Allmählich geht der amerikanische Präsidentschaftswahlkampf in die heiße Phase, die verbalen Scharmützel werden trotz pandemiebedingter Einschränkungen zahlreicher. Dass auch Glaube und Religiosität zu den dominierenden Themen gehören, zeigte sich jüngst an einem Frontalangriff des US-Präsidenten auf seinen demokratischen Herausforderer: Bei einer Veranstaltung im US-Bundesstaat Ohio warnte Donald Trump seine Unterstützer, Joe Biden wolle „eure Schusswaffen wegnehmen, den Zweiten Verfassungszusatz zerstören, keine Religion, kein gar nichts. Die Bibel verletzen, Gott verletzen. Er ist gegen Gott, er ist gegen Schusswaffen“, so Trump. Der Zweite Verfassungszusatz verbrieft das Recht der US-Bürger, Waffen zu besitzen und zu tragen.
Biden: Glaube ist "Grundpfeiler meines Lebens"
Prompt reagierte Biden, dessen Nominierung für die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten nur noch eine Formalität darstellt, auf die Kritik des US-Präsidenten: Wie für viele Menschen sei der Glaube stets „der Grundpfeiler meines Lebens“ gewesen, so Biden in einer Stellungnahme. Der Glaube habe ihm Trost in Zeiten von Verlust und Tragödien gespendet, erklärte der ehemalige Vizepräsident weiter. „Er hat mich Demut gelehrt in Zeiten von Triumph und Freude.“ In dieser Zeit „der Dunkelheit, des Schmerzes und der Teilung“ sei sein Glaube Wegweiser und eine dauerhafte Erinnerung an die „grundsätzliche Würde und Menschlichkeit, die Gott uns allen erteilt hat“. Biden nannte es „beschämend“ für Präsident Trump, seinen Glauben anzugreifen. „Das ist unter der Würde des Amtes, das er verkörpert, und es ist unter der Würde, die das amerikanische Volk völlig zu Recht von Personen in führenden Ämtern erwartet und verdient.“
Dass US-Präsident Trump seinen Widersacher auf dem religiösen Spielfeld attackiert, ist nicht verwunderlich. Seit einiger Zeit liegt er in mehreren Meinungsumfragen – auf nationaler wie auch auf bundesstaatlicher Ebene – weit hinter Biden. Religiöse Wähler stellen für Trump aber eine wichtige Zielgruppe dar, die im November wahlentscheidend sein kann. Der Amtsinhaber baut dabei insbesondere auf die Stimmen der Evangelikalen: Diese stimmten bei der letzten Präsidentschaftswahl 2016 zu 81 Prozent für den Republikaner. Aber auch 50 Prozent der Katholiken gaben damals Trump ihre Stimme. Jüngste Umfragen deuten darauf hin, dass Trump bei den kommenden Präsidentschaftswahlen nicht mehr mit Gewissheit auf die geschlossene Unterstützung seiner religiösen Kernwähler bauen kann.
Heute gilt er als Abtreibungsbefürworter
Was ist dran an Trumps Vorwürfen? Biden selbst bezeichnet sich als praktizierenden Katholiken; schon mehrmals sprach er bei Wahlkampfevents darüber, welch große Rolle der Glaube für ihn spiele. Insbesondere nach dem Tod seiner ersten Frau und des einjährigen Kindes im Jahr 1972 bei einem Autounfall habe ihm die Religion Halt gegeben. Und sie half ihm auch, den Krebstod seines Sohnes Beau im Jahr 2015 zu überwinden. Es ist belegt, dass Biden zuhause in Delaware regelmäßig die heilige Messe besucht. Aber der Obama-Vertraute hat einen wunden Punkt: Insbesondere in Fragen, die bei konservativen Christen hohen Stellenwert haben, wie etwa dem Lebensschutz, hat sich Biden in den letzten Jahren von der Lehre der katholischen Kirche entfernt.
Als er 1973 in den Senat einzog, übte er noch Kritik am Gerichtsurteil „Roe vs. Wade“. Heute gilt der 77-Jährige als Abtreibungsbefürworter und kündigte an, das umstrittene Grundsatzurteil noch fester gesetzlich verankern zu wollen. Gesetze zum Lebensschutz, die von einzelnen Bundesstaaten zuletzt sehr zahlreich verabschiedet wurden, wolle er allesamt stoppen. Seine Haltung zum Lebensschutz führte im Oktober 2019 sogar zu einem kleinen Eklat: Ein Pfarrer in der Stadt Florence im Bundesstaat South Carolina weigerte sich, Biden die Kommunion zu spenden. „Jede öffentliche Person, die Abtreibungen befürwortet, positioniert sich damit außerhalb der Lehre der Kirche“, lautete die Begründung des Geistlichen.
Die Freiheiten der Kirche könnte er massiv beschneiden
Joe Biden gilt zwar gemeinhin als moderat und derjenige Politiker unter den Demokraten, der am ehesten gemäßigte Republikaner der Mitte ansprechen kann. In einer demokratischen Partei, die von ihrer Grundausrichtung in den letzten Jahren immer weiter nach links gerückt ist, auch durch den Erfolg von Politikern wie Bernie Sanders, musste jedoch auch Biden sein Profil zumindest teilweise nach links anpassen, um sich überhaupt erst im parteiinternen Ausscheidungskampf durchsetzen zu können. Beobachter warnen zudem davor, Biden könne im Falle eines Wahlsiegs die Freiheiten der Kirche in den USA massiv beschneiden. Brian Burch, Vorsitzender der katholischen Lobbyorganisation „Catholic Vote“ erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur „CNA“, katholische Krankenhäuser, Schulen und Wohltätigkeitseinrichtungen könnten unter Präsident Biden gezwungen werden, entweder gegen ihre religiösen Prinzipien zu verstoßen oder gleich ganz zu schließen. „Hunderte Millionen Dollar an staatlichen sowie bundesstaatlichen Zuschüssen, die den Armen und Verletzlichen zugutekommen, stehen auf dem Spiel“, so Burch. Ein Beispiel für diese These wäre etwa Bidens Ankündigung, die „Little Sisters of the Poor“ wieder unter das „Verhütungsmittelmandat“ zu stellen. Der Schwesternorden ist derzeit davon ausgenommen, Mitarbeitern der von ihnen geführten Einrichtungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung Verhütungsmittel zur Verfügung zu stellen.
Während manch ein Kritiker auf christlicher Seite den demokratischen Präsidentschaftsbewerber aufgrund solcher Positionierungen für unwählbar hält, betont Biden hauptsächlich die sozialpolitischen Aspekte, die sein Glaube beeinflusse: „Mein Glaube lehrt mich, Fremde willkommen zu heißen, während Trump Familien auseinanderreißt.“ Und er lehre ihn auch, für die Bedürftigsten der Gesellschaft zu sorgen, während Präsident Trump nur an seine „betuchten Freunde“ denke.
Auf die Wählermobilisierung kommt es an
Unter US-Katholiken hat Joe Biden Anhänger wie auch Gegner, die kaum gewillt scheinen, jeweils zum anderen Lager überzuwechseln. Daher wird es für Trump wie auch für Biden hauptsächlich darauf ankommen, ihre Wähler so gut wie möglich zu mobilisieren. Zumindest bei den Trump-Anhängern kommen verbale Frontalangriffe dabei gut an. Das hat sich ja auch schon 2016 gezeigt.
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