Politik

Wenn das Heilige politisch wird

Der Präsident des Jerusalemer Obersten Islamrates hat die Klagemauer als ausschließlich islamisches Heiligtum bezeichnet. Dahinter steht eine politische Strategie. Eine Analys. Von Till Magnus Steiner
Trumps Stationen in Israel - Klagemauer
Foto: dpa | Betende Juden an der Klagemauer. Sie ist die wichtigste heilige Stätte der Juden.

Die Klagemauer gehöre den muslimischen Gläubigen weltweit und es gebe keine jüdischen Besitzrechte an dieser Stätte. Dies hat der Präsident des Obersten Islamrats in Jerusalem, Scheich Ikrima Sabri, in einer islamischen Rechtsauslegung, genannt Fatwa, erklärt. Die israelische Nachrichtenseite Arutz 7 berichtete vergangene Woche, er bestreite, dass irgendein Stein dieser für das Judentum heiligen Stätte eine Verbindung mit der jüdischen Geschichte hätte. Zudem fordere er, dass die Mauer nur mit ihrem arabischen Namen, Al-Buraq, bezeichnet werden solle. Gemäß muslimischer Tradition hat der Prophet Mohammed nach seiner im Koran berichteten Nachtreise von Mekka zu „der fernen Kultstätte, deren Umgebung wir gesegnet haben“ (Sure 17 Vers 1), sein mythisches, pferdeähnliches Reittier, genannt Buraq, auf dem Tempelberg auf der anderen Seite dieser Mauer festgemacht. Heute gilt der gesamte Tempelberg, samt der Mauern, im muslimischen Verständnis als eine Moschee. So beanspruchte die islamische Stiftung, die sogenannte Waqf-Behörde Jerusalem, der Israel die Verwaltung des Tempelbergs nach der Eroberung der Jerusalemer Altstadt 1967 übertragen hatte, zum Beispiel im vergangenen Juli einen Steinblock, der sich aus der Mauer gelöst hatte. Und im Hintergrund der Fatwa liegt der offizielle Protest der Waqf-Behörde im Januar gegen eine von Israel aufgebaute Stütze der Mauer. In diesem Streit hatte auch das jordanische Außenministerium Protest eingelegt. Israel versteht die Befugnisse der Waqf-Behörde jedoch auf das Tempelareal beschränkt.

Auch innerislamische Konflikte

Diese Vorgänge unterstreichen: Die Geschichte hat die beiden Heiligtümer des Judentums und des Islam eng miteinander verbunden. Aufgrund des politischen Konflikts wird diese Verbindung jedoch politisch nicht nur relativiert, sondern verneint. Heilige Stätten im Heiligen Land sind immer auch politische Konfliktherde. Und die Herrschaft über den Tempelberg ist auch innerislamisch umstritten. Yoni Ben-Menachem, ein erfahrener Nahost-Analyst des Jerusalemer Center for Public Affairs, erklärte in einem exklusiven Interview mit der israelischen Zeitung „Israel Hayom“, dass die palästinensische Autonomiebehörde und die jordanischen Regierung einen gemeinsamen Rat einrichten werden, um fortan gemeinsam den Tempelberg und weitere muslimische, heilige Stätten in Jerusalem zu verwalten. Seine Worte wurden bereits von einem hochrangigen, palästinensischen Politiker bestätigt.

Beide Seiten befürchten, dass der US-Friedensplan für den israelisch-palästinensischen Konflikt, der Anfang April veröffentlicht werden soll, die Übertragung der Verantwortung für den Tempelberg auf einen gemeinarabisch-islamischen Rat vorsehe, und so Saudi-Arabien Zugriff auf die Al-Aqsa-Moschee erlangen könnte.

Historisch verbunden, politisch getrennt

Was macht den Tempelberg zu so einem bedeutsamen Ort? Ein Blick in die wechselhafte Geschichte eines Ortes, der die heiligste Stätte des Judentums und die drittheiligste des Islams beherbergt. An keinem anderen Ort sind die Geschichte des Judentums und des Islams gleichzeitig so eng vereint und doch deutlich getrennt.

Die Klagemauer ist ein Stück der von König Herodes im Westen des Tempelbergs errichteten Repräsentations- und Stützmauer. Im Jahre 20. v. Chr begann er den bestehenden jüdischen Tempel zu renovieren und zu vergrößern. An der Klagemauer sind heute noch sieben Lagen der herodianischen Steinquader zu sehen, aus denen er die Mauer bauen ließ. Nach der Zerstörung des Tempels im Jahre 70 n. Chr. verfiel die Mauer langsam, der obere Teil fiel herab und ließ Trümmerhaufen zurück, die am südlichen Ende der Mauer in einem archäologischen Park zum Teil noch zu sehen sind. Heute sieht man über den herodianischen Lagen vier dicke Steinreihen aus spätrömischer oder muslimisch-umayyadischer Zeit. Die 15 schmalen, darauf liegenden Mauerreihen wurde in der osmanischen Zeit hinzugefügt. Die erste Erwähnung einer heiligen jüdischen Stätte am Tempelberg nach der Zerstörung des Tempels findet sich in einem christlichen Pilgerbericht aus dem Jahr 334 n. Chr. Der Pilger aus Bordeaux berichtet darin von einer jährlichen Trauerzeremonie, in der Juden „mit Seufzen wehklagen, ihre Kleider zerreißen und dann wieder gehen“. In der jüdischen Traditionsliteratur setzte sich ab dem 5. Jahrhundert n. Chr. der Gedanke durch, dass Gott trotz der Zerstörung des Tempels weiterhin an dieser Stätte seinem Volk nahe sei. In frühislamischer Zeit erhielten die Juden wieder freien Zugang zu Jerusalem. Da die Westmauer des Tempelareals die für sie am nächsten zum ehemaligen Standort des Allerheiligsten zugängliche Stätte war, konzentrierten sich dort die religiösen Zeremonien. Der osmanische Herrscher Süleyman der Prächtige sprach den Juden dann im 16. Jahrhundert ein Stück der Westmauer für die Ausübung ihrer religiösen Bräuche zu. An diesem Stück konzentrierte sich das Gebet der trauernden und pilgernden Juden und dieser Ort wurde zu der heute als Klagemauer bekannten, heiligsten jüdischen Stätte am Fuße des Felsendoms.

Konkurrenzkampf mit Byzanz

Und auch die Geschichte des Felsendoms ist eng verbunden mit der Geschichte des Judentums als auch des Christentums. Der sich auf dem Tempelberg befindende Felsendom neben der Al-Aqsa-Moschee ist bereits architektonisch bemerkenswert. Er ist nicht als Moschee gebaut, sondern gleicht einem Gedächtnisort im römisch-byzantinischen Stil. Darauf hat vor kurzem die israelische Wissenschaftlerin Milka Levy-Rubin nochmals hingewiesen.

Sie argumentiert in einem wissenschaftlichen Artikel, dass der Bau des Felsendoms durch den Kalifen Abd al-Malik ibn Marwan zwischen 687 und 691 n. Chr. unter anderem auf dem Hintergrund des Machtkampfes zwischen dem muslimischen Kalifat und dem byzantinischem Reich, also zwischen Konstantinopel und Jerusalem, verstanden werden muss: „Im Mittelpunkt dieses Konkurrenzkampfes standen zum einen der Felsendom, eine muslimische Version des Tempels von Salomo, die dazu gedacht war, die Ehre des gedemütigten Tempels in Jerusalem wiederherzustellen, und auf der anderen Seite ein hochmütiges Konstantinopel, das sich mit der Hagia Sophia in ihrem Zentrum als neues Jerusalem ausgab – eine außergewöhnliche Kirche, die über anderthalb Jahrhunderte zuvor von Justinian prächtig aufgebaut wurde und als Nachfolgerin des Tempels verstanden wurde.“ Die meisten Forscher sind sich heute einig, dass die ursprüngliche Motivation für die muslimische Heiligung des Tempelbergs und den Bau der muslimischen religiösen Bauten die Rückkehr an den geheiligten Ort des jüdischen Tempels war, der von den Christen als Beweis ihrer Überlegenheit gegenüber dem Judentum in Ruinen liegengelassen worden war. Verschiedene frühe muslimische Quellen berichten vom Schmerz der Juden über die Zerstörung des Tempels und erwarten seine Wiederherstellung durch die Muslime. Eine wichtige Quelle hierfür sind die sogenannten Lobpreisungen Jerusalem, Fad'a il Bayt al-Maqdis, die in die zweite Hälfte des 7. Jahrhunderts n. Chr. verweisen.

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