Deir Rafat: Die Königin von Palästina

Im Kloster „Deir Rafat“ bei Jerusalem wird Maria als Patronin ihres Heimatlandes verehrt. Von Till Magnus Steiner
Im Kloster „Deir Rafat“ blickt eine Marienstue herunter
Foto: Till Magnus Steiner | Eine große Marienstatue blickt von der Fassade des Wallfahrtsortes auf ihr Land herunter. Seit 1933 wird sie hier offiziell als „Regina Palaestinae“ angerufen.

Dreißig Kilometer westlich von Jerusalem gelangt man auf einer schlecht asphaltierten Straße, entlang von Feldern und nachdem man an einer Winzerei vorbeigefahren ist, zu einem großen Tor mit der Aufschrift „Deir Rafat“. Östlich vom Eingangstor sind heute noch die Ruinen der mittelalterlichen und arabischen Häuser zu sehen, die vor dem israelischen Unabhängigkeitskrieg zum Dorf Rafat gehörten, das 1948 zerstört wurde und dessen Bewohner fliehen mussten. Archäologische Funde wie zum Beispiel ein jüdisches Ritualbad aus der Zeit des Zweiten Tempels und Gräber aus der byzantinischen Zeit verweisen darauf, dass dieser Ort jahrhundertelang bewohnt war.

Östlich davon wurde 1927 vom damaligen Lateinischen Patriarchen von Jerusalem, Luigi Barlassina, ein Wallfahrtsort zu Ehren Mariens gegründet und ein Kloster („Deir“ auf Arabisch) errichtet. Das Grundstück befand sich damals bereits 60 Jahre im Besitz der katholischen Kirche, bevor im Jahr 1925 der deutschsprachige Benediktinermönch Mauritius (Josef) Gisler, der der Dormitio-Abtei auf dem Berg Zion in Jerusalem angehörte, mit dem Bau des Marienheiligtums beauftragt wurde.

Wenn man durch das Eingangstor eintritt, gelangt man auf einen großen Platz mit teilweise zerbrochenen Steinplatten. Der erste Blick fällt auf den Souvenirladen, neben dem ein großes Schild in Richtung des Kircheneingangs weist. Wenn man heute diesen Marienwallfahrtsort besucht, schleicht man sich sozusagen von der Seite an und steht nicht direkt vor der beeindruckenden Fassade, auf der eine sechs Meter hohe Marienstatue steht und ihre Hand schützend über das Land hält. Hier wird sie seit 1933 mit offizieller Erlaubnis der Ritenkongregation Rom als „Reginae Paleastinae“ verehrt. Patriarch Luigi Barlassina war der erste, der 1920 bei seinem feierlichen Einzug in die Grabeskirche in Jerusalem Maria als Königin Palästinas anrief.

Ein Ort der Anbetung und geistlichen Einkehr

Nach der Einweihung wurde das Kloster in die Hände der sogenannten Dorotheenschwestern der Töchter des heiligen Herzens Jesu aus Italien gelegt. Auf Wunsch des Lateinischen Patriarchen kümmerten sie sich dort um Waisenkinder und den Marienwallfahrtsort, der den offiziellen Namen „Das Heiligtum Unserer Lieben Frau, Königin von Palästina und dem Heiligen Land“ erhielt. Als während der Zeit des Völkerbundmandats für Palästina, das an Großbritannien übertragen wurde, der Zweite Weltkrieg ausbrach, wurden die Nonnen als „Kriegsfeinde“ interniert. Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem israelischen Unabhängigkeitskrieg dauerte es bis 1975, bis das Kloster wieder renoviert werden konnte und die pädagogische Arbeit an diesem Ort wieder aufgenommen wurde. Anstelle eines Waisenhauses eröffneten die Schwestern nun ein Internat samt angeschlossener Kunstgewerbeschule für christliche und muslimische Kinder, deren Eltern in Not geraten waren. Sie betrieben diese Schule bis zu ihrer Schließung im Jahr 2004. Im August 2009 bat der damalige Lateinische Patriarchat Fouad Twal die gemäß der Tradition des Kartäuserordens lebende Monastische Familie von Betlehem, der Aufnahme Mariens in den Himmel und des heiligen Bruno darum, sich an diesem Ort niederzulassen, um die Gegenwart des Gebets und der Anbetung sicherzustellen. Heute dient der Ort vor allem für geistliche Einkehrtage.

Die eigentliche Bedeutung wird jedoch jedes Jahr am Sonntag nach dem 25. Oktober sichtbar, wenn Christen aus allen Teilen des Landers sowie Pilger aus aller Welt zum Fest Unserer Lieben Frau, Königin von Palästina nach Deir Rafat kommen. Mit Bussen reisen Hunderte von Gläubigen vor allem aus Galiläa zur feierlichen Prozession um das Heiligtum und zur gemeinsamen Messe an. Auch für die Ritter und Damen des Ordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem hat diese Feierlichkeit eine besondere Bedeutung, da es auch das Fest deren Schutzpatronin ist.

Als der Papst 1933 das jährliche Fest genehmigte, deutete er es als „eine Aufforderung, von der Muttergottes einen besonderen Schutz für das Land, in dem sie geboren wurde, zu erbitten“.

„Es ist das Land von Jesus und Maria“

Im vergangenen Jahr fasste der lateinische Patriarchalvikar für Nazareth, Hanna Chaldani, den an diesem Ort gefeierten patriotischen und zugleich Grenzen überschreitenden Glauben in folgende Worte: „Maria ist unsere Mutter, meine Mutter, deine Mutter und die Mutter aller Christen in diesem Land, und ihr Sohn vertraut seine Sorgen und Freuden seiner Mutter an, und heute vertrauen wir der Mutter alles an: unsere Freuden und Sorgen. Die Muttergottes hilft den Christen im Heiligen Land, die Hoffnung nicht zu verlieren, denn wenn wir die Hoffnung verlieren, verlieren wir unseren Glauben und wir leben in Trauer. Wir lieben dieses Land, denn für diejenigen, die an den Herrn glauben, ist es das Land von Jesus und Maria.“

In der Kirche befindet sich im linken Kirchenschiff ein Gemälde, auf dem Maria als Königin Palästinas dargestellt ist. Zum Zeichen des Schutzes hat sie ihre Hand über die Erde ausgestreckt. Am unteren Rand des Bildes erstreckt sich eine Landschaft von der Küste Haifas mit dem Berg Karmel bis zu den Stadtmauern Jerusalems. Von rechts und links nähern sich zwei Engeln, die der Mutter Jesu ihre Krone und ihr Zepter bringen. Als Patriarch Luigi Barlassina entschieden hatte, das Marienheiligtum zum Schutz des Landes zu bauen, war es sein Wunsch, dass die Völker der Welt an dieser Ehrung der „Königin aller Völker“ und „der herausragendsten Tochter der Kirche“ Anteil haben. Daher bat er Bischöfe aus der ganzen Welt, ihm die offizielle Übersetzung des Ave Maria in ihre jeweiligen Landessprachen zukommen zu lassen. Der Patriarch erhielt 404 Übersetzungen, wählte davon 280 aus und beauftragte den Jerusalemer Künstler Mubarak Sa?ad mit den Anfangsworten des Gebets in den verschiedenen Sprachen die Kirchendecke und ihre Wände zu dekorieren. So sieht man heute, wenn man in der Kirche die Augen gen Himmel hebt, Engel, die auf Bannern die Worte „Ave Maria“ in den Sprachen der Menschheit tragen und mit Weihrauch die Gebete der Gläubigen in den Himmel hinaufsteigen lassen.

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