Wer das Glück hatte, Johannes Paul II. zu Lebzeiten zu begegnen, spürte seine einzigartige Ausstrahlung, die erahnen ließ, dass man einem Heiligen gegenüberstand. Zu seinem Charisma trug bei, dass man ihm schon zu Lebzeiten Wunder und Gebetserhörungen zutraute und zuschrieb.
Der Vatikan mag keinen Sensationalismus
Der Vatikan, der Sensationalismus ebenso fürchtet wie einen ungesunden Personenkult, tat zu seinen Lebzeiten alles, um solche Berichte geheimzuhalten. Einen der beeindruckendsten Fälle enthüllte der persönliche Sekretär des Papstes, Kardinal Stanislaus Dziwisz, erst unmittelbar nach seinem Tod dem italienischen Vatikanisten Marco Tosatti von der Tageszeitung „La Stampa“. 1998 hatte ein amerikanischer Bekannter des Kardinals um eine Privataudienz für einen todkranken Freund gebeten. Der schwerreiche Geschäftsmann litte unter einem Gehirntumor und habe nur noch drei Wünsche: Den Papst zu sehen, nach Jerusalem zu pilgern und danach in Amerika friedlich zu sterben. Dziwisz lud ihn ein, an der Frühmesse Johannes Pauls II. in seiner Privatkapelle teilzunehmen. Er wusste nicht, dass der Kranke, der schließlich aus den Händen des Papstes die Heilige Kommunion empfing, ein Jude war. Zwei Wochen später erfuhr Dziwisz von seinem Bekannten, was weiter geschah. Nur Stunden nach der Papstmesse verschwanden bei dem Amerikaner alle Symptome seiner Krankheit. Als er sich daraufhin in einer römischen Klinik untersuchen ließ, stellte sich heraus, dass der Tumor verschwunden war. Dziwisz tadelte ihn nur milde dafür, als Jude die Heilige Kommunion empfangen zu haben.
Der Herr wird Dir Deine Stimme wiedergeben
Ebenfalls erst posthum erfuhr die Öffentlichkeit von der Heilung des Kardinals Francesco Marchisano. Bei einer Kehlkopfoperation waren seine Stimmbänder beschädigt worden, sodass er kaum noch sprechen konnte. Als Johannes Paul II. den Kardinal besuchte, betete er mit ihm und legte seine Hand auf die gelähmten Stimmbänder: „Hab keine Angst, Du wirst sehen, der Herr gibt Dir Deine Stimme wieder.“ Kurz darauf war der Kardinal geheilt, erklärte er am 10. April 2005 der italienischen Tageszeitung „La Reppublica“.
Auch der persönliche Kammerdiener des Papstes, Angelo Gugel, glaubt an ein Wunder, wie er der italienischen Tageszeitung „Corriere della Sera“ am 22. April 2018 mitteilte. Als seine Frau 1980 ihr viertes Kind erwartete, hatte sie so schwerwiegende Probleme mit der Gebärmutter, dass die Ärzte der Gemelli-Klinik meinten, die Schwangerschaft könne nicht fortgeführt werden. An dem Tag, an dem der Kaiserschnitt geplant war, feierte Johannes Paul II. die Morgenmesse für Gugels Frau. Tatsächlich überlebten Mutter und Kind die Geburt, die in dem Moment stattfand, als der Papst das Hochgebet begann. Das Mädchen wurde nach zwei Päpsten und der Gottesmutter benannt: Carla Luciana Maria.
Er küsste ihn auf die Stirn.
Bei seinem nächsten Arztbesuch stellte sich heraus,
dass er geheilt war.
Lass die Taube fliegen
Besondere Beachtung fand auch der Fall des Mexikaners José Heron Badillo, der vier Jahre alt war, als Johannes Paul II. 1990 seine Heimatstadt Zacatecas besuchte. Der Junge, der unter Leukämie im Endstadium litt, war ausgewählt worden, an der Empfangszeremonie für den Papst am lokalen Flughafen teilzunehmen. „Meine Aufgabe war es, eine Taube zu halten und dann freizulassen“, erinnert er sich, „doch ich war so aufgeregt, dass ich den zweiten Teil einfach vergaß. Als der Papst mich sah, lachte er. ,Lass die Taube fliegen!‘, meinte er, umarmte mich und küsste mich auf die Stirn.“ Bei seinem nächsten Arztbesuch stellte sich heraus, dass er geheilt war. „Die Ärzte hatten ihm nur noch ein paar Tage gegeben“, erklärte der damalige Erzbischof von Zacatecas, Kardinal Javier Lozano Barragan, der den Fall sofort untersuchen und dokumentieren ließ, in einem Interview mit dem „Corriere della Sera“ vom 16.4.2005.
Keines dieser Wunder spielte eine Rolle bei der Selig- und Heiligsprechung Johannes Pauls II. Denn zu den Bedingungen, dass ein „Diener Gottes“ zur Ehre der Altäre erhoben wird, gehört ausdrücklich ein Wunder, dass sich posthum ereignete und der Fürsprache des Verstorbenen zugerechnet werden kann. Doch auch daran mangelte es nicht. Seit Papst Benedikt XVI., keine drei Monate (statt, wie üblich, fünf Jahre) nach seinem Tod, am 28. Juni 2005, den Seligsprechungsprozess eröffnen ließ, gingen jeden Tag dutzende Briefe aus aller Welt bei seinem Postulator Msgr. Slawomir Oder ein, in denen von beeindruckenden Gebetserhörungen berichtet wurde.
Einer davon handelte von einer französischen Ordensschwester, die unter der gleichen Krankheit wie Johannes Paul II. gelitten hatte. Im Juni 2001 war bei Schwester Marie Simon-Pierre von der „Kongregation der kleinen Schwestern der katholischen Mütterschaft“ in Aix-en-Provence Parkinson diagnostiziert worden. Für die gerade einmal Vierzigjährige bedeutete es das absehbare Ende ihrer Tätigkeit als Hebamme. Die ganze linke Seite ihres Körpers war betroffen und sie war Linkshänderin. Mit jedem Jahr nahmen die Symptome zu: Schüttellähmung, Versteifung, Schmerz, Schlaflosigkeit. Sie konnte nicht mehr mit der Hand schreiben und nur noch kurze Strecken mit dem Auto fahren. Selbst einfache Tätigkeiten fielen ihr zunehmend schwer. Als der Papst im Sterben lag, sah sie in ihm ihr eigenes Schicksal. Bei seinem Tod war ihr, als habe sie ihren engsten Vertrauten verloren. Sie spürte eine innere Leere.
Eine spontane Heiliung
Als Benedikt XVI. am 13. Mai 2005 ankündigte, die Eröffnung des Seligsprechungsprozesses vorzuziehen, sahen ihre Mitschwestern darin ein Zeichen. Fortan beteten sie für ihre Heilung durch die Fürsprache des polnischen Papstes. Zu diesem Zeitpunkt konnte sie sich kaum noch auf den Beinen halten. Am 2. Juni bat sie ihre Oberin um Entlassung aus dem Dienst. „Johannes Paul II. hat das letzte Wort noch nicht gesprochen“, meinte diese und bat Schwester Marie Simon-Pierre, den Namen des Papstes niederzuschreiben. Als sie dies, mit krakeliger Schrift, getan hatte, erfüllte sie ein Gefühl von tiefem inneren Frieden, heißt es in ihrem Zeugnis, das am 30.4.2011 von der katholischen Nachrichtenagentur ZENIT veröffentlicht wurde.
Kurz nach 21.30 Uhr kehrte sie vom Abendgebet in ihr Zimmer zurück, als sie eine innere Stimme vernahm: „Nimm einen Stift und schreibe!“ Zu ihrer Überraschung fiel ihr das leicht, war ihre Handschrift sauber und lesbar. Völlig überrascht, ging sie trotzdem schnell schlafen. Erst später begriff sie, dass gerade exakt zwei Monate seit dem Tod des Papstes am 2. April um 21.37 Uhr vergangen waren.
Gegen 4.30 Uhr wachte sie auf und konnte zum ersten Mal ohne Schmerzen aufstehen. Ihr Körper war nicht mehr steif, er zitterte nicht mehr. Sie ging in die Kapelle, kniete nieder vor dem ausgestellten Allerheiligsten und dankte für ihre überraschende Heilung. Fünf Tage später bestätigt ihr Neurologe das Wunder. Ihre Oberin schrieb an Msgr. Oder, der den Ortsbischof, Erzbischof Claude Feidt, bat, eine Untersuchungskommission einzuberufen. Nach einer gründlichen Überprüfung durch namhafte Neurologen, Pathologen, Psychiater und einen Graphologen stand fest: Es gab keine natürliche Erklärung für die spontane Heilung von Schwester Marie. Obwohl er „eine wirklich große Auswahl aus hunderten glaubwürdigen Fällen“ hatte, entschied sich der Postulator für die parkinsonkranke Nonne, deren Fall er der Heiligsprechungskongregation präsentierte.
„Steh auf, hab keine Angst!“
Sie ging in die Küche und erklärte ihrem Mann,
dass sie geheilt sei.
Habt keine Angst
Noch am Tag der Seligsprechung Johannes Pauls II., dem 1. Mai 2011, ereignete sich das nächste Wunder. Am 8. April 2011 war Floribeth Mora Diaz, Mutter von vier Kindern aus Cartago in Costa Rica, mit quälenden Kopfschmerzen aufgewacht, die fortan immer schlimmer wurden. Als ihr Mann sie in die Notaufnahme der lokalen Klinik brachte, wurde ein Aneurysma, eine Gefäßerweiterung im Gehirn, diagnostiziert. Die Ärzte gaben der Frau noch einen Monat zu leben. Ihr Mann solle sie heimnehmen, da sie nur noch mit schweren Medikamenten ihre Schmerzen betäuben konnten. Vom Krankenbett aus verfolgte die gläubige Frau die Seligsprechung des Wojtyla-Papstes im Fernsehen, über dem Gerät hatte sie sein Foto aufgehängt. Voll Inbrunst flehte sie ihn an: „Tritt bei Gott für mich ein, damit ich nicht sterben muss! Hilf mir, gesund zu werden.“ Dann, nach der Liveübertragung, schlief sie ein. Als sie wieder aufwachte, hörte sie eine Stimme: „Steh auf, hab keine Angst!“ Sie ging in die Küche und erklärte ihrem Mann, dass sie geheilt sei. Die Ärzte standen vor einem Rätsel. Zwei Kernspin-Untersuchungen im November 2011 und Mai 2012 zeigten, dass das Aneurysma verschwunden war und sich die Gefäßstruktur normalisiert hatte. Als Oder der Fall vorgelegt wurde, ließ er sie ins Gemelli-Hospital in Rom einfliegen, wo eine dritte Untersuchung stattfand, wie er am 20.4.2014 auf einer Pressekonferenz im Vatikan erklärte. Erst danach war ihre Heilung gut genug dokumentiert, um den Weg zur Heiligsprechung Johannes Pauls II. am 27. April 2014 freizumachen. Es war ein Wunder mit einer Botschaft. Es spiegelte seine Liebe zur Familie und für Lateinamerika wider. Vor allem aber die Botschaft, mit der er sein Pontifikat begonnen hatte: „Habt keine Angst“!
Einen der jüngsten beglaubigten Fälle veröffentlichte die „Johannes Paul II.-Stiftung“ in Lublin/Polen erst letztes Jahr auf ihrer Webseite. Als eine polnische Krankenschwester schwanger wurde, diagnostizierten die Ärzte zuerst einen Spaltwirbel, dann einen Wasserkopf bei dem Fötus. Ihr Ehemann riet ihr zu einer Abtreibung, doch sie suchte Hilfe im Gebet und bat den heiligen Johannes Paul II. um seine Fürsprache. Ausgerechnet an seinem 95. Geburtstag, dem 18. Mai 2015, wurde ein vollkommen gesunder Junge geboren, den sie aus Dankbarkeit „Pawel“ nannte. Postulator Slawomir Oder ist zuversichtlich, dass die Flut gemeldeter Gebetserhörungen anhält: „Keinem modernen Heiligen, mit Ausnahme Pater Pios, werden so viele Wunder zugeschrieben.“
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