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Unüberbrückbare Gräben?

Die Einheit von Leib und Seele kann durch die sexuelle Revolution nicht beseitigt werden.
Der lebendige Mensch ist beseelt. Nach dem Ableben Mariens kam ihre Seele zu Christus
Foto: IMAGO / UIG | Der lebendige Mensch ist beseelt. Nach dem Ableben Mariens kam ihre Seele zu Christus. Dargestellt ist das Fresco in der Basilika von Santa Caterina in Alessandria.

Wenn es Gott nicht gibt, ist alles erlaubt.“ Mit diesem Diktum Dostojewskis leitet Gabriele Kuby ihr 2021 erschienenes Bändchen „Dein Leib – Dein Zuhause“ ein. Der agnostische Durchschnittsbürger – und heute auch -katholik – könnte dem prompt entgegenhalten, man könne auch ohne einen allzu ausgeprägten Glauben an Gott Liebe, Treue und Hingabe leben, ein gesundes Verhältnis zum eigenen Körper haben und kein sexsüchtiger Ausbeuter von Schwächeren sein. Kuby zeigt in ihrem schmalen, gut lesbaren Bändchen aber überzeugend auf, dass letztlich nur die christliche Sicht auf den Menschen es diesem erlaubt, seine Biologie zu akzeptieren und die eigene Sexualität erfüllend zu leben. Der Text ist als Abschlussarbeit im Rahmen des Studiengangs „Theologie des Leibes“ an derPhilosophisch-Theologischen Hochschule Heiligenkreuz entstanden.

Folgen der Rebellion gegen Gott

Die katholische Publizistin zeigt überblicksartig, dass es die Rebellion gegen Gott und seine Schöpfung ist, die in die menschlichen Dramen einer fehlgeleiteten Sexualität führt und dass nur die Versöhnung des Menschen mit seinem Leib – und dessen Schöpfer – Heilung bringt. Kuby beschreibt die Gendertheorie als moderne Formleib der Leibfeindlichkeit, die in gnostischer Tradition auf einem Gegensatz von Leib und Geistseele beruht: Der Geist soll den Leib beherrschen, in dem er gefangen ist. Mit Transgender ist die jüngste Spielart dieser Leibfeindlichkeit bereits in den Kinderzimmern angekommen: Kliniken werden von immer jüngeren – vor allem weiblichen – Kindern und Jugendlichen überschwemmt, die sich „im falschen Körper“ geboren fühlen. Versöhnung mit dem eigenen Leib ist nur dann möglich, wenn der Mensch sich und seine Mitmenschen als Gottes Geschöpf erkennt und seiner Berufung zur Liebe folgt. Die Theologie des Leibes von Johannes Paul II. ist für Gabriele Kuby der Weg zurück zur Einheit von Geist und Körper.

In Rückgriff auf Joseph Ratzinger erklärt Kuby, wie sich seit der Antike zwei Modelle gegenüberstehen, das christliche und das gnostische. Die Alternativen laufen darauf hinaus, sich entweder als Ebenbild Gottes zu erkennen oder sich selbst zu Gott zu machen. Im christlichen Weltbild ist Gott Schöpfer der Welt und des Menschen, die Schöpfung ist gut. Der Mensch ist geschaffen als Gottes Ebenbild, als Mann und Frau, als unauflösliche Einheit von Leib und Seele.

Der Leib ist Teil des Menschen

Der Mensch besitzt seinen Leib nicht, sondern der Leib ist ein Teil von ihm. Die antike Gnosis hingegen beruht auf einem dualistischen Denken: In ihrer Mythologie liegt die transzendente Gottheit in unerreichbarer Distanz zum Menschen außerhalb des Universums. Bösartige Wesen (Demiurgen) haben die Welt erschaffen, in die der Mensch hineingeworfen ist, gefangen in seinem Leib. Aus diesem Gefängnis, das aus der materiellen Welt besteht, kann er sich nur durch Geheimwissen befreien. In diesem Modell existieren weder Gnade noch Erlöser, sondern der Mensch zieht sich durch Wissen sozusagen selbst am Schopf aus dem Sumpf.

Kuby zeichnet nach, wie Menschen sich in gnostischen Strömungen quer durch die Geschichte – von Manichäismus über die Aufklärung bis hin zu politischen Ideologien des Sozialismus und des Faschismus sowie dem Existenzialismus des 20. Jahrhunderts – der Versuchung der Selbsterlösung durch die eigene Tat unterlagen. „Was bleibt, ist das nackte, allen Sinns beraubte, Individuum, das glaubt, nur dann nicht unterzugehen, wenn es die Welt beherrscht – zuerst den eigenen Körper“, fasst die Autorin zusammen. So führt der Verlust des Bezugs zu einer transzendenten Realität zu einer Freiheit, die jedoch einer völligen Bindungslosigkeit und Verlassenheit gleichkommt.

Leib und Geistseele als Einheit

In einem weiteren Schritt zeigt die Autorin die verheerenden Folgen der Gnosis im heutigen Gewand auf: Die unauflösliche Einheit der Geistseele mit dem Leib wird vom autonomen Individuum als unzumutbare Einschränkung der Freiheit wahrgenommen. Wenn der Mensch nicht sein Körper ist, sondern „nur“ einen Körper hat, dann folgt daraus, dass man ihn und den Körper anderer Menschen zum eigenen Vorteil und zur eigenen Lustbefriedigung benutzen kann. Das führt jedoch nicht zur Unterwerfung des Körpers, sondern dazu, dass der Mensch – vor allem die Frau – mit seinem Körper im dauerhaften Krieg lebt und er am Ende zum Gefangenen seiner Sexualität wird. Die Opfer sind die Schwächsten, nämlich (ungeborene) Kinder und alte Menschen, die nach Belieben entsorgt werden können. Kuby beschreibt im Schnelldurchgang die Folgen der Sexuellen Revolution bis heute: Anstieg der Abtreibungsrate, Fall der Geburtenrate, Anstieg von Scheidungen, Kindesmissbrauch, Pornographie und Sexsucht.

Ent-Leibung durch digitale Kommunikation

Gabriele Kuby identifiziert mit der digitalen Kommunikation einen weiteren Bereich der Ent-Leibung: Zwar habe die digitale Kommunikation während der Corona-Pandemie einen Großteil der Bevölkerung ein stückweit vor völliger Vereinsamung bewahrt, jedoch finde echte Begegnung zweier Menschen nur in leiblicher Präsenz statt. Die durch den Körper bedingten raum-zeitlichen Grenzen des Menschen, so folgert Kuby, engen den Menschen nicht ein, sondern erlauben ihm Bindung und Liebe. Im Gegensatz dazu führe eine dauerhafte virtuelle und damit Leib-lose Kommunikation in Einsamkeit und Isolation.

Versöhnung von Geist und Leib

In einem letzten Schritt stellt Kuby die Theologie des Leibes von Johannes Paul II. als Weg zu einer Versöhnung von Geist und Leib vor: „Der gegen die Schöpfungsordnung rebellierende Mensch wird durch Leiden dazu zurückfinden, sich in seinen Leib zu fügen und die Schönheit seiner männlichen oder weiblichen Identität durch die Integration von Geist und Leib anzunehmen und zu entfalten.“ Durch die Verwirklichung der Berufung zur Liebe könne der Mensch tatsächlich Gott ähnlich werden, der die Liebe ist. Lieben bedeutet nach Johannes Paul II., sich zu schenken. Dies könne der Mensch nur, wenn er zuerst lerne, sich zu empfangen. Mit dem Sündenfall trat der Mensch in die Geschichte ein. Um sich in Freiheit schenken zu können, muss er seitdem erst lernen, sich selbst zu besitzen und sein Leben am Guten auszurichten. Gott lässt ihn dabei nicht alleine. Durch seine Menschwerdung hat Christus die gnostische Auflehnung gegen Gott und die Geschöpflichkeit in seinem eigenen Leib besiegt und den Menschen dadurch erlöst. Seine Auferstehung ist auch für den Menschen die Verheißung, nach dem Tod die völlige Versöhnung von Geist und Körper in einem verherrlichten Leib zu erlangen, in ewiger Gemeinschaft mit Gott.

Unüberbrückbarer Graben

Zwischen christlicher Theologie und gnostischen Strömungen besteht laut Kuby ein unüberbrückbarer Graben; eine graduelle Annäherung zwischen beiden sei nicht möglich, sondern es bedürfe eines Sprungs hin zum Glauben an den einen Gott. Die klare Darstellung des tiefen Gegensatzes zwischen christlicher Anthropologie und dem Gedankengut der Gendertheorie macht ihr Büchlein zu einem treffsicheren Beitrag für die aktuelle innerkirchliche Auseinandersetzung. Denn der Synodale Weg ist mit der faktischen Anerkennung sexueller Vielfalt offensichtlich bereits in den Graben gefallen.

Gabriele Kuby: Dein Leib – Dein Zuhause. Über die Wahrung der Einheit von Geist und Körper. Fe Medienverlag 2021, 94 Seiten, ISBN 978-3-86357-322-4, EUR 6,95.

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Franziska Harter Christliche Theologie Gabriele Kuby Hochschule Heiligenkreuz Jesus Christus Johannes Paul II. Kindesmissbrauch Transgender Versöhnung

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