Kosovo: Auf ewig Serbiens Golgotha?
Von 115 UN-Mitgliedern als souveräner Staat anerkannt, gilt der Kosovo mit seinen 1,9 Millionen Einwohnern dem Nachbarn Serbien weiter als unaufgebbarer Teil der eigenen Identität. Die serbische Orthodoxie sieht den Kosovo als Wiege des Serbentums und Serbiens Golgotha; Serbiens Politik hält die Anerkennung der kosovarischen Eigenstaatlichkeit für völkerrechtswidrig und schürt die Angst vor einem "Großalbanien" (durch Vereinigung von Kosovo und Albanien). Serbiens Verfassung geht in der Präambel davon aus, "dass die Provinz Kosovo und
Metochia ein Bestandteil des Gebietes Serbiens ist". Der Kosovo ist Mitglied im Internationalen Währungsfonds, aber nicht der Vereinten Nationen. Gut 90 Prozent der Einwohner sind ethnische Albaner, höchstens fünf Prozent Serben. Dennoch ist die oft "Altserbien" genannte Region für die politische Klasse in Belgrad Dreh- und Angelpunkt aller Propaganda und Agitation. Serben und Albaner erzählen die Geschichte, vor allem die Leidensgeschichte der jüngsten Jahrzehnte, völlig konträr.
Republika Srpska: Sprengstoff für Bosnien
Der massenmörderische Versuch, auf den Trümmern des kommunistischen Jugoslawiens ein Großserbien zu errichten, endete in Bosnien-Herzegowina 1995 nicht mit einem gerechten Frieden, sondern mit einem Kompromiss. Die Erben der Kriegsverbrecher Radovan Karadzic und Ratko Mladic bekamen 49 Prozent des Staates: die "Republika Srpska" (RS).
Deren Führung bemüht sich, die Funktionsfähigkeit des Gesamtstaates Bosnien-Herzegowina zu behindern und die RS aus dem Staatsverband zu lösen. Das offizielle Ziel ist die Eigenstaatlichkeit, das tatsächliche der Anschluss an Serbien. Putin gilt hier - wie in Belgrad - als verlässlicher Pate der serbischen Interessen auf dem Balkan. Der unumstrittene Boss der Serben Bosniens, Milorad Dodik, pflegt engste Kontakte nach Moskau und wartet nur auf den richtigen Moment, die Unabhängigkeit von Sarajevo auszurufen obwohl er selbst einer der drei Präsidenten Bosnien-Herzegowinas ist. Dabei ist der "Hohe Repräsentant" (derzeit Christian Schmidt) sein größter Widersacher.

Transnistrien: Moskaus Fuß zwischen Moldau und Ukraine
Völkerrechtlich gehört Transnistrien zur Republik Moldau, doch tatsächlich hat Russland seit 30 Jahren hier das Sagen. Der schmale Landstreifen zwischen Moldau und der Ukraine ist Moskaus Fuß in der Türe: Als von niemandem anerkannte, bettelarme Republik von Putins Gnaden leistet sich das abgespaltene Transnistrien eine eigene Regierung, Währung und Armee. Mindestens 1.500 russische Soldaten und zehnmal so viele moskautreue Paramilitärs sind in dieser Region stationiert. Von ihnen geht nicht nur eine akute Gefahr für die Ukraine, sondern auch für Moldau aus. Während sich die Republik Moldau jetzt intensiv um den Status eines EU-Beitrittskandidaten bemüht, hat Transnistrien in gehorsamer Abstimmung mit Moskau 2014 offiziell den Beitritt zur Russischen Föderation beantragt. Durch den Krieg in der Ukraine ist der Keil zwischen Moldau und seinem abgespaltenen Landesteil nochmals größer geworden.

Südossetien: Russland greift nach georgischem Gebiet
Wie Transnistrien Moskaus Beutezug gegenüber der Republik Moldau einleitete, so sind Abchasien und Südossetien Russlands Beute in Georgien. Völkerrechtlich gehören nämlich beide Regionen zu dem christlichen Kaukasus-Land Georgien. Die Präsenz russischer Truppen hat sie jedoch dem Zugriff der Georgier entzogen. Abchasien betrachtet sich seit 1994 als unabhängig, ist faktisch jedoch ein Protektorat Russlands. Südossetien wurde nach dem russisch-georgischen Krieg im Sommer 2008 von Moskau als souveräner Staat anerkannt, später auch von Nicaragua, Venezuela und Syrien. Eine massive russische Militärpräsenz sichert offiziell den Status quo und faktisch die Herrschaft Putins in der Region. Während der russischen Invasion in der Ukraine bekräftigte der "Präsident" Südossetiens, Anatoli Bibilow, im März sein Ziel einer Eingliederung in die Russische Föderation. Am 17. Juli soll nun ein (völkerrechtswidriges) Referendum über den Beitritt Südossetiens zu Russland stattfinden.
Karabach: Zankapfel zwischen Armenien und Aserbaidschan
Die Region, die die Russen "Nagorny Karabach" und die Armenier "Arzach" nennen, ist eine mehrheitlich von Armeniern besiedelte, großteils von Aserbaidschan kontrollierte Region im Kaukasus. Weil Armenien historisch und kulturell christlich geprägt ist, während Aserbaidschan mehrheitlich schiitisch ist, wird der nationale Konflikt oft als Religionskrieg dargestellt. Tatsächlich sind beide Länder stark säkularisiert, aber äußerst geschichtsbewusst. Die militärischen Auseinandersetzungen zwischen beiden Staaten um diese Region haben viel mit dem jeweiligen Identitätsbewusstsein zu tun. Seit dem jüngsten Krieg 2020 kontrolliert Baku einen Großteil von Bergkarabach. Die armenische Bevölkerung wird hier vertrieben, ihr kulturelles Erbe gezielt vernichtet. Während sich Aserbaidschan als Bruderstaat der Türkei versteht, fürchten die Armenier traumatisiert vom Genozid 1915/16 die Türken und hoffen auf den Schutz der Russen. Moskau gab sich in dem Konflikt vielfach als Schiedsrichter und Schlichter, belieferte jedoch beide Seiten mit Waffen.
Kurilen: Russlands japanische Kolonie
Russland und Japan sind offiziell bis heute im Kriegszustand. Das liegt daran, dass die Sowjetunion am Ende des Zweiten Weltkriegs die zu Japan gehörenden Inseln des Kurilen-Archipels besetzte und annektierte - und Russland diese Inseln bis heute nicht an Japan zurückgegeben hat. Tokio wäre in den 1950er Jahren kompromissbereit gewesen, doch kam es zu keiner Einigung. Strittig sind bis heute die Inseln Etorofu, Kunashiri, Shikotan und die Inselgruppe Habomai. Japan spricht von seinen "nördlichen Territorien", Russland rechnet die "Kurilski" zum Oblast Sachalin. Angesichts des Kriegs gegen die Ukraine bekräftigte die Regierung in Tokio im März, dass die russisch besetzten Kurilen ein "fester Bestandteil" Japans seien, während Moskau weitere Friedensgespräche mit Japan wegen dessen "offen feindseliger Haltung" ablehnte. Tokio, das sich den westlichen Sanktionen gegen das System Putin anschloss, sprach zuletzt von "japanischen Territorien, über die Japan Souveränitätsrechte besitzt, die aber derzeit illegal von Russland besetzt sind".

Taiwan: Im Visier des kommunistischen Chinas
Wie Russland die Ukraine nicht für eine eigenständige Nation mit Recht auf einen eigenen Staat hält, so bestreitet die Volksrepublik China das Existenzrecht Taiwans. Achttausend Kilometer östlich des ukrainischen Kriegsschauplatzes blickt man nun mit Bangen auf die Invasion Putins - und auf die westlichen Reaktionen darauf. US-Präsident Joe Biden bekennt sich dazu, Taiwan nötigenfalls auch militärisch beizustehen. Wenn Peking die Gelegenheit, Taiwan zu überfallen, bisher nicht genutzt hat, dann vielleicht nur, weil der Westen gegen Putin eine überraschende Härte und Einigkeit zeigt. Den Taiwanern, die seit 1996 von der Diktatur zur pluralistischen Demokratie übergingen, ist klar: Chinas Eroberung würde ihrer Rechtsstaatlichkeit, Meinungs- und Religionsfreiheit sowie der Sprachenvielfalt ein Ende setzen. Dass Peking auch 73 Jahre nach dem Rückzug der antikommunistischen Kuomintang unter Chiang Kai-shek auf die Insel Taiwan nach einer "Wiedervereinigung" (also Okkupation) strebt, daran lässt Xi Jinping keinen Zweifel.
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