In der Marinetechnikschule (MTS) in Parow bei Stralsund werden Spezialisten ausgebildet. Frauen und Männer der Bundeswehr, die Schiffstechnik, Waffenelektronik und den seemännischen Dienst beherrschen. Das IT-Handwerk steht hier ganz oben an. Denn ein Schiff funktioniert nur, wenn es als System funktioniert: Es muss laufen. Zum Schulbetrieb der jungen Soldatinnen und Soldaten gehört aber gerade deshalb auch eine ethische Ausrichtung, die mit dem „Lebenskundlichen Unterricht (LKU)“ gefestigt werden soll: Eine Auseinandersetzung mit Fragen gesellschaftlicher Werte, Leben und Tod. Ein Kompass sozusagen. Im Dienstplan eines Soldaten steht die Maßnahme eigenständig neben der politischen Bildung, die als staatsbürgerlicher Unterricht gilt. Das unterstreicht, die Bundeswehr legt hohen Wert auf eine ethische Konditionierung ihres Personals.
Von der Kunst des Krieges
Corona bedingt haben sich am Mittag nur fünf Kameraden und eine Kameradin im Schulungsraum der Militärseelsorge versammelt. Militärpfarrer Carsten Süberkrüb unterrichtet schon seit 2014 an der Schule, unterstützt durch seinen Pfarrhelfer Sven Groth. Süberkrüb stellt ein zunächst ungewöhnlich klingendes Thema vor: Die Kunst des Krieges. Eine jahrtausendealte chinesische Abhandlung über militärische Taktik des Generals und Philosophen Sun Tsu. Heute soll sie zeigen, wie man sich durchsetzt und eine kriegerische Auseinandersetzung gewinnt.
Süberkrüb zieht eine Parallele zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Die Vorbereitung der Soldaten war auch dort vom jeweiligen Auftrag abhängig. Die aktuelle Situation vor Ort konnte man oft nur erahnen, aber gerade deshalb galt es, einsatzspezifisch und auf das Land bezogen Informationen an die Einsatzkräfte zu geben. Ethisch sei es sehr sensibel, wenn ein Soldat in Kabul entscheiden müsse, wen weise ich ab, wen lasse ich zu den Flugzeugen durch? Vor allem, er müsse wissen, was er will.
Frau Bootsmann K. stimmt dem zu. Verlässlichkeit bei Zusagen sei ihr am Wichtigsten. Alles andere folge dann. „Alles muss sich ausgleichen. Ich habe etwas gut.“ Das Leben, ein Deal wie bei Donald Trump? Süberkrüb scheint dabei nicht ganz mitzugehen, aber bewertet die Aussagen nicht. Der Militärpfarrer will auf etwas anderes hinaus: Jeder Soldat müsse wissen, was er will. Es sei vor allem wichtig, dass er sich selbst kenne, auch die schwachen Seiten. „Dann wirst Du auch in 100 Schlachten nicht in Gefahr geraten“, zitiert er den chinesischen General. Bootsmann J. hat da schon seine eigenen Erfahrungen gemacht: Man lerne in der Bundeswehr, wie man „das Leben in der Lage“ bewältigt. Mit Unzulänglichkeiten zurecht zu kommen, das sei der Alltag. „Der Laden läuft, weil wir uns an vieles nicht halten“, resümiert er.
Das Prinzip "Führen durch Vorbild"
Dass alles läuft, dafür ist der Kapitän zur See zuständig. Er sorgt für eine solide Ausbildung: Stephan Fiebig ist promovierter Ingenieur. Als stellvertretender Kommandeur am Standort weiß er mit den jungen Soldatinnen und Soldaten umzugehen. „Wir arbeiten mit dem Prinzip „Führen durch Vorbild‘“, sagt er im der Schulung vorausgehendem Gespräch. 700 Auszubildende zählt die maritime Schule in der Regel. „Der LKU gehört zu unserem Schulbetrieb, er ist wichtig für die Prägung von Menschen.“ Es gebe aber keine Konkurrenz zum Unterricht „Politische Bildung“, der von den dienstvorgesetzten Offizieren erteilt werde. Wichtig ist Fiebig auch, dass niemand in der Technikschule seinen Beruf als „Nine -to -five-Job“ betrachtet. Er wünsche sich zwar bei Entscheidungen gerne mehr Freiräume und weniger Bürokratie, aber generell zähle die innere Überzeugung. Zudem: „Wir sind eine Parlamentsarmee und machen das, was Parlament und Regierung wollen.“
Zur Situation in Afghanistan äußert Fiebig sich mit militärischer Zurückhaltung: Die Lage sei nicht einfach. „Was erwarten die, die in Kabul auf den Hubschrauber zum Flughafen warten: Die holen dich da raus!“ Doch es bleibe immer eine ethische Herausforderung für den Soldaten, wenn er jemanden abweisen müsse. Ein Dilemma. Da ist es gut, dass Militärpfarrer Süberkrüb die Rolle der Bundeswehr in Afghanistan als „Exekutive der Politik“ benennt. „Wenn Ziele nicht klar sind, dann lasst das bitte“, sagt er zu den mangelhaften Vorgaben der Politik und meint damit zugleich seine Bootsmänner.
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