Ja ist denn schon wieder Weihnachten?“ so lautet ein bekanntes Zitat aus einer früheren Werbebotschaft des Fußballkaisers Franz Beckenbauer. Jetzt muss man offenbar bereits Ende Oktober feststellen, dass Weihnachten begonnen hat. An die seit einigen Wochen die Auslagen der Supermärkte zierenden weihnachtlichen Süßigkeiten haben wir uns ja schon gewöhnt. Nun verschiebt sich aber auch die Anfangszeit der Weihnachtsmärkte immer mehr in herbstliche Gefilde . Im Essener Stadtteil Steele hat etwa der Straßenkommerz mit Glühwein und Street-Food-Buden jetzt bereits am 3. November begonnen.
Kommerz statt Christi Geburt
„Weihnachtsmärkte waren immer schon Konsumveranstaltungen – wenn auch meistens besonders schöne“, heißt es dazu aus dem Bistum Essen. Realistisch sei die Feststellung, dass solche Märkte für viele Kommunen inzwischen ein wichtiges Marketinginstrument seien, um in Zeiten des zunehmenden Online-Handels und leerstehender Geschäfte in den Innenstädten, Menschen in die City zu locken. „Doch auch viel Tannengrün, bunt blinkende Lichter und sonstiger Weihnachtskitsch können nicht darüber hinwegtäuschen, dass Weihnachten Anfang November einfach noch nicht dran ist. Das spüren auch viele Nicht-Christen“, erläutert der Essener Bistumssprecher Ulrich Lota gegenüber der Tagespost.
Es sei allerdings nicht die Aufgabe des Bistums, mit erhobenem Zeigefinger anderen Menschen etwas zu verbieten, was sie möglicherweise erfreue. „Unsere Aufgabe als Christinnen und Christen ist es aber - bei all dem Kommerz und Konsum - darauf hinzuweisen, dass Weihnachten nicht irgendeine kulturelle Lichtfeier am Jahresende ist, sondern das Fest der Geburt Jesu.“ Beim „Internationalen Weihnachtsmarkt“ in der Essener City, der auch bereits am 12. November beginnt, werde es auch in diesem Jahr zahlreiche Angebote geben, mit denen die christlichen Kirchen die Veranstaltung bereichern. Die Essener Stadtverwaltung hat übrigens offenbar kein Problem mit dem Frühstart der Märkte. „Eine Behörde hat keine Befugnisse, eine Veranstaltung aus inhaltlichen Gründen nicht zu genehmigen“, heißt es dazu aus der kommunalen Pressestelle der Stadt.
Nass: „Sinnentleertes Kulturchristentum“
„So genannte Weihnachtsmärkte von Oktober bis Januar haben mit dem christlichen Sinn von Weihnachten nichts zu tun. Sie sind allenfalls Ausdruck eines sinnentleerten Kulturchristentums“, betont der Sozialethiker Elmar Nass gegenüber der Tagespost. Heimelige Musik und Atmosphäre seien vom christlichen Sinn abgelöst und wirkten wie museale Relikte vergangener Zeit. Die Weihnachtsmärkte würden sich insoweit in die gleiche Richtung entwickeln, wie zuvor die Kirchmess oder Kirchweihfeste, die vor Ort meist mit dem religiösen Ursprung nichts mehr zu tun hätten.
Die heutige Form der Weihnachtsmärkte erfülle, so Nass, neben der Kommerzankurbelung einen weiteren Zweck. Gerade in Krisenzeiten könnten die Märkte als politische Instrumente des sozialen Friedens wirken. „Die schöne Stimmung ist eine willkommene Ablenkung vom Alltag und entführt die Menschen in eine Märchenwelt. Eine solche Alltagsflucht kann Balsam sein für aufgewühlte Herzen und Seelen, sofern die Hektik der Märkte diesen Effekt nicht wieder zerstört“, ergänzt der Prorektor der Kölner Hochschule für Katholische Theologie.
"Wie wäre es mit einem ,Jesu-Geburtstags-Markt?"
Man könne sagen, es wäre aus christlicher Sicht schön, dass sich wenigstens in den Worten noch das Christliche tradiere. „Da ist aber nur dann etwas dran, wenn dieser Wortstamm ernsthaft als ein Gewissensspiegel genutzt wird, mit dem Anspruch und Wirklichkeit miteinander verglichen werden. Und wenn uns dadurch der inhaltliche Kulturverfall vor Augen gehalten wird“, beschreibt Elmar Nass. Er sehe aber derzeit keine Instanzen, die diesen Spiegel so in die Hand nehmen würden. Der Begriff „Weihnachtsmarkt“ kann sicherlich nicht vor einer säkularen Entkernung markenrechtlich geschützt werden.
Das bringt Elmar Nass auf den Gedanken, vielleicht einmal von christlicher Seite ein neues Format zu entwickeln, das man dann auch schützen lassen könne. „Wie wäre es mit einem ,Jesu-Geburtstags-Markt‘“, fragt der Theologe. Dieses Siegel könne dann nur eine Veranstaltung erhalten, die bestimmte Fristen der Öffnung einhält, ein Mindestmaß an biblischem und liturgischem Programm mit einbaut, bewusst christliche Symbole einsetzt und nur ein dem Fest angemessenes Verkaufssortiment anbietet. Das wäre das Ende der Weihnachtsmänner und der Ramsch- und Esoterikangebote auf den heutigen Märkten. In dieser Abgrenzung wäre dann erkennbar, auf welchem Markt es noch wirklich um Weihnachten geht und wo nicht
Weihnachtliche Missionare werden gebraucht
Nass konstatiert, dass das Bewusstsein für den eigentlichen Inhalt von Weihnachten immer mehr schwinde, wie auch das Christentum in unserer Gesellschaft insgesamt zunehmend an Bedeutung verliere. „Dieser Entwicklung müssen Christen entgegentreten. Der richtige Weg dazu ist es, dass wir in unserem Selbstverständnis weniger auf säkulare Sozialpolitik, Strukturfragen und Selbstbespiegelung setzen als vielmehr darauf, den Menschen unserer Zeit die geöffnete Tür zur Transzendenz zu zeigen, die zu Weihnachten weit offenstehe“, erläutert der Professor. Glaubende Christen seien zu weihnachtlichen Missionaren berufen.
Das bedeute, gerade jetzt von ihrem Glauben Zeugnis abzulegen, dass Gott wirklich Mensch geworden sei. Und davon, was dieser persönliche Glaube für ihr Leben ganz konkret bedeute. „Rein politische Predigten und Botschaften dagegen lassen die weihnachtlich offene Tür links liegen. Die weisen den falschen Weg in ein verblasstes Kulturchristentum. Wir aber sollten der frohen Botschaft von Weihnachten Farbe und Stimme und Weg sein.“
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