Regensburg (DT) Buchvorstellungen mit Glanz und Gloria sind ein Markenzeichen des Hauses Thurn und Taxis. Angeregte Gesprächen, Kerzenlicht und Champagner schaffen eine heilsame Distanz zu den weltanschaulichen Widrigkeiten der Gegenwart. In Schloss St. Emmeram empfingen Fürstin Gloria und Fürst Albert am Mittwoch kirchliche Würdenträger, Schriftsteller und Medienschaffende, um im literarischen Salon über den aktuellen Interviewband des Präfekten der Glaubenskongregation Kardinal Gerhard Müller „Die Botschaft der Hoffnung. Gedanken über den Kern der christlichen Botschaft“ zu plaudern.
Die konfessionell gemischten Gäste – darunter Papstbruder Georg Ratzinger, der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger, Büchnerpreisträger Martin Mosebach und Sven von Storch, Gatte der AfD-Politikerin Beatrix von Storch, griffen interessiert nach den druckfrisch ausliegenden Exemplaren. Mit der Herausgabe der deutschen Übersetzung des in spanischer Sprache veröffentlichten Interviews kurz vor Beginn der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz, hatte der Herderverlag gezeigt, was eine verlegerische Punktlandung ist.
Dass auf der Achse Rom–Regensburg zusammenwachsen könnte, was zusammengehört, deutete der Wallfahrtsdirektor von Maria Vesperbild, Prälat Wilhelm Imkamp, zum Auftakt in seiner launigen Betrachtung über Gemeinsamkeiten von Kardinal Müller und den Laudatoren des Abends an. Sowohl der Präfekt der Glaubenskongregation als auch der Publizist Henryk M. Broder und der protestantische CSU-Politiker Peter Gauweiler seien als Zeitgeistdissidenten „ihrer Nahumgebung eindeutig nicht angepasst – und das alles auch noch sehr lustvoll“. Wobei die Nahumgebung bei einem katholischen Kardinal nicht mit dem muttersprachlichen Raum zu verwechseln ist. Imkamp unterstrich Müllers Format als Mann der Weltkirche: „Lange, bevor Jorge Bergoglio zum Papst gewählt wurde, war Gerhard Ludwig Müller im hispanischen Lateinamerika zuhause – und zwar an den Rändern, in den Favelas.“ Neben Joseph Ratzinger sei Müller der deutsche Theologe, der am meisten in anderen Ländern gelesen werde. Schmunzeln im Publikum, als Prälat Imkamp Müllers Gemeinsamkeiten mit Papst Franziskus unter die Lupe nahm – „beide sind keine Diplomaten“.
Bei bekennenden Agnostikern wie Henryk M. Broder, der sich „eine gewisse Affinität zum Katholizismus“ bescheinigte, lässt sich mit Anpassungsverweigerung zweifellos punkten. „Ich weiß nicht, ob Sie mit allem Recht haben, aber es beeindruckt mich zutiefst, dass sie von dem Recht, eine wenig konforme Meinung zu haben, dermaßen ausführlich Gebrauch machen“, kommentierte er Müllers Buch. Couragierte Gläubige haben das Katholizismus-Bild des jüdischen Chestertonverehrers Broder positiv geprägt. Still lauschte das Publikum seinem Bericht über die polnische katholische Familie, die seine ältere Schwester unter Lebensgefahr vier Jahre lang erfolgreich vor den Nationalsozialisten versteckte. „Es waren keine Widerstandskämpfer. Es waren anständige, gläubige Christen, die etwas tun wollten.“ „Christlich war für meine Eltern identisch mit katholisch.“
Scharfe Kritik übte Broder an Äußerungen von Papst Franziskus über Gewalt im Namen des Islam. Süffisant kommentierte der Publizist auch die Auswirkungen „säkularer Religionen“, zu denen er Ökologismus und Veganismus zählt. Es gebe in ihnen alles: Gläubige, Häretiker, Priesterkaste und Ablass – „alles außer Gott“. In der „staatlich verordneten Willkommenskultur“ findet sich Broder zufolge ein Beweis der These Chestertons, dass Menschen, die nicht mehr an Gott glauben, nicht an nichts, sondern an jeden Unsinn glauben.
Umso bedeutsamer wäre es da, dass Christen durch ihr Auftreten gegensteuern. Welches Gewicht dabei neben dem klassischen Bekenntnis Stilfragen zukommt, veranschaulichte Broders Einschätzung eines rheinischen Purpurträgers, der morgens zur Bäckerei geradelt sei, um Brötchen zu holen – „rein zufällig war ein RTL-Team dabei“. „Das sollte ein Kardinal nicht machen. Ich erwarte von einem Kardinal eine gewisse Autorität im ganzen Auftreten, ich erwarte von ihm Pomp und Gloria.“
Nach diesem rhetorischen Feuerwerk blieb Peter Gauweiler nicht mehr viel hinzuzufügen. Das Buch des „römischen Protestanten“ Müller habe in ihm Zustimmung und heftigen Widerspruch ausgelöst. Doch brauchen wir „keine irdische Esperantokirche, die versucht, alles, was sich an kultureller Eigenart entwickelt hat, schnell zu verwischen, um irgendeinem Zeitgeist zu entsprechen“. Auf Erden sei die katholische Kirche wie ein Festmahl. „Wir Protestanten haben dazu nur eine Schale Vollkornbrot zu bieten,.“ Gesagt, gespeist: Beim fürstlichen Diner beschrieb Martin Mosebach die Gegenwart als „neue Situation“ in der Kirchengeschichte: Schon der Wahrheitsbegriff werde heute für „ein Wahnprodukt“ gehalten: „Jeder, der an dem Begriff ,Wahrheit‘ festhält, wird als potenzieller Gewalttäter und Feind des Menschengeschlechtes verdächtigt.“ Enthusiastisch äußerte sich Mosebach über die Kompaktformel der christlichen Wahrheit – das Credo – ein. „Von einer Hyperfruchtbarkeit müsste angesichts des Credo gesprochen werden. Es könnte einem angesichts der von ihm ausgelösten und beflügelnden Spekulationen, Theologeme und Philosopheme schwindlig werden, weil nahezu jeder Gedanke, der im Raum der vom Christentum gestifteten Kultur jemals gefasst worden ist, in einer näheren oder ferneren Weise mit dem Credo zusammenhängt. Zu den Eigentümlichkeiten der katholischen Religion gehört Mosebach zufolge, dass sie ihren Gesetzen als Korrektiv gegen den Spiritualismus die Widerständigkeit der Materie zur Seite gestellt habe: „Die Religion der Inkarnation ist an die Materie gefesselt und will es sein, weil durch die Fleischwerdung Gottes die Materie in den innersten Bereich der Offenbarung gerückt ist.“
Auch der Präfekt der Glaubenskongregation bestand an diesem Abend nicht auf reine Vergeistigung. Seine Laudatio auf den global player katholische Kirche, in der Platz für alle und der Beweis für Multi-Kulti erbracht sei paarte sich mit einer Begriffsklärung: „Kulti“: Mit Kultur verband der Präfekt mehr als ein „unverbindliches Miteinander“, sondern „eine gewisse Programmatik“. Als Beispiel dafür, dass sich die christliche Hoffnung nicht auf weltliche Autorität, sondern nur auf Gott gründen kann, führte der Kardinal neben weltpolitischen Krisen auch das Dilemma der US-Bürger mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen im November an: Es sei „hochdramatisch“, dass die Frage nun laute, welcher Kandidat „das kleinere Übel“ darstelle. Pessimismus als Schlussstrich? Im Gegenteil: Müller ermutigte zu einer „realistischen Hoffnung aus dem Grundvertrauen heraus, dass der Schöpfer es gut mit uns meint“.