Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Staudamm als Zankapfel

Wut am Horn von Afrika

Äthiopien hat den größten Staudamm Afrikas eingeweiht und die Separatistenregion Somaliland anerkannt. Damit sorgt es für enorme Spannungen in der Region.
Äthiopien
Foto: IMAGO/Daniel Terefe (www.imago-images.de) | Äthiopiens Regierungschef Abiy Ahmed eröffnete mit großem Pomp den „Grand Ethiopian Renaissance Dam“ (GERD), doch der bringt auch neue geopolitische Spannungen in Ostafrika.

Ein wenig erinnerte es an die Feier eines Nationaltages an einem lauen Sommerabend. Feuerwerkskörper schossen in den Himmel und verglühten in bunten Farben. Unzählige Drohnen stiegen wie Glühwürmchen in die Nacht und zeichneten Botschaften wie „geopolitischer Aufstieg“ und „Sprung in die Zukunft“ in den Himmel. Die Köpfe der Gäste drehten sich bewundernd zum Himmelszelt. Unter ihnen die Regierungschefs von Dschibuti, Südsudan und Kenia. Es sollte eine Show werden, die niemand vergessen würde. Eine Machtdemonstration.

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Was am 8. und 9. September mit Pomp gefeiert wurde, löst am Horn von Afrika Hoffnungen wie Sorgen aus: die Einweihung des „Grand Ethiopian Renaissance Dam“ (GERD). Die Feiern sollten zeigen, was dieser Damm für Äthiopien bedeutet. Seit 2011 wurde daran gebaut, seit 2022 laufen die ersten 16 Turbinen des Wasserkraftwerks, das aus dem Stausee gespeist wird, seit Juli ist der Bau abgeschlossen. Mit einer Länge von rund zwei Kilometern, einer Höhe von 145 Metern und einem Stausee, der mit 1.800 Quadratkilometern mehr als doppelt so groß ist wie Berlin, ist GERD der größte Staudamm Afrikas und einer der größten der Welt. Mit der Fertigstellung des Riesenprojekts soll die Stromversorgung in Äthiopien und darüber hinaus revolutioniert werden: Bislang hatte nur die Hälfte der Bevölkerung des Landes Elektrizität, der Staudamm soll die Stromversorgung verdoppeln und so zum Powerhouse der Region werden. Das Land hat bereits Verträge mit Kenia, dem Sudan und Dschibuti zum Export von Elektrizität unterzeichnet, mit anderen Ländern laufen noch Gespräche. Die Hoffnung: ein sprunghafter Entwicklungsschub für das in den zurückliegenden Jahren vom Bürgerkrieg geschwächte Äthiopien.

Ägypten sieht eine existenzielle Bedrohung

Der Bau des Staudamms ist nicht nur wegen seiner Größe, sondern auch wegen seiner Finanzierung ein Pionierprojekt in Afrika. Denn abgesehen von ein paar chinesischen Krediten, die ergänzende Infrastruktur wie Stromleitungen und Turbinen finanzierten, kam Äthiopien alleine auf für die Kosten des Baus, die sich auf rund vier Milliarden US-Dollar belaufen sollen. „Seit 2012 wird GERD vom äthiopischen Volk gebaut, mit unserem Geld, unserer Arbeitskraft und unserem Fachwissen“, sagte Aregawi Berhe, Generaldirektorin des Büros für öffentliche Beteiligung am GERD. Für ein Land, in dem das Wort „uns“ sonst vor allem in ethnischen Gruppen existiert, war der Staudamm auch ein Projekt, das einen Funken Nationalgefühl und Einheit entstehen ließ.

Doch was in Äthiopien Einheit schafft, schafft Spannungen mit anderen Ländern: Zwei Länder fehlten bei der Einweihungsfeier Anfang September, nämlich Ägypten und Sudan. Für sie ist die Fertigstellung kein Grund zu feiern, sondern stellt eine Bedrohung dar: Denn GERD staut den Blauen Nil auf, der in der Nähe der sudanesischen Hauptstadt Khartum mit dem Weißen Nil zusammenläuft und dann weiter nach Ägypten fließt. Die beiden Länder fürchten nun, dass der Damm ihre Wasserversorgung gefährden könnte. Seit Beginn des Baus im Jahr 2011 drängen sie darauf, ein Abkommen über den Wasserfluss zu schließen, doch bisher konnten sich die drei Staaten nicht einigen. Für Sudan ist der Damm Segen und Fluch zugleich: Denn einerseits wird der Damm wohl die Wasserversorgung des Landes, das sein Süßwasser zu 90 Prozent aus dem Nil bezieht, beeinträchtigen. Andererseits profitiert auch das ostafrikanische Land von günstiger Elektrizität aus dem Nachbarstaat. Und GERD könnte die regelmäßigen Überschwemmungen des Nils im Sudan eindämmen und so ermöglichen, dass neue Flächen bewirtschaftet werden können.

Ägypten sieht Projekt durchweg negativ

In Ägypten wird das Projekt dagegen durchweg negativ gesehen. Das Land, dessen Wasserversorgung sich zu 97 Prozent aus dem Nil speist, bezeichnet den Damm als „existenzielle Bedrohung“. Dass diese Sorge berechtigt ist, zeigt die Einschätzung des französischen Historikers Pascal Le Pautremat, GERD könnte im Laufe der Zeit die Wasserversorgung Ägyptens um 12 bis 25 Prozent reduzieren. Ägypten will dabei nicht tatenlos zuschauen: Es kündigte bereits an, auch eine militärische Reaktion nicht auszuschließen, um seine Wassersicherheit zu verteidigen. Meles Zenawi, Ex-Premierminister Äthiopiens, der den Bau des Staudamms vorangetrieben hat, geht davon aus, dass Ägypten das einstige Kaiserreich Äthiopien nicht direkt angreifen, sondern durch Verbündete zu destabilisieren versuchen würde.

Diesen Schachzug hat Ägypten bereits vollzogen: Mit Somalia schloss es eine Militärkooperation, die sowohl Waffenlieferungen als auch die Stationierung von Truppen vorsieht – zwar im Rahmen der „African Union Support and Stabilisation Mission in Somalia“ (AUSSOM) zur Bekämpfung der islamistischen Terrorgruppe al Shabaab, die die „African Union Transition Mission in Somalia“ (ATMIS) ablöst. Dennoch wird der Zug als klares Warnsignal an Äthiopien verstanden. Was Äthiopien als „Destabilisierung der Region“ verurteilte, ging jedoch auf eine eigene Initiative des Landes zurück: Denn Anfang 2024 anerkannte Äthiopien die Separatistenregion Somaliland als unabhängigen Staat – im Austausch für einen lang ersehnten Meereszugang, den Somaliland Äthiopien gewährte. Somaliland, das einst britische Kolonie war, während das südliche Somalia von Italien beansprucht wurde und daher eine eigene Währung, ein eigenes Rechtssystem, eine eigene Gesetzgebung und ein eigenes Steuersystem hat, buhlt seit 30 Jahren um internationale Anerkennung.

Somalia lehnt das jedoch strikt ab und bezeichnete die Anerkennung als Akt der „Aggression“. Das Land drohte, alle äthiopischen Truppen, die damals noch an AUSSOM beteiligt waren, zum Abzug aufzufordern und Äthiopien keine Beteiligung an der neuen Mission der Afrikanischen Union zu erlauben. Zwar wurde die Situation etwas entschärft, als Äthiopien und Somalia vergangenes Jahr vereinbarten, dass Äthiopien doch an AUSSOM beteiligt werde – ebenso aber Ägypten. Zwar stellt das ehemalige Kaiserreich ein größeres Kontingent mit 2.500 Soldaten; Ägypten stellt nur rund 1.000 zur Verfügung. Doch wie die schon lange verfeindeten Staaten effektiv in der Terrorbekämpfung zusammenarbeiten sollen, bleibt ein Rätsel. 

Äthiopien paktiert mit dem Iran

Die äthiopische Truppenpräsenz hat jedoch nicht erst seit der Anerkennung von Somaliland für aufgestaute Wut in der Bevölkerung gesorgt, vielmehr wird diese schon lange mit Argwohn betrachtet und spielt der Propaganda al Shabaabs in die Hände, dass Äthiopien das Land „besetzen“ würde. Zu tief hat sich ins Gedächtnis der Somalier eingebrannt, wie der Ogaden, eine überwiegend von Somali bewohnte Region im Osten Äthiopiens, Ende des 19. Jahrhunderts unter äthiopische Kontrolle gebracht wurde – zum Teil gegen den Widerstand somalischer Clans.

Neben Somalia hat Ägypten auch eine militärische Zusammenarbeit und die Mitteilung von Geheimdienstinformationen mit Eritrea vereinbart: ein Schritt, der von manchen Experten schon als „Einkesselung Äthiopiens“ gesehen wird. Während die beiden Nachbarländer Äthiopien und Eritrea noch kurz nach der Amtseinführung des äthiopischen Premierministers Abiy Ahmed in großen Schritten aufeinander zuliefen, ihre Botschaften neu eröffneten und neue Flugverbindungen aufnahmen, entfernen sich die Länder nun langsam wieder voneinander. 2021 half Eritrea seinem größeren Nachbarn noch dabei, die separatistische „Tigray People’s Liberation Front“ (TPLF) zu bekämpfen, doch als das Friedensabkommen zwischen der Regierung und der TPLF verhandelt wurde und Eritrea nicht an den Verhandlungstisch eingeladen wurde, begann die Beziehung zu bröckeln. Eritrea stellte sich folglich auf die Seite Somalias, als Äthiopien Somaliland als unabhängig anerkannte. Jetzt unterstützt es die TPLF offen. Als im März erneut eine bewaffnete Auseinandersetzung zwischen der Region Tigray und der Regierung drohte, warnte nicht nur der ehemalige Stabschef der äthiopischen Armee, General Tsadkan Bayru, dass dies ebenfalls einen Krieg mit Eritrea bedeuten würde und das ganze Horn von Afrika in eine tiefe Krise stürzen würde.

Äthiopien sucht Schulterschluss mit Iran

Äthiopien scheint auf diesen Fall nicht unvorbereitet zu sein: Als Antwort auf den zunehmenden Einfluss Ägyptens suchte das Land im Mai den Schulterschluss mit dem Iran. Es schloss ein Abkommen für die Bereiche „Sicherheit und Intelligenz“; was genau es beinhaltet, ist nicht bekannt. Das Mullah-Regime schickte aber bereits während des Krieges mit der Tigray-Region Drohnen an die äthiopische Regierung.

Dschibuti, ein winziges Land am Horn von Afrika, wo sämtliche Länder über maritime Stützpunkte verfügen, versucht, die Situation etwas zu entschärfen: Es bot Äthiopien die Nutzung seines Hafens in Tadjourah an. Bisher hat Äthiopien noch nicht auf dieses Angebot reagiert; laut der kenianischen Zeitung „The East African“ ein Zeichen, dass es Äthiopien nicht genügen könnte, den Hafen für kommerzielle Zwecke zu nutzen, sondern dass es ebenfalls einen militärischen Stützpunkt am Meer möchte – aber in Somaliland. Das alles zeigt: Das zum Amtsantritt von Ahmed noch für sein diplomatisches Geschick gekürte Äthiopien hat sämtliche Krisen am Horn von Afrika geschürt und steht nun zunehmend isoliert da. Eine falsche Handlung könnte zum Dammbruch in der Region führen.


Die Autorin ist Journalistin, Politikwissenschaftlerin und Afrika-Expertin.

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