Ein Gespenst geht um in Deutschland, nicht das des Kommunismus, sondern eines plötzlichen Friedens mit Russland. Und dieser steht nicht im Zusammenhang mit Ostern. Es geht schließlich um nichts weniger als um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, der die nach 1945 aufgebaute Friedensordnung in Europa auf einen schweren Prüfstein stellt. Es geht auch um den Westen. Schließlich ruft auch das kommunistische und imperialistische China zum Waffenstillstand auf.
Bildung einer Querfront
Nun tut sich eine Querfront auf. Diese basiert auf einem sogenannten Manifest, das Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer aufgesetzt haben. Erstere ist als Kommunistin, einst auch Stalinistin, eine prominente Politikerin der Linken, Zweitere eine bekannte Feministin. Wagenknecht kann ihren Zynismus über die Opfer aus der Ukraine im Tages- oder Wochenmodus im öffentlich-rechtlichen Rundfunk verbreiten. Sie sagt auch: „Wenn von China, wie vorher von Brasilien oder dem Vatikan, Verhandlungen gefordert werden, dann sollte man das unterstützen statt jetzt über Kampfjets zu diskutieren.“ Der Verweis auf den Vatikan ist besonders perfide, zeichnet sie doch die Ukraine als Land, das es nicht wert sei, unterstützt zu werden: „Der ukrainische Oligarchenkapitalismus, der genauso korrupt ist wie der russische, kämpft angeblich für unsere Freiheit und unsere Demokratie“, sagte sie etwa. Aus dem Opfer machte sie einen Täter, denn natürlich fehlte in Wagenknechts Rede nicht eine Anspielung auf die russische Legende, die Ukraine sei faschistisch.
Über eine halbe Million Menschen haben den Appell unterzeichnet. Zu den Unterzeichnern gehört der AfD-Co-Vorsitzende Tino Chrupalla. Auch der ehemals prominente CSU-Politiker Peter Gauweiler zählt kurioserweise dazu. Ebenso der ehemalige General Erich Vad, der einst in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und später als militärischer Berater unter Bundeskanzlerin Angela Merkel fungierte. Vad sprach nun auch vor dem Brandenburger Tor, wo sich am vergangenen Samstag rund 13.000 Menschen versammelten, weniger als allgemein erwartet wurde. Wagenknecht selbst sah das anders, sie sah 50.000, wie sie verlautbaren ließ. Ein gewisser Größenwahn ist ihr also nicht fremd.
Im Kern geht es darum, der Ukraine keine weiteren Waffen mehr zu liefern und sie damit der russischen Aggression schutzlos auszuliefern. Momentan scheint es illusorisch, an irgendeine Art von Frieden zu denken. Zu brutal ist die russische Aggression mit jedem Tag, die übrigens bereits 2014 mit dem Einmarsch auf der Krim und der Besetzung ostukrainischer Gebiete startete. Vertreter der AfD und der Linken waren dann geschätzte Interviewpartner für Sender wie Russia Today. Aufschlussreich ist es zudem, die Beiträge im staatlichen russischen Propagandafernsehen zu sehen. Die Allianz zwischen AfD und Linker zeichnete sich bereits bei Abstimmungen im Deutschen Bundestag ab, wenn es etwa um Waffenlieferungen ging.
Anknüpfung an sogenannte Friedensbewegung der 1980er
Und ausgerechnet jetzt, im Kontext des ersten Jahrestags, finden vor dem Brandenburger Tor Friedensdemonstrationen statt. Gerade Wagenknecht hat sich zu einer Hoffnungsträgerin der extremen Rechten entwickelt, die den Ball dankbar aufnimmt. Björn Höcke, der „Rechtsausleger der AfD“, lächelt bereits neben einer Friedenstaube und kündigt „Frieden schaffen ohne Waffen” an. In Bundesländern wie Thüringen gibt es dafür Zuspruch. In Umfragen ist dort die Höcke-AfD stärkste Partei, gefolgt von der Linken. In der Propaganda um den Frieden gibt es einige gefährliche Denkfehler.
Hier wird an eine fatale Tradition der sogenannten Friedensbewegung in der alten Bundesrepublik aus den 1980er Jahren angeknüpft. Dafür steht auch Wagenknechts Ehemann Oskar Lafontaine, der seine Ehefrau bei der Demonstration am Brandenburger Tor begleitet hat. Der frühere SPD-Vorsitzende und spätere Co-Gründer der Linken veröffentlichte 1983 das Buch „Angst vor den Freunden. Die Atomwaffenstrategie der Supermächte zerstört die Bündnisse“. Er argumentierte damals, die USA greife zu einer neuen Strategie der nuklearen Kriegsführung; ein Atomkrieg in Deutschland sei die schreckliche Vision.
Teilweise von der Deutschen Demokratischen Republik finanziert, wurde von der damaligen Friedensbewegung wie jetzt im Manifest die „Angst vor dem Atomtod“ beschworen. Die DDR selbst gilt nun postfaktisch als Friedensstaat. Als Folge der Diskussion um den NATO-Doppelbeschluss sah man damals dort die Gelegenheit für eine übergreifende Friedensbewegung und die Möglichkeit, einen Zugriff auf die außerparlamentarische Protestbewegung in der Bundesrepublik zu bekommen – im Hintergrund spann die Sowjetunion die Fäden. Die sowjetische Strategie wollte eine antiamerikanische Stimmung in der Bundesrepublik erzeugen. SED-Medien ließen westliche Rüstungsgegner ausführlich zu Wort kommen. Die SED erarbeitete Konzeptionen für die Entwicklung des „Friedenkampfes“ in Westdeutschland. Erich Mielke wollte die bundesdeutsche Friedensbewegung nicht nur wohlwollend begleiten, sondern auch fördern und unterstützen. Jeder Erfolg an der Seite der „friedliebenden Kräfte des Westens“ setzte nach Ansicht der SED ein Zeichen gegen die westliche Hochrüstungspolitik und entlarvte den sozialen Rückschritt in der kapitalistischen Welt.
NATO firmiert als Feindbild
Die jetzt kultivierte Parole „Wir sind das Volk“ trägt daher zynische Züge. Hinter dem vorgeblichen Pazifismus verbirgt sich ein ideologischer Antiamerikanismus, der Verschwörungstheorien kultiviert. Hier ist gerade das Argument gefährlich, dass der Krieg von den USA provoziert wurde. Die NATO firmiert als Feindbild. Ebenso sollte man nicht dem Argument des ungarischen Premierministers Viktor Orbán nachlaufen, wonach uns der Krieg in der Ukraine nichts angehe. Es zählten alleine die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland. Deutschland ist hier nicht unbefleckt. Dennoch: Deutschland muss nicht allen Forderungen aus Polen und den baltischen Staaten nachgeben und Prellbock sein.
Die Drehung der Grünen ist auch nachvollziehbar. Als sich Joschka Fischer 1999 für den Bundeswehreinsatz im Kosovo aussprach, tat er das aus pragmatischen Gründen. Eine weitere Parallele zu heute. Die Linke agiert nach wie vor ideologisch. Ein scheinheiliger Friedensappell zum ungünstigsten Zeitpunkt nützt den Rändern des politischen Spektrums und stärkt Fake news. Die Westbindung gehört zu der DNA der Bundesrepublik. Versuche, diese über eine unheilige Allianz zu sabotieren, sollten gestoppt werden. Wladimir Putins Russland versteht nur eine Politik der Stärke. Eine schöne neue Welt ist mit solchen Angeboten nicht zu erreichen.
Was bedeutet die gegenwärtige Initiative für das Parteienspektrum? So sehr Wagenknecht die Linkspartei spaltet, so populär ist sie für das Rechtsaußenspektrum geworden. Björn Höcke, der Rechtsausleger aus Thüringen, bot ihr sogar eine Parteimitgliedschaft innerhalb der AfD an. Wagenknecht ist auch deshalb populär geworden, weil sie ganz auf den Nationalstaat, weniger auf eine neue Internationale setzt. Bildet sich nun eine „Querfront“, bei der sich Antiamerikanismus und Antikapitalismus in der Gegnerschaft zum „System“ verbinden? Die Wahlumfragen in Thüringen – die AfD liegt dort vor der Linkspartei auf Platz eins –, lassen solche Spekulationen realistisch erscheinen. Wagenknecht initiierte bereits das Projekt „Aufstehen“, Oskar Lafontaine steht mit der Linkspartei wie sie selbst im Clinch. Dazu kommt: Antiwestlertum ist derzeit en vogue und gerade, über 30 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer, durchaus salonfähig. Was sich bereits während der Pandemie abzeichnete, findet nun eine Fortsetzung, mit offenem Ausgang.
Der Autor ist Politikwissenschaftler und Extremismusforscher.
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