Zugfahrten haben etwas angenehm Unberechenbares an sich. Auch wenn man in Kenntnis um den Zielort losfährt, weiß man doch nie, was einen bis dahin alles erwartet. Von technischen Störungen über lärmende Kleinkinder bis hin zu mit ihrem Humor das gesamte Zugabteil unterhaltende Schaffner liegt alles im Bereich des Möglichen. Häufig entstehen in dieser Atmosphäre des Unvorhersehbaren spannende Begegnungen, bei denen man in die interessantesten Gespräche verwickelt wird. So erging es mir neulich, als ich – um Freunde in der entfernten Ostschweiz zu besuchen – mehrere Stunden im Zug verbringen durfte.
Amerikanische Mormonen auf Missionsreise
Bei einem der ersten Zwischenhalte setzten sich drei sympathisch wirkende Fahrgäste zu mir. Sofort fielen mir deren mitgeführte Wahlplakate auf. Da Politikinteresse und Neugier bei mir beide im Übermaß vorhanden sind, kamen wir ins Gespräch. Ich erfuhr, dass sie für die bald stattfindenden Schweizer Parlamentswahlen kandidieren – als Politiker der EVP, der Evangelischen Volkspartei der Schweiz. Ein gemeinsamer Nenner war bald gefunden, was bei der dezidiert christlichen Ausrichtung ihres Parteiprogramms nicht überrascht. Deckungsgleichen Ansichten stand dann aber wohl doch der Konfessionsunterschied entgegen.
Mehrere Stationen weiter fielen mir zwei adrett gekleidete, englisch sprechende Jugendliche auf, die gerade neu in den Zug eingestiegen waren. Ich fragte mich schon, bei welcher Bank ich mich um ein Praktikum bewerben muss, um auch einmal eine derart fesche Krawatte tragen zu können. Umso überraschter war ich dann, als ich beim Verlassen des Zuges die an deren Revers befestigte Aufschrift lesen konnte: Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Bei meinen beinahe Sitznachbarn handelte es sich wohl also um amerikanische Mormonen, die als „Elder John“ und „Elder Steven“ missionarisch tätig waren.
Haben Katholiken missionarischen Einsatz verlernt?
In einer einzigen Zugfahrt wurde mir so vor Augen geführt, wie selbstverständlich, wie engagiert Mitglieder anderer Religionsgemeinschaften sich in Schale werfen, mit ihrer Botschaft unter die Leute gehen und um ihre Überzeugung werben. Trotz einiger verdienstvoller Einzelbeispiele kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass wir Katholiken diese Art von Einsatz verlernt haben. Unserer missionarischen Verantwortung werden wir dadurch nicht gerecht. Gerade jetzt, im von Papst Franziskus veranlassten außerordentlichen Monat der Mission, sollten wir dies ändern und mit neuem Schwung den Weg der Evangelisierung beschreiten. Wir sind am Zug!
Der Autor, 21, studiert Rechtswissenschaften in Freiburg i.Ü.