Probleme hängen auf engste mit der Glaubens- und Gotteskrise in unserer Zeit zusammen. Apostolat und Caritas, politischer und sozialer Einsatz können nicht getrennt werden von der Anbetung und der Liturgie (Anselm Günthör, Papst Benedikt XVI. zu den Problemen unserer Zeit, 48 f). „Nur wenn der Mensch, jeder Mensch, vor Gottes Angesicht und unter seinem Anruf steht, ist auch seine Würde gesichert. Aus diesem Grunde bewegt sich die Sorge um die rechte Gestalt der Anbetung nicht abseits der Sorge um den Menschen, sondern ist ihre Mitte“ (in: Das Fest des Glaubens, 7, zitiert nach Anselm Günthör, a.a.O., 49).

Der Mensch, der nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen ist und nach ihm hungert, ist zur Anbetung des wahren Gottes berufen. Anbetung bestimmt sein ganzes Leben. Liturgie ermöglicht nur dann Anbetung, wenn sie entsprechend ihrem Wesen gefeiert wird. Joseph Ratzinger hat sich immer wieder darum bemüht, dass die Menschen das eigentliche Wesen der Liturgie verstehen, damit sich ihnen das Geheimnis der wahren Liturgie enthüllt. Liturgie muss darum wieder sakraler werden, sie muss das Mysterium zum Leuchten bringen.

Ratzinger geht es nicht darum, den nachkonziliaren Messritus durch den alten Tridentinischen Ritus zu ersetzen, sondern vielmehr um eine Erneuerung, die organisch aus dem Alten herauswächst. Das heißt, dass der Tridentinische Ritus Ausgangspunkt sein muss für den neuen Ritus, für die „Reform der Reform“ (Dag Tessore, Introduzione a Ratzinger, 86). Einerseits soll der Tridentinische Ritus als eigener Ritus wieder einen festen Platz in der Kirche habe, weil er nicht hätte verboten werden dürfen und weil eine legitime Pluralität von Riten in der Kirche vom Zweiten Vatikanischen Konzil ausdrücklich gewünscht worden ist, andererseits erfüllt der Tridentinische Ritus eine Vorbildfunktion für eine „Reform der Reform“ der nachkonziliaren Liturgie.

Eine neue liturgische Bewegung

Die angestrebte „Reform der Reform“ muss allerdings getragen werden von einem neuen liturgischen Bewusstsein beim Klerus und bei den Gläubigen. Ratzinger fordert darum eine gründliche liturgische Bildung vor allem der Priester. Ratzinger/Benedikt XVI. kann in diesem Zusammenhang als der Motor einer neuen liturgischen Bewegung, die nach mehr als vierzig Jahren nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil mit seinem Pontifikat einsetzt, in die Geschichte eingehen. Das Ergebnis dieser neuen liturgischen Bewegung könnte eine Liturgie sein, die den Vorgaben der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium entspricht und damit in der Einheit mit der Tradition steht. An die Stelle des heutige Missale Papst Pauls VI. könnte es ein neues Missale geben, dessen Riten organisch aus dem Tridentinischen Ritus hervorgegangen sind. Am Ende einer solchen „Reform der Reform“ könnte es in der katholischen Kirche einen offiziellen Messritus geben, nämlich der im Spiegel des Tridentinischen Ritus erneuerte Messritus Papst Pauls VI.

Das Anliegen der Konzilsväter bei der Liturgiereform, im Hinblick auf eine bessere aktive Teilnahme der Gläubigen die Liturgie verständlicher, die Riten durchsichtiger und einfacher zu gestalten und von unnötigen Wiederholungen zu befreien (Sacrosanctum Concilium, Nr. 34), muss nach Ratzinger im Lichte einer „Hermeneutik der Kontinuität“ interpretiert und umgesetzt werden. Liturgie kennt ja im Laufe der Geschichte eine legitime Entwicklung. Sie entwickelt sich aber nicht auf Kosten des Wesens der Liturgie, getrennt von ihrer Bindung an die Kirche und der vom Heiligen Geist getragenen Tradition. Im Ritus „konkretisiert sich die Bindung der Liturgie an das lebendige Subjekt Kirche, das einerseits durch die Bindung an die in der apostolischen Überlieferung gewachsene Form des Glaubens gekennzeichnet ist. Diese Bindung an das eine Subjekt Kirche lässt verschiedene Formgebungen zu und schließt lebendige Entwicklung ein, schließt aber Beliebigkeit aus“ (Der Geist der Liturgie, 143 f.).

Die Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist zu schnell und überstürzt erfolgt und hat zu Missbräuchen in der Liturgie und Profanisierung des Heiligen geführt (Anselm Günthör, Papst Benedikt XVI. zu den Problemen unserer Zeit, 54). Durch eine „Reform der Reform“ erhofft sich Ratzinger/Benedikt XVI. die Wiederherstellung des Sakralen in der Messliturgie, das die Menschen wieder zur Anbetung bewegt und damit wieder in das Wesen der Liturgie hineinführt.

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Dirk Weisbrod
In den Sarg des verstorbenen Emeritus ist eine offizielle lateinische Pontifikats-Urkunde gelegt worden. Die "Tagespost" dokumentiert den Text im Wortlaut.
05.01.2023, 14 Uhr
Redaktion
Joseph Ratzinger und Benedikt XVI. – ein großer und demütiger Arbeiter im Weinberg des Herrn.
06.01.2023, 07 Uhr
Manfred Spieker

Kirche

In der 56. Folge des Katechismuspodcasts mit der Theologin Margarete Strauss geht es um die Frage, wie der Mensch mit der Vorsehung zusammenarbeitet.
27.05.2023, 14 Uhr
Meldung
„Das war die Vorsehung!“ Aber was genau ist das eigentlich? Dieser Frage widmet sich Theologin Margarete Strauss in der 55. Folge des Katechismuspodcasts.
26.05.2023, 14 Uhr
Meldung
In der 54. Folge des Katechismuspodcasts geht es mit Theologin Margarete Strauss um die Schöpfungstätigkeit Gottes.
25.05.2023, 18 Uhr
Meldung
Wegen Überfüllung geschlossen: 16000 Pilger aus 28 Ländern wandern am kommenden Wochenende zu Fuß von Paris nach Chartres.
28.05.2023, 13 Uhr
Franziska Harter